Gestalter mit feinem Humor
Kompetent, sachlich, verlässlich und humorvoll: Herbert Reichelt war ein besonderer Mensch. Für die AOK und die gesetzliche Krankenversicherung hat er viel erreicht. Nun ist der ehemalige Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes gestorben. Ein Nachruf von Martin Litsch
Gute Ideen allein
sichern noch keinen Erfolg. Ohne Hartnäckigkeit und Geduld geht es nicht, hat Dr. Herbert Reichelt selbst einmal auf die Frage nach seiner Erkenntnis aus gut 30 Jahren Tätigkeit für die AOK geantwortet. Er hatte beides: Gute Ideen und Erfolg. Seiner Hartnäckigkeit und Geduld verdanken die AOK und die gesetzliche Krankenversicherung viel.
Herbert Reichelt, geboren 1951 und aufgewachsen im Ruhrgebiet, gehörte im besten Sinne zu den „stillen Gestaltern“. Obwohl er in seiner beruflichen Karriere bis zum Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes aufstieg, waren das Rampenlicht und die politische Bühne nicht seine Sache. Er blieb im Herzen Wissenschaftler. Als solcher begann er seine Laufbahn 1983 beim Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) in Bonn, zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, zuletzt als stellvertretender Leiter.
Kompliziertes anschaulich gemacht.
In seine Zeit beim WIdO fiel insbesondere die Einführung der Festbeträge für Arzneimittel. Reichelt leistete entscheidende methodische Arbeit und erwies sich schnell als kompetenter Ansprechpartner für die Politik. Dabei ging es ihm immer auch darum, das Komplizierte einfach zu machen. Maßgeblich war er zudem an der Entwicklung des Arzneiverordnungs-Reports beteiligt, der inzwischen ein Standardwerk ist.
1992 übernahm der Sozialwissenschaftler beim AOK-Bundesverband die Leitung der Abteilung Finanzen, 1998 wurde er Geschäftsführer Finanzen/Controlling. In dieser Phase ging es vor allem um die praktische Umsetzung des neuen Risikostrukturausgleichs (RSA). Durch ständiges Verbessern der Datengrundlagen hat Reichelt die Machbarkeit des RSA bewiesen und den Gegnern des Ausgleichs Wind aus den Segeln genommen – dabei immer fair und mit Argumenten.
Im Jahr 2000 betrat und gestaltete er wieder einmal Neuland und verantwortete als Bevollmächtigter des Vorstandes die Steuerung der Datenverarbeitung und Software-Entwicklung. Wesentlich mit Reichelts Namen verbunden bleibt die Gründung der AOK Systems GmbH, die er gegen starken internen Widerstand durchsetzte. Die mit dem Weltunternehmen SAP als Partner auf den Weg gebrachte Software oscare® hat sich auch dank des Stehvermögens von Herbert Reichelt zur unangefochtenen Branchenlösung entwickelt. Mit der kassenübergreifenden Software wird heute jeder zweite GKV-Versicherte betreut.
Nach dem Wechsel von Johann-Magnus von Stackelberg zum neu gegründeten GKV-Spitzenverband stieg Reichelt 2007 zum stellvertretenden Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes auf, 2009 wurde er dessen Vorstandsvorsitzender. Mit seiner integrativen Persönlichkeit managte er die schwierige Bonn-/Berlin-Umbruchsphase, in der für den AOK-Bundesverband eine neue Rechtsform gefunden und das Verhältnis zum GKV-Spitzenverband ausbalanciert werden musste.
Das Thema Arzneimittel hat ihn auch während seiner Vorstandstätigkeit nicht losgelassen. Als sich das politische Fenster für die frühe Nutzenbewertung neuer Medikamente und darauf aufsetzende Preisverhandlungen öffnete, hatte er wesentlichen Anteil an entsprechenden Regelungen im Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG). Auch nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben war er noch bis vor wenigen Monaten ehrenamtlich für die AMNOG-Schiedsstelle tätig.
Für fairen Interessenausgleich gesorgt.
Mit klarem sozialpolitischen Kompass, großem Detailwissen und ausgleichendem Temperament hat Reichelt stets für einen fairen Interessenausgleich gesorgt. Was ihn auszeichnete, war nicht zuletzt sein feiner Humor und ein (selbst)ironischer Blick auf das Geschehen im Gesundheitswesen. Diesem Humor und seiner Liebe zur Sprache widmete er viel Zeit nach dem Eintritt in den Ruhestand. Er verfasste Gedichte und Krimis und gründete in seiner Wahlheimat Wachtberg bei Bonn eine Schreibwerkstatt für „komische Lyrik“.
Für all das, was er noch vorhatte, ließ ihm der Krebs keine Zeit mehr. Wir vermissen Herbert Reichelt. Uns bleibt die Erinnerung an einen außergewöhnlichen Menschen und ein moralisches Vorbild.