Arzneimittel auf Vorrat?
Ärztepräsident Dr. Klaus Reinhardt hat sich für den Aufbau einer Arzneimittelreserve ausgesprochen, um auch in Zeiten knapper Medikamente die Versorgung sicherzustellen. Eine gute Idee?
Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer:
Lieferengpässe sind leider ein allzu bekanntes, aber unter dem Diktat des geringstmöglichen Preises kein einfach lösbares Problem. Jede öffentliche Apotheke muss bereits heute den durchschnittlichen Arzneimittelvorrat für eine Woche bereithalten, jede Krankenhaus- und krankenhausversorgende Apotheke für zwei Wochen. Nur wenn man der „Schnäppchenmentalität“ entgegenwirkt, nach der selbst lebenswichtige Medikamente immer billiger werden sollen, lässt sich die Versorgungssicherheit wieder verbessern.
Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg:
Arzneimittelengpässe sind ein weltweites Problem, denn Hersteller wählen Produktionsstandorte schon immer wesentlich nach Kostenaspekten aus. Dies und europäisches Patentrecht sind Gründe dafür, dass lebenswichtige Wirkstoffe außerhalb von Europa produziert werden. Eine rechtlich verbindliche Vorratshaltung ist überfällig und wichtig, um Lieferengpässe aufzufangen. Für Apotheken und Großhändler ist eine Mindestbevorratung für Arzneimittel festgeschrieben. Für Hersteller gibt es eine solche nicht. Zum Aufbau der Reserve sind deshalb die Hersteller in die Pflicht zu nehmen.
Dr. Georg Nüßlein, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion:
Die Liefersicherheit von Arzneimitteln in Deutschland ist sehr hoch. Wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen, um den Bedarf an Arzneien zu sichern und Engpässen im relevanten Ausmaß entgegenzuwirken. Dazu gibt es etwa im Gesundheitsministerium einen Jour Fixe. Um über den Vorschlag von Dr. Reinhardt urteilen zu können, bedarf es der Klärung von Einzelfragen – zum Beispiel, ob er dabei an die Schaffung einer gesetzlichen „Bevorratungsbehörde“ denkt, deren Verwaltung hoch bürokratisch, kostenintensiv und technisch enorm aufwändig wäre. Oder ob es sich um einen Vorschlag handelt, der das bestehende System in Einzelpunkten weiter verbessern könnte. Zu einem Austausch mit allen an der Arzneiversorgung Beteiligten bin ich gerne bereit.
Professor Dr. Gerd Glaeske, Gesundheitswissenschaftler an der Universität Bremen:
Die Idee einer Arzneimittelreserve geht an der Realität der Lieferengpässe vorbei. Im Juni 2019 waren davon zum Beispiel 226 Mittel betroffen, Tendenz steigend. Welche sollte man da in der Reserve vorrätig halten? Nein, wer mit Arzneimitteln Profite macht, muss auch die Verantwortung für die notwendige Kontinuität einer Arzneimitteltherapie übernehmen. Daher sollte der Paragraf 52 b des Arzneimittelgesetzes bezüglich der Vorratshaltung verschärft werden: Statt der dort genannten zwei Wochen sollten Pharmafirmen zu einer Bedarfsdeckung von acht Wochen verpflichtet und bei Lieferproblemen mit den Beschaffungskosten belastet werden.