Einwurf

Der Ton macht den Konflikt

Respekt und Dankbarkeit gegenüber Ärzten und anderen Helferberufen haben abgenommen, sagt Dr. Martina Wenker. Die Internistin führt das auf die Anspruchshaltung in einer vom Internet geprägten Gesellschaft zurück.

Portrait Martina Wenker

Als ich Mitte der 80er Jahre

in den ärztlichen Berufsalltag gestartet bin, begegneten Patienten ihren Ärzten und allen anderen Helfern wie Medizinischen Fachangestellten, Rettungssanitätern und Feuerwehrleuten mit Respekt und Dankbarkeit. In den letzten Jahren hat sich der Umgangston allerdings zunehmend verändert. Das betrifft nicht nur die Kommunikation zwischen Arzt und Patient, sondern erstreckt sich auf alle gesellschaftlichen Begebenheiten.

Innerhalb der Ärzteschaft häufen sich Berichte über Patienten, die die Medizinischen Fachangestellten in den Arztpraxen beleidigen, die aggressiv reagieren, wenn sie gebeten werden, sich etwas zu gedulden, und die in Einzelfällen auch gewalttätig werden. Viele Krankenhäuser setzen in den Notaufnahmen deswegen bereits Wachpersonal ein und haben Notrufknöpfe installiert. Ähnlich wie in Banken können die diensthabenden Ärzte und das Personal am Empfang unbemerkt einen Alarm auslösen, wenn eine Situation außer Kontrolle gerät.

Der Landesvorstand der Ärztekammer Niedersachsen befasst sich mit diesem Themenkomplex bereits seit Längerem und fragt sich, was die Ursache für diese Veränderung sein könnte. Ich persönlich denke, dass die Anspruchshaltung unserer Patienten zugenommen hat, was in der gesellschaftlichen Entwicklung begründet liegt. Die Menschen sind heutzutage ständig online und über ihre Smartphones immer erreichbar. Diese Erreichbarkeit wird auch eingefordert: Wenn ich ein Smartphone besitze, wird erwartet, dass ich sofort reagiere, wenn ich angerufen werde oder eine WhatsApp-Nachricht erhalte.

Die Gesellschaft ist extrem schnelllebig: Über Google oder Wikipedia stehen in Sekundenbruchteilen zahllose Informationen zur Verfügung, und auch meine Einkäufe, die ich online erledige, erreichen mich meist schon am nächsten Werktag per Post. Aus dieser ständigen Verfügbarkeit von Informationen und Dienstleistungen resultiert eine Erwartungshaltung, die sich dann auch auf die ärztliche Behandlung erstreckt. Die Patienten erwarten eine umgehende und vollumfassende Behandlung rund um die Uhr. Dabei vergessen sie häufig, dass sie nicht die einzigen sind, die einen Arzt benötigen. Und wollen dann oft nicht verstehen, dass sie warten müssen, weil zum Beispiel ein Patient als Notfall vorgezogen wird.

Die Hemmschwelle für Beleidigungen und Flüche scheint gesunken zu sein.

Natürlich reagieren in solchen Situationen nicht alle Patienten ungehalten oder aggressiv. Die Mehrheit unserer Patientinnen und Patienten ist uns wohlgesonnen. Aber so wie in Kommentaren und Sozialen Medien ohne nachzudenken mal eben schnell Beleidigungen und Drohungen in die Welt gesetzt werden, hat sich auch die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht verändert.

Die Hemmschwelle scheint gesunken zu sein und so sind Flüche und Beleidigungen fast schon an der Tagesordnung, wenn man beruflich mit Menschen zu tun hat. Im ärztlichen Bereich kommt dazu, dass sich die Patienten oft in emotionalen Ausnahmesituationen befinden: Sie haben Schmerzen, haben Angst, haben Kummer. Hier kommt es dann auf die Kommunikationsfähigkeiten der Medizinischen Fachangestellten an, die unsere Patienten empfangen, und auch auf die Kommunikation des Arztes während der Behandlung. In den meisten Fällen können kritische Situationen so entschärft werden.

Die Ärztekammer Niedersachsen möchte alle ärztlichen Kolleginnen und Kollegen für dieses Thema sensibilisieren. Sie hat daher unter maßgeblichem Engagement meiner Kollegin und Vizepräsidentin Marion Renneberg gemeinsam mit einer zertifizierten Fachkraft für Kriminalprävention die Broschüre „Übergriffe gegen Praxisteams – vorbeugen und abwenden“ entwickelt. Darin beantworten wir Fragen nach den Ursachen und dem Umgang mit eskalierenden Konflikten und eröffnen Fortbildungsmöglichkeiten – nicht nur für Praxisteams, sondern auch für Kolleginnen und Kollegen in den Kliniken und Notaufnahmen.

Martina Wenker ist seit 2006 Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen und war bis Ende Mai 2019 Vizepräsidentin der Bundesärztekammer.
Bildnachweis: Ärztekammer Niedersachsen