Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Schnellere Facharzttermine und Hausbesuche durch speziell ausgebildete Praxisassistentinnen – davon profitieren die Patienten von Hausarzt Ulrich Voit und seiner eNurse Julia Ernstberger. Wie durch ein Arztnetz bestmögliche Versorgung auf dem Land gelingt, beschreibt Tina Stähler.
Besonders freut sich
Julia Ernstberger darüber, wie die Patienten auf ihre Besuche reagieren. „Wenn sich die Haustür öffnet, höre ich Sätze wie: Wie schön, dass Du da bist, Julia. Ich habe schon die ganze Zeit auf Dich gewartet“, sagt sie und strahlt. Julia Ernstberger ist 24 Jahre alt und Arzthelferin. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf bei Hof. Sie fühle sich der Region verbunden und könne sich einen Umzug in eine größere Stadt oder einen anderen Teil Deutschlands nicht vorstellen, fügt sie hinzu. Seit Ende 2017 fährt sie als eNurse im Nordosten Bayerns über die Dörfer. Sie ist eine digital vernetzte, nichtärztliche Praxisassistentin und bei der Unternehmung Gesundheit Hochfranken (UGHO) angestellt. UGHO bildet bayernweit Arzthelferinnen zur nichtärztlichen Praxisassistentin weiter. Voraussetzung sind eine Ausbildung zur Arzthelferin und drei Jahre Berufspraxis.
Zusammenarbeit mit der AOK.
Das Arztnetz UGHO gibt es seit 2009. Es umfasst inzwischen über 70 Haus- und Fachärzte in der Stadt und dem Landkreis Hof sowie Teilen des Landkreises Wunsiedel. Angefangen hat der Zusammenschluss bereits 2006 noch unter dem Namen Praxisnetz Hochfranken e.V.
Die AOK fördert im Rahmen der Initiative „Stadt. Land. Gesund.“ das Arztnetz UGHO als eines von 30 Leuchtturmprojekten. Insgesamt profitieren über 15.000 Versicherte der AOK Bayern vom Versorgungsvertrag zwischen dem Arztnetz und der AOK. Im April 2019 wurde UGHO von der AOK Bayern für seine herausragende Versorgungsqualität in der medizinischen Behandlung mit dem „Prädikat Silber“ des Projekts „Qualität in Arztnetzen – Transparenz mit Routinedaten“ (QuATRo) ausgezeichnet.
Demografie im Wandel.
In ganz Deutschland gibt es rund 400 Arztnetze, 85 davon in Bayern. Alle Ärzte bei UGHO verbindet ein gemeinsames Ziel: die ambulante ärztliche Versorgung in der Region langfristig zu sichern. Die Region an der Grenze zu Sachsen, Thüringen und Tschechien ist schon jetzt von den Auswirkungen des demografischen Wandels betroffen. Die Menschen dort werden immer älter und demzufolge auch kränker und unbeweglicher. Viele von ihnen leiden an chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder der Lungenerkrankung COPD. Die Nachfrage nach ambulanter Versorgung und medizinischen Leistungen ist hoch. Gleichzeitig sind über 50 Prozent der Hausärzte mindestens 65 Jahre alt und gehen bald in den Ruhestand. Der Region droht Ärztemangel.
An der Seite des Arztes.
Am Ärztemangel kann auch der Einsatz von eNurse Julia Ernstberger nichts ändern. Aber die eNurse kann die Hausärzte durch Hausbesuche, die sie für die Ärzte übernimmt, entlasten. Momentan ist sie für elf Hausärzte der Region tätig und betreut insgesamt 185 Patienten.
• Unternehmung Gesundheit Hochfranken
• Projekt der AOK-Initiative Stadt. Land. Gesund.: Arztnetz/Gesundheitsnetz UGHO
• Arztnetze der AOK Bayern
Einer dieser Hausärzte ist Ulrich Voit in Schwarzenbach am Wald, einer kleinen Gemeinde etwa 25 Kilometer westlich von Hof. Neben Julia Ernstberger hat Voit eine zweite nichtärztliche Praxisassistentin, die direkt bei ihm angestellt ist. „Die nichtärztliche Praxisassistentin ist für uns Hausärzte eine große Entlastung. Wir dürfen sie aber auch nicht überlasten und müssen genau wissen, wo ihre Grenzen sind“, erklärt Voit. Erfordert ein Anliegen ärztlichen Rat, so rufe die mobile Praxisassistentin den Arzt noch während des Besuchs telefonisch oder per Videoschalte dazu, ergänzt er.
Möglich macht dies eine moderne Ausstattung inklusive Notebook. Die eNurse hat außerdem ein Zwölf-Kanal-EKG und Pulsoxymeter im Gepäck und kümmert sich um Blutabnahmen und Impfungen. Sie versorgt Wunden und kann die Lungenfunktion und Sauerstoffsättigung der Patienten messen.
Querschnitt durch die Gesellschaft.
Ihre Aufträge bekommt die eNurse direkt von den teilnehmenden Hausarztpraxen und stellt sich danach ihre Dienstpläne relativ autark zusammen. Bei Patienten allerdings, die zum Beispiel blutverdünnende Mittel einnehmen und regelmäßig überwacht werden müssen, sind bestimmte Besuchstage vorgegeben. So kann Julia Ernstberger ihre Route möglichst effektiv selbst planen.
Julia Ernstberger steigt täglich in ihr Auto mit Allradantrieb. Der Winter im Frankenwald ist lang und die Patienten wohnen weit verstreut.
„Der Besuch dauert nicht lange, aber das Fahren von Patient zu Patient nimmt viel Zeit in Anspruch. Es ist gut, dass der Hausarzt das nicht selbst machen muss“, sagt Ernstberger. Auch wisse sie, für wen sie sich mal fünf Minuten mehr einplanen müsse, weil Angehörige weiter weg wohnten und sie einer der wenigen Bezugspunkte des Patienten sei.
Ernstberger begegnet bei ihren Besuchen Patienten aus allen Schichten der Gesellschaft. Sie besucht Menschen in Hochhäusern in Hof, aber auch auf einsam gelegenen Bauernhöfen fernab vom nächsten Dorf. Behandlungsverlauf und Ergebnisse überträgt die eNurse digital von unterwegs an den jeweiligen Hausarzt. Dieser kann sich dann ein Bild des Patienten machen und weitere Behandlungsschritte einleiten.
Hand in Hand arbeiten.
Hausarzt Voit kann sich das Praktizieren ohne seine beiden mobilen Assistentinnen und ohne Arztnetz nur schwer vorstellen. „Die Arztnetze sind für mich ein Phänomen und durch UGHO ist Vernetzung gelebte Wirklichkeit geworden“, sagt er begeistert. Durch die Arztnetze hätten die Ärzte systematisch angefangen, miteinander zu reden. „Je besser sich die Ärzte kennen, desto besser funktioniert Arbeitsteilung“, fügt Voit hinzu.
Die eNurse besucht Menschen in Hochhäusern und auf einsam gelegenen Bauernhöfen.
Konkret bedeutet dies, dass ein Hausarzt seinen Patienten durch UGHO innerhalb von 48 Stunden an einen Facharzt, beispielsweise einen Neurologen, überweisen kann. So wird eine zeitnahe medizinische Abklärung gewährleistet. 80 Prozent der Haus- und Fachärzte, die am Arztnetz teilnehmen, sind elektronisch miteinander vernetzt. Dadurch lassen sich Behandlungsergebnisse einfacher austauschen sowie Doppeluntersuchungen und -verordnungen vermeiden. Ein weiterer Vorteil ist, dass es im UGHO-System nur zehn Abrechnungsziffern für den hausärztlichen Bereich gibt. „Diese Maßnahmen führen zu weniger Bürokratie und zu einer Entlastung des Praxispersonals. So haben wir letztlich mehr Zeit für den einzelnen Patienten“, sagt Voit.
Genau beobachten.
Auch für eNurse Julia Ernstberger ist es wichtig, jedem einzelnen Patienten die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. „Wenn man den Patienten jede Woche besucht und gut kennt, dann sieht man, ob er abbaut oder nicht“, sagt Ernstberger. Dies sei wichtig, um neben dem Kontakt zum Hausarzt auch einmal Angehörige ansprechen zu können oder in Absprache mit dem Patienten den Sozialdienst um Unterstützung zu bitten.
„Als eNurse kann ich dem Patienten in seinem häuslichen Umfeld zur Seite stehen und sehe ihn nicht nur kurz in der Praxis. Das macht für mich diese Arbeit besonders“, erklärt sie.