Produkthaftung

Gesundheitsrisiko Hüftprothese

Ob ein Patient durch den Metallabrieb einer implantierten Hüftprothese gesundheitlich zu Schaden gekommen ist, muss ein Oberlandesgericht erneut verhandeln. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Nach Ansicht der obersten Zivilrichter hat die Vorinstanz die Beweisanträge des Patienten nicht genügend berücksichtigt. Von Anja Mertens

Beschluss vom 16. April 2019
– VI ZR 157/18 –

Bundesgerichtshof

Schmerzen am Hüftgelenk,

Probleme beim Gehen: Menschen mit einer Hüftgelenksprothese sollten auf solche Symptome achten. Denn sie könnten auf ein fehlerhaftes Implantat hinweisen – wie in dem Fall, der dem Bundesgerichtshof (BGH) vorlag. Geklagt hatte ein Mann, der seit Jahren an Hüftarthrose litt. Als sich seine Schmerzen verschlimmerten, bekam der damals 56-Jährige 2006 rechts eine Oberflächenersatzprothese implantiert. Doch auch drei Monate nach der Operation hatte er Schmerzen. Zudem traten Klick-Geräusche beim Gehen auf. Wegen der anhaltenden Beschwerden konnte er nicht mehr arbeiten. Nachdem 2009 bekannt geworden war, dass auch andere Patienten wegen erhöhten Metallabriebs Probleme mit diesem Implantat hatten, ließ er sein Blut laborärztlich untersuchen. Nach dem Laborbericht waren seine Chrom- und Kobalt-Werte (22 beziehungsweise 28 Mikrogramm pro Liter Blut) deutlich erhöht.

Prothese mehrfach ausgetauscht.

Wegen dieser hohen Konzentration von Schwermetallionen wurde noch im Dezember 2009 die Prothese explantiert und durch eine zementierte Revisionsprothese ersetzt. Zwei Jahre nach dieser Operation war das explantierte Implantat in dem Krankenhaus nicht mehr auffindbar. Da der Patient weiterhin Beschwerden hatte, musste er sich mehreren Punktionen, einer Operation und schließlich einer weiteren Explantation unterziehen. Schließlich bekam er Anfang 2016 eine Schaft-Hüftendoprothese eingesetzt.
 
Der Patient war der Ansicht, die zuerst implantierte Hüftprothese sei produktfehlerhaft gewesen. Konstruktionsbedingt käme es zu einem erhöhten Metallabrieb. Dies sei für die Schweizer Herstellerfirma auch erkennbar gewesen. Diese hätte vor der Produkteinführung nicht genügend Tests vorgenommen. Zunächst führte er ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Herstellerin durch. Schließlich klagte er vor dem Landgericht gegen die Importeurin, eine Tochterfirma des Herstellers mit Sitz in Deutschland. Er forderte mindestens 40.000 Euro Schmerzensgeld, 73.823 Euro Verdienstausfall, 1.902 Euro vorgerichtliche Kosten sowie die Feststellung, dass alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen sind.

Nach dem Einsetzen der Hüftprothese hatte der Patient viel zu viel Chrom und Kobalt im Blut.

Das Landgericht wies die Klage ab und das Oberlandesgericht (OLG) die Berufung zurück. Dem Patienten stünden keine Ansprüche aus Paragraf 1 Absatz 1 und Paragraf 8 des Produkthaftungs­gesetzes zu. Ihm sei nicht der Beweis gelungen, dass seine körperliche Integrität wegen eines Fabrikations-, Konstruktions- oder Instruktionsfehlers der implantierten Prothese verletzt worden sei. Bereits vor seiner Klage sei die Prothese nicht mehr auffindbar gewesen und könne daher nicht mehr begutachtet werden. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ließe sich nicht ausschließen, dass die hohen Chrom- und Kobalt­werte von der steilen Stellung der Prothese oder von der Belastung durch den Pa­tienten verursacht worden wären. Damit komme für die hohen Metallwerte sowie den metallischen Abrieb im Körper auch eine andere Ursache als ein Fabrikationsfehler in Betracht. Ein Konstruktionsfehler sei nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht feststellbar. Ein Instruktionsfehler bestehe ebenfalls nicht. Der Sachverständige habe in der Operationsanleitung nichts Fehlerhaftes gesehen. Lediglich die maximale Winkel­stellung sei darin nicht präzisiert. Auch sei nicht ersichtlich, dass bereits 2006 bekannt gewesen sei, dass eine steile Stellung der Prothese zu einem erhöhten Metallabrieb führen könne.

Rechtliches Gehör verletzt.

Gegen diese Entscheidung legte der Patient Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH ein. Er hob das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung an das OLG zurück. Dessen Beurteilung, dem Patienten sei der Beweis nicht gelungen, dass die Prothese einen Produktfehler aufweise, beruhe auf einer Verletzung des Anspruchs des Patienten auf rechtliches Gehör. Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes sichere allen an einem Gerichtsverfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zum Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen.

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Zu Recht habe der Patient beanstandet, das OLG hätte sein Argument übergangen, vor der Produkteinführung hätten keine Tests zum Ausmaß des Metallabriebs statt­gefunden. Dies sei angesichts der vor der Zulassung bekannten Gefahren inakzeptabel und wäre vom Sachverständigen auch beanstandet worden. Wäre bei den Tests ein Risiko festgestellt worden, hätte dies in die Risikobewertung und die Operationsanweisung aufgenommen werden müssen. Ob die Operationsanweisung fehlerfrei oder fehlerhaft sei, könne erst nach Klärung dieser Fragen beantwortet werden. Daher sei eine ergänzende Befragung der gerichtlichen Sachverständigen erforderlich.

Produktfehler nicht auszuschließen.

Das OLG habe die Ausführungen des Patienten übergangen, dass vor der Produkteinführung eine Untersuchung zum Metallabrieb bei einer steilen Stellung der Prothese durchzuführen gewesen sei. Diesen zentralen Punkt habe die Vorinstanz in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sei insgesamt erheblich. Denn es könne sein, dass das OLG einen Konstruktions- und Instruktionsfehler bejaht hätte, wäre der Vortrag des Pa­tienten berücksichtigt worden.

Anja Mertens ist Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes.
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