Thema des Monats

Gesundheitspaket mit Ausstrahlung

Medizinische und pflegerische Versorgung, Gesundheitsprodukte, E-Health & Co. – die Gesundheitswirtschaft ist eine riesige Branche mit zahlreichen Akteuren. Was dort passiert, beeinflusst das Wohl und Wehe der Gesamtwirtschaft und damit der Gesellschaft. Eine aktuelle Bestandsaufnahme von Dennis A. Ostwald, Rüdiger Leidner, Benno Legler und Hanna Hryhorova

Unsere Gesellschaft wird älter und fitter. Die jährlich steigende Lebenserwartung der Menschen ist größtenteils durch den Fortschritt der Behandlungsmethoden und die medizinisch-technischen Innovationen bedingt. Insbesondere Verbesserungen in der Leistungserbringung und die damit verbundene Finanzierbarkeit spielen eine große Rolle. Medizinische Versorgung ist hierzulande für alle erschwinglich, anders als in Ländern, die keine gesetzliche Krankenversicherung haben und in denen Patienten Gesundheitsleistungen aus eigener Tasche zahlen müssen.

Zugleich ergreifen die Menschen zunehmend selbst die Initiative, um Erkrankungen vorzubeugen. Viele legen Wert auf eine ausgewogene Ernährung, stecken Zeit und Geld in sportliche Aktivitäten oder machen einen Wellnessurlaub. Seit mehreren Jahren ist dieser Trend erkennbar: Immer mehr Menschen sind bereit, in ihre Gesundheit zu investieren, um länger und vitaler zu leben. Private Ausgaben für Gesundheitsprodukte und entsprechende Dienstleistungen genießen inzwischen eine große gesellschaftliche Akzeptanz.

Im Unterschied dazu haben die Kosten für das Gesundheitswesen einen schlechten Ruf. Die steigenden Ausgaben werden vielfach als gesellschaftlicher Kostenfaktor dargestellt. Ein Treiber dafür ist nicht zuletzt die Politik, die das Themenfeld in den Fokus der öffentlichen Diskussion rückt und mitunter rein kostenseitig argumentiert.

Nutzen ins Blickfeld nehmen.

Dies überrascht, denn neben den privaten Investitionen liefern die hohen öffentlichen Gesundheitsausgaben einen vieldimensionalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert. Denn Gesundheitsausgaben bedeuten nicht nur Kosten, sondern sind zugleich Investitionen, die einen gesamtwirtschaftlichen und damit gesellschaftlichen Nutzen haben.

Da sich die Entwicklung der Gesundheitswirtschaft auf das Wirtschaftswachstum, die Beschäftigung und den Wohlstand auswirkt, kann die Frage nicht allein lauten, was die Gesundheit die Gesellschaft kostet, sondern welchen Nutzen die Ausgaben für die Allgemeinheit haben. Welchen Mehrwert schafft die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen mit Gesundheitsbezug? Welche volkswirtschaftlichen Effekte gehen beispielsweise mit der Produktion von Medikamenten einher? Wie viele Arbeitsplätze schaffen Arztpraxen? Wie viele Unternehmen profitieren davon, dass beispielsweise Metall- oder Kunststofferzeugnisse zur Herstellung von Prothesen benötigt werden? Und schließlich: Wie viele Menschen sorgen dafür, dass unser Gesundheitssystem überhaupt funktioniert?
 
Antworten auf diese Fragen liefert die gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung, die das Bundeswirtschaftsministerium seit wenigen Jahren jährlich veröffentlicht (siehe „Lese- und Webtipps“).

  • Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2019): Gesundheitswirtschaft – Fakten & Zahlen, Ausgabe 2018. Ergebnisse der Gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Download
  • Seddik, A.H./Branner, J./Helmy, R./Ostwald, D.A./Haut, S.: The Social Impact of Novartis Products: Two Case Studies from South Africa and Kenya. Basel, Berlin, Darmstadt, August 2018. Download
  • Hintergrundinformationen des Bundesgesundheitsministeriums zur Gesundheitswirtschaft
  • Henke, K.-D., Troppens, S., Braeseke, G., Dreher, B., Merda, M. (2011): Innovationsimpulse der Gesundheitswirtschaft – Auswirkungen auf Krankheitskosten, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, Ergebnisse des gleichnamigen Forschungsprojektes im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Herausgeber: Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), Berlin. Download

Sie unterteilt die Gesundheitswirtschaft in drei Bereiche. Zum ersten Bereich der medizinischen und pflegerischen Versorgung gehören Dienstleistungen von Krankenhäusern, Arztpraxen, Reha- und Vorsorgeeinrichtungen, (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten. Zweiter Bereich ist die industrielle Gesundheitswirtschaft (Forschung und Entwicklung, Produktion von Medizinprodukten, Geräte der Datenverarbeitung sowie Information und Kommunikation und E-Health). Der restliche Teilbereich der Gesundheitswirtschaft umfasst unter anderem Dienstleistungen der Krankenversicherung (gesetzlich, privat) sowie der öffentlichen Verwaltung und Waren zur eigenständigen Gesundheitsversorgung (zum Beispiel Zahnpflegeprodukte, biologische Lebensmittel).

Aufgeteilt in diese Bereiche liefert die gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung volkswirtschaftliche Kennzahlen der Branche und damit einen Einblick in den Zusammenhang zwischen der Nachfrage nach Gesundheit, den daraus folgenden wirtschaftlichen Aktivitäten und dem gesellschaftlichen Nutzen.

Nachfrage setzt Kreislauf in Gang.

Nach dem Kreislaufmodell führt das steigende Gesundheitsbewusstsein innerhalb der Bevölkerung und der damit verbundene gesündere Lebensstil zu einer erhöhten Nachfrage nach gesundheitsrelevanten Leistungen und Produkten. Diese stimuliert die Gesundheitswirtschaft. Dadurch werden ein ökonomischer Mehrwert und zusätzliche Arbeitsplätze in der Volkswirtschaft geschaffen.

Dies geschieht jedoch nicht nur innerhalb der Gesundheitswirtschaft, sondern auch in anderen Branchen, von denen die Gesundheitswirtschaft bestimmte Vorprodukte erhält. Letztlich bezieht sich der Nutzen der Gesundheitsprodukte und -leistungen nicht nur auf die Erfüllung persönlicher Wünsche, sondern lässt die Beschäftigten gesünder leben, folglich auch länger im Berufsleben aktiv bleiben. Dies wiederum trägt zum gesellschaftlichen Wohlstand bei.

Gesundheitsbewusstsein gestiegen.

Wichtigster Treiber der Gesundheitswirtschaft ist die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen. Der Wunsch nach einem selbstbestimmten, gesunden und langen Leben sorgt dafür, dass sich neben den öffentlichen Ausgabenträgern zahlreiche privatwirtschaftliche Akteure im Gesundheitsmarkt bewegen. Die Nachfrage nach und das Angebot an gesundheitsrelevanten Leistungen und Produkten wie Fitness- und Wellness-Programme, Bio-Ernährung und E-Health-Anwendungen zum Beispiel zur digitalen Erfassung unseres Alltags sind deutlich erkennbar. Im Jahr 2018 wurde für Gesundheitsangebote und -produkte jeder vierte Euro in Deutschland nicht über die Krankenversicherungen, sondern aus privaten Mitteln ausgegeben.

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Hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungskraft sowie der beschäftigten Menschen ist die medizinische und pflegerische Versorgung der größte Bereich der Gesundheitswirtschaft. Sie allein erbringt mit knapp 196 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung mehr als die Hälfte (52,9 Prozent) der gesamten gesundheitswirtschaftlichen Bruttowertschöpfung (369,8 Milliarden Euro). Zugleich hat sie mit ihren fast fünf Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den größten Anteil an allen Stellen der gesamten Branche.

Quelle: Gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung 2018 des Bundeswirtschaftsministeriums
Berechnungen: WifOR

Während die über die Krankenkassen finanzierten Gesundheitsleistungen, der sogenannte „erste Gesundheitsmarkt“ in großen Teilen essentielle Gesundheitsprodukte und -dienstleistungen wie Krebsmedikamente, ärztliche Untersuchungen oder operative Eingriffe umfasst, beinhaltet der „zweite Gesundheitsmarkt“ die individuellen und privat finanzierten Ausgaben für Gesundheit, die das Krankenversicherungssystem nicht abdeckt (siehe „Glossar“).

Zwar sind die Ausgaben für individuelle Gesundheitsleistungen, für Sport und Wellness oder auch für gesundheitsförderliche Lebensmittel deutlich geringer als die Ausgaben der Krankenversicherungen. Da aber der private Konsum von Gesundheitsprodukten und -leistungen wächst und die Wünsche individueller werden, erhöht sich nicht nur die Nachfrage nach bereits bestehenden Gütern, sondern gibt den zahlreichen Akteuren auf dem zweiten Gesundheitsmarkt die Möglichkeit, ihr Leistungsangebot auszuweiten und an die Vorstellungen und Trends anzupassen.

Gute Versorgung beflügelt die Wirtschaft.

Oft wird darauf hingewiesen, dass die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung die Wirtschaft und die Beschäftigten mit hohen Kosten belasten. Diese Sichtweise vernachlässigt jedoch, dass eine gute Gesundheitsversorgung über die ökonomische Bedeutung des Gesundheitssektors hinaus gleichzeitig einen großen volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen hat. Denn ein Gesundheitssystem mit einer guten medizinischen Versorgung ist gut für die Wirtschaft. Es trägt wesentlich dazu bei, dass die Beschäftigung und die Produktivität der Erwerbstätigen erhalten bleibt und die Menschen selbst aus eigener Kraft für ihren Unterhalt sorgen können.

Investitionen in die Gesundheit der Menschen sind deshalb ein wichtiger Beitrag zu Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand. So schafft beispielsweise ein niedergelassener Arzt durch seine Tätigkeit und die Beschäftigung von Mitarbeitern in seiner Praxis auch einen ökonomischen Mehrwert und trägt zur Bruttowertschöpfung bei. An der Bruttowertschöpfung lässt sich die Leistungsstärke einer Branche ablesen (siehe „Glossar“).

Leistungsstärker als andere Branchen.

Welche volkswirtschaftliche Bedeutung die Gesundheitswirtschaft hat, machen die Ergebnisse der gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung für das Jahr 2018 deutlich, die das Bundeswirtschaftsministerium jüngst vorgelegt hat (siehe „Lese- und Webtipps“). Danach beläuft sich die Bruttowertschöpfung der Gesundheitswirtschaft auf knapp 370 Milliarden Euro (siehe Grafik „Medizinische und pflegerische Versorgung dominiert“). Das entspricht mehr als zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Grafik Großer Einfluss auf Gesamtwirtschaft

Die Aktivität der Gesundheitswirtschaft wirkt sich auf die gesamte Volkswirtschaft aus. Durch die Verflechtung mit Akteuren aus anderen Wirtschaftsbranchen entsteht durch indirekte und induzierte Effekte eine zusätzliche Bruttowertschöpfung in Höhe von 298,2 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass mit jedem Euro Bruttowertschöpfung in der Gesundheitswirtschaft 0,81 Euro zusätzliche Bruttowertschöpfung in der Gesamtwirtschaft einhergehen.

Quelle: Gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung 2018 des Bundeswirtschaftsministeriums
Berechnungen: WifOR

Damit gehört die Gesundheitswirtschaft eindeutig zu einer der leistungsstärksten Branchen in Deutschland. Zum Vergleich: Die deutsche Automobilindustrie generiert rund 4,5 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Zudem ist die Gesundheitswirtschaft eine bedeutende Größe auf dem Arbeitsmarkt. Sie beschäftigt 7,6 Millionen Menschen. Damit liegt ihr Anteil am Arbeitsmarkt bei 17 Prozent (siehe Grafik „Motor für den Arbeitsmarkt“).

Exporte in Milliardenhöhe.

Die Gesundheitswirtschaft bedient aber nicht nur die inländische Nachfrage, sondern beliefert auch andere Länder. Ihr Anteil an allen deutschen Exporten lag im vergangenen Jahr bei rund 8,4 Prozent. Das ist viel für eine Branche, die einen Großteil ihrer Wertschöpfung durch Dienstleistungen am Patienten erzielt. Wie wichtig die deutschen Produkte und Dienstleistungen der Gesundheitswirtschaft für das Ausland sind, zeigt sich daran, dass sich seit 2007 das Exportvolumen der Branche um 60,8 Milliarden Euro fast verdoppelt hat. Es betrug 2018 rund 131 Milliarden Euro. Das durchschnittliche Wachstum der Ausfuhren betrug dabei 5,8 Prozent pro Jahr. Allen voran sind die Humanarzneimittel mit 66 Milliarden Euro der größte Bereich der gesundheitswirtschaftlichen Exporte.

Gesundheitsversorgung hat Löwenanteil.

Differenziert nach den verschiedenen Bereichen der Gesundheitswirtschaft (medizinische und pflegerische Versorgung, industrielle Gesundheitswirtschaft und weitere Teilbereiche wie Waren zur eigenständigen Gesundheitsversorgung, Sport und Wellness) hat die medizinische und pflegerische Versorgung den größten Anteil an der Bruttowertschöpfung. Diese machte im Jahr 2018 mit rund 196 Milliarden Euro 53 Prozent der gesamten gesundheitswirtschaftlichen Bruttowertschöpfung (370 Milliarden Euro) aus. Zugleich sorgt die medizinische und pflegerische Versorgung für zahlreiche Arbeitsplätze: Im Jahr 2018 arbeiteten dort 4,8 Millionen Menschen – also jeder neunte Erwerbstätige in Deutschland. Rund jeder 16. Euro Bruttowertschöpfung in der Gesamtwirtschaft wird durch die medizinische und pflegerische Versorgung der Bevölkerung erbracht.

Auch wenn die medizinische und pflegerische Versorgung mit 53 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung der größte Bereich der gesamten Branche ist, sind die industrielle Gesundheitswirtschaft mit 22,8 Prozent Bruttowertschöpfung und die weiteren Teilbereiche der Gesundheitswirtschaft mit 24,3 Prozent nicht zu vernachlässigen. Immerhin leisten sie allein mit ihrem Anteil von 5,6 Prozent an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung mehr als die Autoindustrie.

Grafik Motor für den Arbeitsmarkt

Die Gesundheitswirtschaft strahlt auf den gesamten Arbeitsmarkt aus. Mit ihren 7,6 Millionen Erwerbstätigen sind weitere 4,5 Millionen indirekte und induzierte Stellen verknüpft. Mit der wirtschaftlichen Aktivität eines Erwerbstätigen in der Branche gehen 0,59 zusätzliche Beschäftigte in der Gesamtwirtschaft einher.

Quelle: Gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung 2018 des Bundeswirtschaftsministeriums
Berechnungen: WifOR

Die industrielle Gesundheitswirtschaft ist seit dem Jahr 2007 kontinuierlich mit durchschnittlich 3,8 Prozent pro Jahr gewachsen und leistete im Jahr 2018 einen Beitrag von rund 84 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfung. Zudem sind in der industriellen Gesundheitswirtschaft eine Million Menschen beschäftigt. Dies entspricht in etwa den Erwerbstätigen der Automobilbranche.

Andere Wirtschaftszweige profitieren.

Allein die bisher genannten Zahlen machen deutlich: Die Gesundheitswirtschaft ist eine der bedeutendsten Branche der Volkswirtschaft. Ihre Entwicklung hat große Auswirkungen auf andere Wirtschaftsbereiche. So erzeugt beispielsweise jeder niedergelassene Arzt nicht nur einen wirtschaftlichen Mehrwert in seiner Praxis, sondern er bezieht auch Vorleistungen innerhalb und außerhalb der Gesundheitswirtschaft. Für die Behandlung seiner Patientinnen und Patienten benötigt er unter anderem Verbandsmaterial, Spritzen, Diagnose- und Therapiegeräte – aber auch Einrichtungsgegenstände oder Zeitschriften für das Wartezimmer.

Allein das Beispiel des Arztes macht deutlich, welche Effekte die Gesundheitswirtschaft auf die Gesamtwirtschaft hat. Durch die Verflechtung mit anderen Wirtschaftsbereichen, zum Beispiel mit der Metallindustrie, welche die Medizintechnik-Branche mit nötigen Vorprodukten beliefert, entsteht durch indirekte und induzierte Effekte (siehe „Glossar“) eine gesamtwirtschaftliche Bruttowertschöpfung in Höhe von rund 298 Milliarden Euro. Vereinfacht gesprochen bedeutet dies, dass mit jedem Euro Bruttowertschöpfung in der Gesundheitswirtschaft zusätzlich 0,81 Euro Bruttowertschöpfung in der Gesamtwirtschaft einhergehen (siehe Grafik „Großer Einfluss auf Gesamtwirtschaft“).

Zusätzliche Jobs angestoßen.

Auch auf dem Arbeitsmarkt erzeugt die Gesundheitswirtschaft bedeutsame Ausstrahleffekte. Mit den 7,6 Millionen Erwerbstätigen in der Gesundheitswirtschaft sind weitere 4,5 Millionen indirekte und induzierte Stellen verknüpft. Mit einem Erwerbstätigen in der Branche gehen somit 0,59 zusätzliche Beschäftigte in der Gesamtwirtschaft einher (siehe Grafik „Motor für den Arbeitsmarkt“).

Beschäftigte konsumieren weitere Güter.

Es gibt aber noch einen weiteren Effekt: Die Beschäftigten, die in der Gesundheitswirtschaft und in jenen Branchen tätig sind, die die Gesundheitswirtschaft mit Vorprodukten beliefern, geben ihren Arbeitslohn für Konsumgüter aus.

Die wirtschaftlichen Daten sagen noch nichts über die Qualität der Versorgung aus.

Sie kaufen aber nicht nur die Güter der Branche, in der sie arbeiten. Sie konsumieren auch Alltagsprodukte wie Lebensmittel, Kraftstoff, Kleidung und geben Geld für Urlaub, Freizeit oder kulturelle Aktivitäten aus. Indem sie Produkte anderer Branchen erwerben, stimulieren sie die gesamte Wirtschaft. Dieser induzierte ökonomische Mehrwert belief sich im Jahr 2018 auf 132,1 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass mit jedem Euro Bruttowertschöpfung in der Gesundheitswirtschaft 0,36 Euro induziert in der Gesamtwirtschaft entstanden sind – und über die 7,6 Millionen direkt und 2,5 Millionen indirekt Beschäftigten hinaus weitere zwei Millionen Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftszweigen.

Alleiniger Blick auf die Ausgaben greift zu kurz.

Bei der gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung geht es aber nicht allein darum, die Branche auf ihre Leistungsstärke, ihre Ausstrahleffekte auf den Arbeitsmarkt und auf die gesamte Wirtschaft zu reduzieren. Vielmehr dient sie auch dazu, den Nutzen für die Gesellschaft und für jeden Einzelnen zu verdeutlichen. Denn schließlich dienen all diese Dienstleistungen und Waren dazu, die Gesundheit und das Wohlbefinden zu erhalten oder wieder herzustellen. Dies sorgt nicht nur für niedrigere Krankenstände, sondern führt zugleich zu einer höheren Arbeitsproduktivität.

Deshalb müsste den wachsenden Gesundheitsausgaben der Wert von krankheitsbedingter Erwerbsunfähigkeit und damit einhergehend niedrigere Steuereinnahmen gegenübergestellt werden. So zeigte eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums, dass die durch Innovation und Prävention im Gesundheitswesen vermiedenen Wertschöpfungsverluste größer sein können als ein Anstieg der Gesundheitsausgaben (siehe „Lese- und Webtipps“, Henke et al. 2011).

Qualität und Effizienz unter die Lupe nehmen.

Es gibt aber auch Aspekte, die die gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung noch nicht berücksichtigt. Dazu gehört die Frage, ob sich mehr Gesundheit nur durch mehr Wachstum der Branche erreichen lässt oder nicht vor allem auch durch mehr Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung oder durch Maßnahmen in anderen Politikbereichen, beispielsweise der Agrarpolitik (Stichwort Ernährung).

Bisher enthält die gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung weder Fragen zur Qualitäts- und Effizienzsteigerung noch den Aspekt der individuellen Wertschätzung eines gesünderen und längeren Lebens. Mit einem besseren Gesundheitszustand ist schließlich nicht nur eine höhere Arbeitsproduktivität verbunden, sondern auch eine bessere „Alltagstauglichkeit“, das heißt die Fähigkeit, den eigenen Alltag – sei es zu Hause oder bei Freizeitaktivitäten – selbst zu organisieren. Hierzu ist aber noch weitere Forschung erforderlich.

Einen innovativen Ansatz zur Bewertung der übergreifenden gesellschaftlichen Wirkungen kann beispielsweise das Konzept des Social Impact liefern (siehe „Lese- und Webtipps“). Es berücksichtigt die gewonnenen Lebensjahre und Lebensqualität sowie die damit einhergehenden gesamtgesellschaftlichen Effekte wie beispielsweise höhere Produktivität und eine längere Erwerbsbiografie durch den Einsatz von Innovationen im Gesundheitssystem.

Insgesamt zeigt die gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung, welche Dimension das Thema Gesundheit hat. Vor allem aber verdeutlicht sie, dass die Betrachtung des Gesundheitswesens allein unter dem Aspekt seiner Finanzierung aus den Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie aus öffentlichen Mitteln viel zu kurz greift. Denn wenn ein Euro an Bruttowertschöpfung in der Gesundheitswirtschaft zusätzliche Wertschöpfung und Arbeitsplätze in anderen Branchen erzeugt, ist ihr Nutzen für die Gesellschaft und jeden Einzelnen wohl kaum infrage zu stellen.

Glossar:

Bruttoinlandsprodukt (BIP)

Wert aller Güter und Dienstleistungen, die in einem Jahr innerhalb einer Volkswirtschaft erwirtschaftet werden.

Bruttowertschöpfung (BWS)

Wert aller Güter und Dienstleistungen abzüglich der in den Produktionsprozess eingeflossenen Vorleistungen.

Gesundheitswirtschaft

Oberbegriff für alle Güter und Dienstleistungen mit einem Gesundheitsbezug. Der Kernbereich, auch erster Gesundheitsmarkt genannt, umfasst den Bereich der „klassischen“ Gesundheitsversorgung, den größtenteils die gesetzliche und die private Kranken- und Pflegeversicherung finanzieren. Der zweite Gesundheitsmarkt bezeichnet alle von Privathaushalten finanzierten Produkte und Dienstleistungen rund um die Gesundheit. Zum zweiten Gesundheitsmarkt gehören zum Beispiel  freiverkäufliche Arzneimittel und individuelle Gesundheitsleistungen, Sport und Wellnessangebote, Gesundheitstourismus und Ernährung.

Gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung

Instrument zur Messung und Beurteilung der Gesundheitswirtschaft als Branche. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie veranlasst regelmäßige Studien zur Erfassung des Beitrags der Gesundheitswirtschaft zur Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland. Das Herzstück dieser Analysen ist die gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung. Sie erlaubt es, die Gesundheitswirtschaft als Querschnittsbranche aus den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen herauszulösen und differenziert zu betrachten. Die gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung erfasst alle Waren und Dienstleistungen mit Gesundheitsbezug, die in Deutschland erbracht werden, und geht damit über die Gesundheitsausgabenrechnung hinaus.

Indirekte Effekte

Durch den Bezug von notwendigen Vorleistungs- gütern, zum Beispiel Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, lösen Unternehmen der Gesundheitswirtschaft Produktionsprozesse in anderen Unternehmen und Organisationen aus, etwa die Medizintechnik-Firmen in der Metallindustrie. Dadurch erhöht sich die Produktion bei Zulieferern. Diese beziehen ebenfalls Vorleistungen, die zu Produktionsanstößen führen. Somit löst die Nachfrage entlang der gesamten Wertschöpfungskette ökonomische Effekte aus.

Induzierte Effekte

In einer weiteren Stufe führen die von den Erwerbstätigen wegen der direkten und der indirekten Effekte erzielten Einkommen zu Konsumausgaben. Dieser Konsum bedeutet gleichzeitig eine Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen, die erstellt werden müssen. Deren Produktion löst wiederum Nachfrageimpulse aus, die zu weiteren Produktions- und Beschäftigungseffekten führen.

Vorleistungen

Wert der im Produktionsprozess verbrauchten, verarbeiteten oder umgewandelten Waren und Dienstleistungen. Durch die Angabe der bezogenen Vorleistungen lassen sich Aussagen über indirekte Wachstums- und Beschäftigungseffekte in den zuliefernden Branchen treffen.

Quelle: G+G-Redaktion

Dennis A. Ostwald ist Geschäftsführer und Forschungsfeldleiter Gesundheitsökonomie des Wirtschaftsforschungsinstituts WifOR sowie Professor für Wirtschaftsforschung und Management an der SIBE Steinbeis-Hochschule Berlin.
Rüdiger Leidner, Volkswirt und Beamter im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie a.D., ist freier Mitarbeiter im WifOR.
Benno Legler ist Forschungsleiter Gesundheitswirtschaft.
Hanna Hryhorova ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im WifOR.
Oliver Weiss ist Illustrator und Designer.
Bildnachweis: Titelfoto Startseite: iStock/Felix Alimi