Einwurf

Das böse Erwachen vermeiden

Als Skispringer hat Sven Hannawald alles erreicht – und sich so überfordert, dass ein Burnout seine Karriere beendete. Heute ermutigt er Menschen, ein Bewusstsein für die psychische Gesundheit zu entwickeln.

Porträt von Sven Hannawald, ehemaliger Skispringer und heute aktiv in der Burnout-Prävention

Bevor ich 2004

die Diagnose Burnout bekam, hatte ich psychische Erkrankungen überhaupt nicht auf dem Schirm. Erst im Nachhinein ist mir das Beispiel von Sebastian Deisler eingefallen. Vorher konnte ich mir nicht erklären, warum das Jahrhunderttalent nicht mehr Fußball spielen konnte. Als ich wusste, dass ich die gleiche Diagnose habe wie er, konnte ich viele Dinge nachvollziehen.

Psychische Erkrankungen entwickeln sich schleichend. Die Anfänge sind relativ unspektakulär. Bei mir gehörte zu den ersten Symptomen eine starke Müdigkeit, die auch im Urlaub nicht abnahm. Wenn man weiter in dem Prozess bleibt, der einen krank macht, wird alles noch schlimmer. Dann kam eine Unruhe dazu, die mich total aus der Bahn geworfen hat. Kein Arzt konnte mir sagen, was mit mir los ist. Sie haben auf die Laborwerte geschaut und gesagt: Da sieht man den Profisportler – super Werte.
 
Wenn ich damals mitbekommen hätte, dass jemand das Thema psychische Gesundheit wichtig nimmt, wäre ich wahrscheinlich schneller darauf gekommen, dass ich auf dem Weg in ein Burnout bin. Deshalb setze ich mich heute für einen offenen Umgang mit psychischen Erkrankungen ein. Damit es kein böses Erwachen gibt, empfehle ich den Menschen: Wenn sie merken, dass es ihnen nicht gut geht, dann ist es wichtig, auf sich selbst zu hören. Ich arbeite mit Partnern wie der „Offensive psychische Gesundheit“ und der AOK Bayern zusammen. Gemeinsam haben wir mehr Möglichkeiten, dieses Thema fest zu verankern.
 
Ich finde es wichtig, dass Menschen zumindest schon mal etwas über psychische Erkrankungen gehört haben. Dabei will ich auch die jungen Leute erreichen. Sie werden nicht am nächsten Morgen ihr Leben ändern, weil sie mich gehört haben. Aber irgendwann kommen sie vielleicht an den Punkt, an dem sie sich erinnern: Da war doch der Hannawald, der etwas über psychische Gesundheit erzählt hat. Dann beschäftigen sie sich schon mal damit, wenn es noch nicht zu spät ist. Alle, die sich in meinem Beispiel widergespiegelt sehen, bekommen jetzt mehr Möglichkeiten, rechtzeitig einzugreifen, damit die Erkrankung nicht uferlos wird. Deshalb verstecke ich mich nicht: Mein Beispiel soll vielen Menschen eine Hilfe sein.

Menschen mit psychischen Erkrankungen scheuen sich häufig, Hilfe anzunehmen.

Wie im Leistungssport ist in unserer Leistungsgesellschaft die Entstehung psychischer Erkrankungen vorprogrammiert. Das wird durch die vielen digitalen Möglichkeiten noch verstärkt. Früher hat man Briefe auf Papier geschrieben, ist zum Briefkasten gelaufen, um sie einzuwerfen, hatte dadurch schon ein bisschen Bewegung und konnte Stress abbauen. Jetzt schreiben wir E-Mails, nicht ein oder zwei, sondern hundert, und müssen dazu nicht einmal von unserem Schreibtisch aufstehen. Der Alltag wird nicht zuletzt durch das Digitale stressiger.

Jeder einzelne muss ein Gefühl dafür entwickeln, was er schaffen kann – und was nicht. Aber auch die Arbeitgeber müssen Möglichkeiten zum Ausgleich schaffen und für einen ungestörten Feierabend sorgen: Wenn die Leute nach Hause gehen, sollten sie für den Arbeitgeber nicht mehr erreichbar sein. Die Dauererreichbarkeit führt dazu, noch schnell etwas zu erledigen, um es aus dem Kopf zu haben. Doch das verursacht eine Mehrbelastung. Wenn das länger so geht, kommt irgendwann die Mauer, und es geht gar nichts mehr. So habe ich es erlebt.

Die Politik muss ein Bewusstsein für die psychische Gesundheit schaffen, damit Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht denken, sie sind die Verlierer des Lebens. Zudem muss sie die Weichen dafür stellen, dass es Anlaufstellen für Menschen mit psychischen Erkrankungen gibt. Denn Arbeitgeber oder Führungskräfte sind dann meistens überfordert. Auf der Tür solcher Anlaufstellen darf nicht stehen: Eintritt nur für psychisch Kranke. Das muss eine neutrale Stelle sein, die jemanden an die Spezialisten weiterleiten kann. Denn noch immer empfinden sich Menschen mit psychischen Erkrankungen als zweitklassig und scheuen sich häufig, Hilfe anzunehmen.

Sven Hannawald gewann als erster Skispringer alle vier Springen der Vierschanzentournee. Heute engagiert er sich als TV-Experte und Unternehmensberater für die Burnout-Prävention.
Bildnachweis: Gunnar Menzel