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Vorstand gefragt!

„Kehrtwende bei der Klinikplanung ist richtig“

Weniger Kliniken, bessere Versorgung? Eine Studie und ein Gutachten zur Qualität der stationären Versorgung haben in Nordrhein-Westfalen eine neue Dimension in die Debatte um die stationäre Versorgung gebracht: NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann leitet eine Kehrtwende in der Krankenhausplanung ein. Für die Patienten sind das gute Nachrichten, meint Tom Ackermann, Vorstandsvorsitzender der AOK NordWest.

G+G: Eine Studie der Bertelsmann Stiftung kam unlängst zu dem Schluss, dass sich mit deutlich weniger Krankenhäusern in Deutschland bessere Qualität erzielen ließe. Die Aussagen werden sehr kontrovers diskutiert. Können Sie die Aufregung nachvollziehen?

Tom Ackermann: Eigentlich nicht. An vielen Stellen unterstreicht die Studie letztlich die bereits bekannten Defizite in der Krankenhauslandschaft. Aber wir leben in einer Zeit der medialen Zuspitzung. Und wenn in der Öffentlichkeit die Kernaussage dann darauf verkürzt wird, dass wir in Deutschland künftig nur noch 600 statt 1.800 Krankenhäuser benötigen, löst das auch Ängste in der Bevölkerung aus und provoziert Widerstände. Dabei geht es im Kern darum, die stationäre Versorgung verstärkt an Qualitätsparametern auszurichten. Das ist längst überfällig und weitestgehend auch unstrittig.

G+G: Die Berechnungen in der Studie der Bertelsmann Stiftung legen eine Region im südwestlichen Nordrhein-Westfalen zugrunde. Als AOK NORDWEST sind Sie in Nordrhein-Westfalen für die Region Westfalen-Lippe zuständig. Wodurch ist die Versorgungssituation hier gekennzeichnet?

Ackermann: Wir haben es in Westfalen-Lippe mit zwei völlig gegensätzlichen Versorgungssituationen zu tun. Auf der einen Seite gibt es den Ballungsraum Ruhrgebiet und Städte wie Bielefeld und Münster. In diesen Regionen haben wir im stationären Bereich eine Überversorgung. Zudem halten hier viele Krankenhäuser ein sehr breites Leistungsspektrum vor, statt sich zu spezialisieren. Dadurch sind Parallelstrukturen entstanden, die sich letztlich negativ auf Qualität, Patientensicherheit und auch auf die Verfügbarkeit von Fachkräften auswirken. Auf der anderen Seite gibt es ländliche Regionen wie Ostwestfalen-Lippe, das Münsterland, Südwestfalen oder das Sauerland. Hier wird die Versorgungssituation durch viele sehr kleine Krankenhäuser geprägt. Diese haben oft aufgrund von Personalmangel und fehlender technischer Ausstattung Schwierigkeiten, ihr ohnehin eingeschränktes Versorgungsspektrum qualitativ hochwertig aufrecht zu erhalten. Insgesamt gibt es in der Region Westfalen-Lippe zu viele solcher Kliniken, deren Aufrechterhaltung zumeist mit Ortsnähe und schneller Erreichbarkeit begründet wird. Doch was bringt zum Beispiel bei der Notfallversorgung von Herzinfarktpatienten der kurze Weg ins Krankenhaus, wenn dort das Fachpersonal und die technische Ausstattung für die erforderliche diagnostische und therapeutische Versorgung fehlen oder das Haus mangels ausreichender Fallzahlen nicht über eine ausreichende Routine verfügt? Deshalb ist hier eine stärkere Bündelung der Kräfte notwendig und bei der Abwägung der Standortfragen müssen Patientensicherheit und Qualität der Versorgung ins Blickfeld rücken.  

G+G: Vor wenigen Wochen stellte NRW-Gesundheitsminister Laumann ein Gutachten vor, auf dessen Basis er die Krankenhausplanung im Bundesland neu ausrichten will. Was soll sich ändern?

Ackermann: Anders als die Studie der Bertelsmann Stiftung gibt das Gutachten nicht schon von vornherein das Endergebnis vor – also wie viele Kliniken in Nordrhein-Westfalen letztlich nötig sind. Das ist ein vernünftiger Ansatz. Die Gutachter haben die Ist-Situation analysiert und sind dabei der Frage nachgegangen, was die Krankenhäuser genau leisten. Dann haben sie Bevölkerungsprognosen und Prognosen für bestimmte Krankheitsbilder ausgewertet, um Rückschlüsse darauf zu ermöglichen, wie sich der Versorgungsbedarf in den einzelnen Regionen entwickeln wird. Davon ausgehend untersuchen die Experten, wie sich die Versorgungsbereiche künftig effizienter gestalten ließen.

G+G: Ist das aus Ihrer Sicht das richtige Vorgehen?

Ackermann: Ja, das ist es auf jeden Fall. Denn das bedeutet, dass die Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen künftig nicht mehr allein auf der Anzahl der Klinikbetten aufbauen soll. Stattdessen liegt der Fokus auf unterschiedlichen Leistungsbereichen – beispielsweise Kardiologie oder Gynäkologie – und in welchem Umfang diese in den Versorgungsgebieten vorzuhalten sind. Wo Überkapazitäten vorhanden sind, sollen Leistungsbereiche durch Spezialisierungen gebündelt werden. Wo Unterversorgung besteht, müssen Angebote effizienter geplant und ausgebaut werden. Der Minister hat angekündigt, dass bis Ende 2020 die Rahmenbedingungen für die notwendigen strukturellen Änderungen in der Krankenhauslandschaft stehen sollen. Die Umsetzung erfolgt dann in den Folgejahren. Die Ausrichtung auf Leistungsbereiche und Qualität ist eine deutliche Kehrtwende in der Krankenhausplanung von Nordrhein-Westfalen, die wir als AOK sehr begrüßen und aktiv unterstützen möchten.

G+G: Das Ziel ist also „Qualität durch Spezialisierung“?

Ackermann: Auch. In spezialisierten Kliniken mit entsprechender Prozessroutine treten erwiesenermaßen weniger Komplikationen auf und die medizinische Ergebnisqualität verbessert sich. Leistungsangebote durch Spezialisierungen zu bündeln, ist also sowohl unter ökonomischen als auch unter qualitativen Aspekten sinnvoll. Deshalb sprechen wir uns auch für die Erhöhung der aktuell geltenden Mindestmengen und deren Ausweitung auf weitere Leistungsbereiche aus. Wir müssen dahin kommen, auf der Basis des Gutachtens flächendeckend in ganz Nordrhein-Westfalen die bestehenden Strukturen in eine leistungs- und qualitätsorientierte, gestufte Krankenhausversorgung umzubauen.

G+G: Damit wären bahnbrechende strukturelle Änderungen auf den Weg gebracht. Erwarten Sie starke Widerstände gegen die neue Krankenhausplanung?

Ackermann: Natürlich wird es Widerstände geben. Für die Krankenhausgesellschaft beispielsweise ist das eine Herausforderung, die unterschiedlichen Interessen der Kliniken unter einen Hut zu bekommen. Ich nehme aber wahr, dass sie nicht per se strukturelle Änderungen ablehnt und bin insofern zuversichtlich, dass sie sich konstruktiv einbringen wird. Sicher wird es auch kontroverse Diskussionen mit der Lokalpolitik geben: Klinikschließungen und Standortverlagerungen haben unmittelbare Konsequenzen für die Menschen vor Ort. Das Krankenhaus gehört zu ihrem gewohnten Umfeld. Es steht nicht nur für medizinische Versorgung, sondern auch für Infrastruktur und Arbeitsplätze. Insofern werden die Veränderungen sehr unterschiedliche Reaktionen auslösen. Die wichtigste Aufgabe dabei wird es sein, die Bevölkerung mitzunehmen.

G+G: Wie kann das aus Ihrer Sicht funktionieren?

Ackermann: Hier sind nicht nur die Politik, sondern alle Akteure im Gesundheitssystem gefragt. Da schließe ich uns als AOK ausdrücklich ein. Wir müssen gemeinsam mit Krankenhausträgern, Ärzten und Politikern erklären, dass die Änderungen notwendig sind, um die Versorgungsqualität zu verbessern und zukunftsfähig zu machen. Die Menschen müssen nachvollziehen können, dass sie als Patientinnen und Patienten von den neuen Strukturen profitieren, weil sie im Ergebnis besser als bisher versorgt werden. Dazu müssen wir die Qualitätsaspekte transparenter machen als bisher. Wenn Standortdiskussionen aus dieser Perspektive geführt werden, wird es auch gelingen, die Bevölkerung mitzunehmen.

Karola Schulte führte das Interview. Sie ist Chefredakteurin der G+G.
Bildnachweis: AOK NordWest