Interview

„Ansatz und Richtung stimmen“

Die Aufwertung des Pflegeberufs erreichen wir nur mit einem Paket an überzeugenden Maßnahmen, sagt Oberin Doreen Fuhr. Die Diplom-Pflegewirtin appelliert an die Teilnehmer der Konzertierten Aktion Pflege, sich nicht von Befindlichkeiten, sondern einem gemeinsamen Interesse leiten zu lassen.

Es wird immer schwieriger, freie Stellen in der Pflege zu besetzen. Worin sehen Sie die Hauptgründe für den Engpass?

Doreen Fuhr: Dass der Pflege qualifizierte Fachkräfte fehlen, ist keine neue Erkenntnis: Dieses Strukturproblem beschäftigt uns seit Jahren. Jedoch kommen aktuell Faktoren zusammen, die diesen Mangel verstärken. Da ist zum einen die demografische Entwicklung – es fehlen die Schulabgänger, die sich für einen Pflegeberuf entscheiden. Zum anderen registrieren wir eine abnehmende Bereitschaft, sich in der Pflege zu engagieren. Das hängt mit den Rahmenbedingungen zusammen: Die hohe Arbeitsbelastung führt zu Frustration, dazu die eingeschränkte Flexibilität hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung und das Gefühl, unterbezahlt zu sein, trotz der großen Verantwortung, die man als Pflegender übernimmt. Wird der Bedarf an Pflegenden über Leasingkräfte abgedeckt, führt das zu Verstimmung beim Stammpersonal: Leasingfirmen zahlen besser und der Dienstplan der Leasingkräfte wird nach ihren Wünschen gestaltet. Außerdem ist das Image, das Pflege in der öffentlichen Wahrnehmung hat, alles andere als Werbung für den Pflegeberuf.

Portrait Doreen Fuhr

Zur Person

Oberin Doreen Fuhr ist seit 2012 Vorsitzende der DRK-Schwesternschaft Berlin.

Was erwarten Sie von der Konzertierten Aktion Pflege?

Fuhr: „Konzertiert“ beschränkt sich für mich nicht auf drei Bundesministerien – der Korrekturbedarf ist groß, da sind alle Akteure gefordert. In der breiten Öffentlichkeit ist die Konzertierte Aktion Pflege zu wenig bekannt, dabei betrifft das Thema jeden von uns. Aktionismus hatten wir in den vergangenen Jahren so oft, immer wieder verkündeten die politisch Verantwortlichen Absichtserklärungen und Forderungen. Und dabei blieb es leider auch. Jede Gruppe, die sich in der Pflege engagiert, muss in diesen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess einbezogen werden, den die Konzertierte Aktion Pflege angeschoben hat. Ansatz und Richtung stimmen, auch wenn Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz im Diskussionsportfolio anfangs ungenügend berücksichtigt wurden – was aber korrigiert werden soll, wie ich hörte. Das wäre für mich einer der Lösungsansätze gegen den Fachkräftemangel. Viele Punkte, die jetzt diskutiert werden, sind längst bekannt und wurden bereits umgesetzt. Die Aufwertung des Pflegeberufes erreichen wir nur mit einem Paket an überzeugenden Maßnahmen. Es genügt nicht, Parameter nur leicht zu verschieben. Das gesamte System gehört auf den Prüfstand. Aber bitte objektiv, nicht geleitet von Befindlichkeiten, sondern von einem gemeinsamen Interesse. Ich bin sehr gespannt.

Qualifizierung, Bezahlung, Arbeitsbedingungen, Wertschätzung – worauf kommt es an, um Nachwuchs für die Pflege zu gewinnen und Fachkräfte im Beruf zu halten?

Fuhr: Wir brauchen individuelle Anreizsysteme, für alle Generationen und Geschlechter. Wir müssen das Bild korrigieren, das Pflege in der breiten Öffentlichkeit hat: ein unterbezahlter, dauerstressiger Job.

Die Aufwertung des Pflegeberufes erreichen wir nur mit einem Paket an überzeugenden Maßnahmen.

Mit mehr Geld und flexiblen Arbeitszeiten allein schaffen wir es nicht, Pflegende zu gewinnen. Wir brauchen eine Qualifizierungsoffensive, die allen klar macht: In der Pflege kann man Karriere machen! Wir selbst, die in der Pflege arbeiten, müssen glaubhaft kommunizieren: Pflege ist ein interessanter und abwechslungsreicher Beruf.

Das Pflegeberufegesetz legt die bisher getrennten Ausbildungsgänge in der Pflege teilweise zusammen. Ein richtiger Schritt?

Fuhr: Die Millennials wollen anders lernen und arbeiten – das ist ein wichtiger Aspekt, den diese Reform berücksichtigt. Unseren Auszubildenden kommen wir damit entgegen, sie müssen sich nicht mehr frühzeitig auf eine pflegerische Fachrichtung festlegen. Die Ansprüche an die Pflege von Patienten haben sich geändert: Die frühzeitige Spezialisierung genügt dem nicht mehr, zeitgemäße Pflegeausbildung hat Kompetenzen zu vermitteln. Die generalistische Ausbildung mit anschließender Spezialisierung wird von den Berufsverbänden skeptisch betrachtet. Umso wichtiger ist es, die Anschlussangebote sorgfältig auszuarbeiten und deren Finanzierung zu klären. Ich hoffe, dass dann Bereiche wie die Altenpflege attraktiver werden. Die internationalen Erfahrungen mit der generalistischen Ausbildung fallen positiv aus, das sollte uns motivieren.

Was schätzen Sie persönlich am Pflegeberuf?

Fuhr: Pflege bedeutet für mich Vielfalt, nicht Routine. Stress und Hektik bestimmen leider oft den Tagesablauf. Aber ich spüre, dass unsere Pflegenden sich von den Werten motivieren lassen, die sich durch die Gesellschafterstruktur ergeben. Da ist ein gemeinnütziger Verein, der alleiniger Gesellschafter der DRK Kliniken Berlin ist – die DRK-Schwesternschaft Berlin. Ihnen ist durchaus bewusst, dass sie als größte Berufsgruppe Eigentumsrechte an einem Krankenhaus besitzen. Und ist das nicht auch Werbung für den Pflegeberuf?

Änne Töpfer führte das Interview. Sie ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
Bildnachweis: DRK-Schwesternschaft Berlin