Interview

„Globuli sind nur Zuckerkügelchen“

Immer mehr Menschen setzen auf alternative Medizin und sanfte Heilung. Doch wer konventionelle Therapien grundsätzlich ablehnt, kann seine Gesundheit riskieren, sagt Dr. Natalie Grams. Die Ärztin spricht von Placebo-Effekten und fordert mehr Aufklärung.

Frau Dr. Grams, Sie sind Ärztin und hatten jahrelang eine gut gehende Privat-Praxis für Homöopathie. Heute kritisieren Sie Globuli & Co. Warum?

Dr. Natalie Grams: Ursprünglich wollte ich lediglich Skeptiker von der Homöopathie überzeugen. Deshalb habe ich für ein Buch recherchiert, wissenschaftliche Studien gelesen. Das Ergebnis war ein Schock, denn ich musste akzeptieren, dass Globuli Zuckerkügelchen sind. Ich fühlte mich wie eine Betrügerin, hatte ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Patienten.

Portrait Natalie Grams

Zur Person

Dr. Natalie Grams ist Ärztin und Autorin. Sie leitet das Informationsnetzwerk Homöopathie und setzt sich für mehr Aufklärung ein.

Aber Sie hatten doch Heilerfolge – oder?

Grams: Weil vieles Psychologie ist: Es tut gut, wenn jemand zuhört. Auch positive Erwartungen können zur Genesung beitragen. Alternativmedizin bedient den Wunsch nach einer sanften Heilung ohne Nebenwirkungen. Es klingt banal, aber tatsächlich wirkt da keine Arznei, sondern Zeit. Wissenschaftler sprechen von Placebo-Effekt. Mit einer konventionellen Therapie hat das nichts zu tun.

Also haben Globuli gar keine Wirkung?

Grams: Das ist eine Frage der Sichtweise. Man hat Magengrummeln oder Kopfschmerzen. Man schluckt Globuli. Man fühlt sich besser. Ich nenne das den Danach-aber-nicht-deswegen-Fehlschluss. Denn 80 Prozent der Zipperlein kann der Körper selbst bewältigen. Das Problem ist aber, dass die Menschen überzeugt sind, dass Homöopathie sie geheilt hat.  

Aber es ist doch harmlos, wenn Glaube gesund macht. Sind Sie nicht zu kritisch?

Grams: Harmlos ist Homöopathie nur bei Bagatellen. Aber was ist mit Patientinnen und Patienten, die chronisches Asthma haben, Diabetes, vielleicht sogar Krebs? Es gibt Schwerkranke, die leiden sehr. Dennoch lehnen sie eine medizinische Therapie ab, weil sie unerschütterlich an die Homöopathie glauben. Damit risikieren sie ihre Gesundheit, ihr Leben. Da braucht es Aufklärung.

Menschen sollten ihren Kräften zur Selbstheilung mehr vertrauen.

In Vorträgen erzählen Sie die Krankengeschichte eines Patienten mit Lungenentzündung. Er fühlte sich besser, nachdem er Globuli geschluckt hatte …

Grams: … und täuschte sich damit selbst. Tatsächlich hatte sich seine Lungenfunktion massiv verschlechtert. Es war fast zu spät. Wenn eine wirksame Therapie massiv verzögert oder unterlassen wird, werden alle Pseudo-Verfahren gefährlich.

Warum liegt Naturheilkunde so im Trend?

Grams: Die Menschen vertrauen ihren Selbstheilungskräften nicht mehr. Früher hat man abgewartet, auf Hausmittelchen gesetzt. Heute informieren sich viele bei „Dr. Google“ und sind am Ende misstrauisch und verwirrt. Wie groß der Zweifel an der Medizin inzwischen ist, sieht man an der hohen Zahl der Masernfälle. Es ist ein gesellschaftliches Problem, wenn Impf-Gegner andere gefährden.

Bis 2021 will Frankreich der Krankenkasse verbieten, Geld für homöopathische Mittel zu zahlen, deren Wirkung nicht belegt ist. Ist der Weg zurück zur reinen Schulmedizin der einzig richtige?

Grams: Wer eine ehrliche und wirksame Medizin will, muss Homöopathie nicht verbieten. Aber Patienten sollten wissen, dass es für Placeboverfahren eine Grenze gibt. Natürlich muss hinterfragt werden, warum die Menschen sich von konventionellen Therapien abwenden. Sicher ist die Fließbandmedizin ein Grund. Wir brauchen mehr Zeit für Gespräche, mehr Abrechnungsmöglichkeiten, mehr Personal. Da ist die Politik gefragt.

Silvia Dahlkamp führte das Interview. Sie ist Redakteurin der G+G.
Bildnachweis: privat/Dorothee Piroelle