Symposium

Digitalisierung kommt in Schwung

Unter dem Druck der digitalen Realität treiben die Krankenkassen Online-Anwendungen voran. Das Bundesgesundheitsministerium sieht den Wettbewerb positiv – solange sich am Ende alles miteinander vernetzen lässt. Von Thomas Rottschäfer

 

Die Digitalisierung

des Gesundheitswesens ist eine Geschichte verlängerter Fristen. Jetzt wird die Anbindung der Arztpraxen an die Telematikinfrastruktur ein weiteres Mal verschoben: auf Mitte 2019. Aktuell ist erst ein Drittel der Praxen mit Konnektoren versorgt. Im Stau stehen deshalb auch das Notfalldatenmanagement und der elektronische Medikationsplan. Die Anbindung der Krankenhäuser hat noch nicht einmal begonnen. Immerhin gibt es inzwischen eine Finanzierungsvereinbarung.

Politik drückt aufs Tempo.

Parallel macht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Druck. Im Entwurf für das Terminservice- und Versorgungsgesetz ist vorgesehen, dass Krankenkassen ihren Versicherten spätestens ab 2021 eine elektronische Patientenakte (ePA) anbieten müssen. Ein weiterer Gesetzentwurf sieht vor, dass ab Dezember 2019 neu ausgegebene Gesundheitskarten über eine kontaktlose Schnittstelle verfügen müssen. So will Spahn sicherstellen, dass die elektronische Gesundheitskarte (eGK) auch ohne Kartenlesegerät mit dem Smartphone oder anderen Mobilgeräten der Versicherten kommunizieren kann.

Die Neuausrichtung der gematik findet immer mehr Befürworter.

Die AOK begrüßt das Tempo. „Uns läuft die Zeit weg. Wer weiß, ob wir noch aufschließen können, wenn ein IT-Konzern mit einer Superlösung auf den Markt kommt“, mahnte kürzlich der Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, beim Digital-Symposium des AOK-Tochterunternehmens gevko vor 300 Fachleuten aus Gesundheitswesen, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Vergangenes Jahr hatte Litsch an gleicher Stelle deutliche Kritik an den gematik-Entscheidungsstrukturen geübt.

Inzwischen steht die AOK mit der Forderung nach einer Fokussierung der gematik auf technische Standards und das Sicherstellen der Interoperabilität nicht mehr allein. Auch die Bundestagsabgeordneten Tino Sorge (CDU) und Maria Klein-Schmeink (Grüne) äußerten beim Symposium Sympathie für eine effizientere Neuausrichtung der gematik.

Gesundheitsnetzwerk im Praxistest.

Das Entwickeln innovativer Anwendungen und Umsetzen digitaler Prozesse will die AOK dagegen durch Kassenwettbewerb beschleunigen. Dafür zeigt sich das Bundesgesundheitsministerium (BMG) offen. „Die Krankenkassen können und sollen individuelle Angebote machen, solange sich diese in die Telematikinfrastruktur einbinden lassen“, betonte Dr. Stefan Bales vom BMG beim gevko-Symposium.

Beim gevko/GRPG-Symposium in Berlin wurden auch innovative Vernetzungs- und Versorgungsprojekte vorgestellt, bei denen von der gevko GmbH entwickelte digitale Anwendungen zum Einsatz kommen – darunter Lösungen für die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder digitale Verordnungs- und Genehmigungsverfahren.

Die AOK-Tochter entwickelt in Zusammenarbeit mit Softwarehäusern, Krankenkassen und Ärzten IT-Lösungen für eine wirtschaftliche und flexible Umsetzung von Digitalisierungsprojekten. Dazu gehört aktuell die IHE-basierte Anbindung von Arztpraxen und Kliniken an das AOK-Gesundheitsnetzwerk. Der IHE-Standard ist ein praxisorientierter Ansatz zur intersektoralen Vernetzung.

 Weitere Informationen über die gevko

Daran orientiert sich die AOK beim Aufbau ihres digitalen Gesundheitsnetzwerkes, dass derzeit in zwei Modellprojekten mit Ärzten und Kliniken erprobt wird. Zentraler Bestandteil ist eine digitale Akte, die deutlich über eine reine App-Lösung hinausgeht.

Auf gemeinsame Ziele verständigt.

Damit keine digitalen Parallelwelten entstehen und um zu garantieren, dass Versicherte mit ihren Daten problemlos die Kasse wechseln können, haben sich Projektkassen und Vertragsärzte im September bei einem Spitzengespräch im BMG auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt. Danach definiert die gematik einheitlich für alle Anbieter die technischen ePA-Standards. Dabei geht es vor allem um Sicherheit und Interoperabilität. Die Ärzteseite ist zuständig für die Anforderungen an die medizinischen Daten, und den Kassen bleibt die konkrete Gestaltung ihrer ePA-Lösung überlassen.

Auch die Rolle der Patienten im Telematik-Prozess wird jetzt gesetzlich festgelegt. In den im Sozialgesetzbuch definierten Regelungen zur elektronischen Kommunikation werden die Versicherten künftig als gleichwertige Partner neben Leistungserbringern und Krankenkassen genannt. „Das ist ein grundlegender Kulturwandel“, betont Martin Litsch. „Damit ist klargestellt, dass allein die Patienten entscheiden, was mit ihren Gesundheitsdaten geschieht.“

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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