Auf Du und Du mit Dr. Google?
Viele Menschen konsultieren auf der Suche nach Gesundheitsinformationen das Internet. Doch um von den digitalen Angeboten zu profitieren, brauchen sie eine angemessene Gesundheitskompetenz und Fertigkeiten im Umgang mit neuen Medien, betont Dr. Kai Kolpatzik.
Die Onlinesuche
nach Gesundheitsinformationen gleicht einer Expedition in den Dschungel. Die gefundenen Informationen sind vielfältig und nicht selten widersprüchlich. Verlässliche Qualitätsstandards fehlen. Gleiches gilt für digitale Gesundheitsanwendungen: Ob Gesundheits- oder medizinische App, Fitnesstracker, Smartwatch oder Online-Coach – es fällt schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen. Und die Entwicklung geht immer weiter: Elektronische Patientenakten, die eine Fülle von Gesundheits- und Krankheitsdaten umfassen, werden erprobt und sollen flächendeckend eingeführt werden.
Suchen, finden und verstehen.
Studien haben gezeigt: Gesundheitskompetente Menschen können relevante Gesundheitsinformationen dafür nutzen, im Alltag Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf ihre Gesundheit auswirken. Doch eine Untersuchung der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2017 kam zu dem Ergebnis, dass in Deutschland gut jeder Zweite (54,3 Prozent) Probleme damit hat, Gesundheitsinformationen zu suchen, zu finden, zu verstehen, zu bewerten und im Alltag anzuwenden.
In Deutschland sind Ansätze zur Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz noch unterentwickelt.
Ähnlich verhält es sich mit der digitalen Gesundheitskompetenz, die im englischsprachigen Raum als „eHealth Literacy“ oder „Digital Health Literacy“ bezeichnet wird. Nach der am häufigsten verwendeten Definition von Skinner und Norman ist das die „Fähigkeit, digitale Gesundheitsinformationen zu suchen, zu finden, zu verstehen und zu bewerten, um mit dem erlangten Wissen Fragen der individuellen Gesundheit klären zu können“. Die digitale Gesundheitskompetenz setzt die Kompetenz zur Anwendung von digitalen Technologien voraus. Konkret geht es dabei um die Fähigkeit, Computertechnik zur Recherche, Gestaltung und Kommunikation zu nutzen mit dem Ziel der Partizipation zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft.
Die digitale Gesundheitskompetenz stellt eine Schnittmenge von zahlreichen anderen „Subkompetenzen“ dar: Neben der grundsätzlichen Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, gehören dazu auch Fertigkeiten im Umgang mit Informationen, mit Computern, mit Medien, mit wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie die eingangs beschriebene allgemeine Gesundheitskompetenz.
Das Bewerten macht Schwierigkeiten.
Aus dem Report zur „Digitalen Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger Europas“, den die EU-Kommission 2014 veröffentlichte, geht hervor, dass sechs von zehn Befragten in Europa das Internet für gesundheitsbezogene Informationen nutzen (drei von zehn innerhalb des letzten Monats). In der Altersgruppe zwischen 25 und 34 Jahren ist die Nutzung am höchsten, danach nimmt sie stetig ab. Am häufigsten werden lebensstilbezogene Fragen recherchiert (etwa zu den Themen Ernährung, Bewegung oder Rauchen), dicht gefolgt von Fragen zu Erkrankungen, Verletzungen oder Symptomen. Rund 40 Prozent der Nutzer halten die gefundenen Informationen für nicht vertrauenswürdig. Insbesondere das Bewerten und Anwenden der Gesundheitsinformationen bereitet vielen Nutzern nach eigenen Angaben größere Schwierigkeiten.
Wer sich ohnehin gut über Gesundheitsthemen informiert, tut sich auch leichter mit digitalen Angeboten zum Thema. So nutzten beispielsweise rund 26 Prozent der in einer US-amerikanischen Studie Befragten mit geringerer Gesundheitskompetenz Online-Patientenportale. Bei denjenigen mit höherer Gesundheitskompetenz waren es hingegen 45 Prozent.
Quelle: Michael Mackert, Health Literacy and Health Information Technology, in: J Med Internet Res 2016 | vol. 18 | iss. 10 | e264 |
Auf EU-Ebene wurde die „Digital Health Literacy“ in den „eHealth Action Plan 2012 – 2020“ aufgenommen. Er beinhaltet, dass seit 2013 diverse Aktivitäten angestoßen und gefördert werden, die die digitale Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger wie auch des Fachpersonals in Europa steigern. Im deutschsprachigen Raum sind Ansätze zur Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz noch wenig ausgeprägt.
Digitale Kluft droht.
Wie wichtig es ist, die digitale Gesundheitskompetenz der Menschen zu stärken, haben mehrere Studien nachgewiesen. So zeigte beispielsweise eine Untersuchung in den USA mit knapp 5.000 Teilnehmern, dass Menschen mit einer geringen Gesundheitskompetenz digitale Gesundheitsangebote signifikant weniger in Anspruch nehmen. Besonders deutlich ist der Unterschied bei der Nutzung von Patientenportalen im Internet (siehe Grafik: US-Studie). Wer über eine höhere Gesundheitskompetenz verfügt, beurteilt dieser Studie zufolge außerdem den Nutzen digitaler Gesundheitsangebote höher und findet ihre Anwendung einfacher.
Diese Ergebnisse machen deutlich, dass sich beim Umgang mit digitalen Gesundheitsangeboten eine Kluft auftut: Menschen mit geringerer Kompetenz können die Potenziale digitaler Gesundheits- oder eHealth-Angebote möglicherweise weniger gut zum Vorteil ihrer eigenen Gesundheit anwenden. Im Gegensatz dazu kommen Menschen mit einer hohen Gesundheitskompetenz leichter an Informationen im Internet heran, der Umgang mit digitalen Angeboten fällt ihnen insgesamt leichter.
- Download der Studie von Michael Macker (englisch).
- Warum die Gefahr besteht, dass sich auch in Gesundheitsfragen eine digitale Kluft auftut, erläutert Mackert im Interview.
- EU-Kommission: European Citizens’ Digital Health Literacy 2014. Download
- Sachverständigenrat für Verbraucherfragen: Digitale Welt und Gesundheit. eHealth und mHealth – Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitsbereich
Verschiedene Studien haben auch gezeigt, dass eine höhere digitale Gesundheitskompetenz mit diversen gesundheitsbezogenen Vorteilen einhergeht. Dazu gehört zum Beispiel ein besserer Gesundheitszustand, ein effektiverer Kontakt mit medizinischem Personal, ein größerer Nutzen gesundheitsbezogener Selbstmanagement-Strategien, ein besseres Verständnis des individuellen Gesundheitszustands sowie eine höhere Inanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen.
Nutzer als Maß aller Dinge.
Damit diese Kluft (Digital Divide: digitale Trennung) nicht breiter wird, sind erhebliche Anstrengungen erforderlich. Dies gilt sowohl für die Forschung als auch für die Entwicklung entsprechender Angebote.
Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Gesundheitsprofessionen. Um die digitale Gesundheitskompetenz zu steigern, reicht es nicht, allein bei den Fähigkeiten oder dem Wissen des Einzelnen anzusetzen. Ebenso wichtig sind die Rahmenbedingungen, unter denen Gesundheitsanwendungen genutzt werden.
Für alle Entwicklungen der digitalen Gesundheitswelt gilt: Die zur Verfügung gestellten Technologien sind nur so gut, wie sie an die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer mit geringer digitaler Gesundheitskompetenz angepasst sind. Die Partizipation der Zielgruppen bei der Entwicklung wird somit entscheidend sein für die Nutzung und den Erfolg neuer digitaler Gesundheitsangebote.