Porträt

Wegemacher mit langem Atem

Ende des Jahres gibt Christopher Hermann den Vorstandsvorsitz der AOK Baden-Württemberg ab. Engagiert, mit Durchsetzungskraft und langem Atem hat er die Gesundheitsversorgung über das Land hinaus geprägt. Von Thomas Rottschäfer

Im Februar 2008 deutet alles

darauf hin, dass Dr. Christopher Hermann gescheitert ist. Vor dem Landessozialgericht Stuttgart hat die AOK Baden-Württemberg im Streit um die bundesweiten Arzneimittelrabattverträge eine krachende Niederlage erlitten. Der Pharmaindustrie ist es gelungen, eine komplette Ausschreibung zu kippen. Doch Hermann ist Marathonläufer. Er sagt sich: „Mit diesen irren Gewinnmargen, die von Versicherten und Arbeitgebern bezahlt werden, darf die Pharmabranche nicht durchkommen.“ Der Rest ist bekannt: Die von der AOK Baden-Württemberg auch europarechtlich gerichtsfest durchgefochtenen Rabattverträge sind ein Erfolgsmodell.

Porträt von Christopher Hermann

Seit dem Jahr 2000 ist Christopher Hermann im Vorstand der AOK Baden-Württemberg. Zum Jahreswechsel übergibt er das Ruder an Johannes Bauernfeind.

Allein 2018 hat die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) dadurch 4,4 Milliarden Euro sparen können. Die Einsparungen der AOKs, die aus Hermanns federführenden Verhandlungen resultieren, haben sich seit 2007 auf mehr als elf Milliarden Euro summiert. „Das war eine Grenzerfahrung“, sagt der Vorstandschef im Rückblick auf die Auseinandersetzungen mit der Pharmabranche und die auch sehr persönlichen Anfeindungen.

Dem sozialen Zusammenhalt dienen.

Seit dem Jahr 2000 gehört der 1955 geborene Christopher Hermann dem Vorstand der AOK Baden-Württemberg an. 2003 wird er Vorstandsvize, im Oktober 2011 Vorstandschef. Von der GKV ist er „im Innersten“ überzeugt: „In allen Jobs war es immer mein Anspruch, im weitesten Sinne etwas für den sozialen Zusammenhalt zu tun.“

Nach Studium (Geschichts-, Politik-und Rechtswissenschaften) und Promotion ist er für verschiedene Sozialversicherungsträger tätig. Von 1987 bis 1990 arbeitet er für den Wissenschaft­lichen Dienst des Bundestages. Dann wechselt er ins Sozialministerium von Nordrhein-Westfalen. Für das Land nimmt Hermann 1992 als zuständiger Fach­beamter an den Lahn­stein-Verhand­lungen teil. Sie münden in die freie Kassenwahl und lösen eine gewaltige Fusionswelle aus. In Baden-Württemberg gehen 1994 die 45 selbstständigen AOKs und ihr Landesverband in der AOK Baden-Württemberg auf. In deren Zentrale in Stuttgart wird Hermann sechs Jahre später vom Sachwalter zum Gestalter. Er versteht sich als „Wegemacher“ und krempelt die regionale Versorgungslandschaft um.

Herzstück ist die von ihm zur Marke entwickelte „Alternative Regelversorgung“. Für das Hausarztprogramm und die Facharztverträge gewinnt er auf Ärzteseite Partner, die ähnlich kantig sind wie er und ebenso bereit, Dinge zu verändern. Studien bescheinigen der Konzeption deutliche Gesundheitsvorteile für die Patienten. Zudem setzt die AOK auf speziell geschulte Medizinische Fachangestellte (VERAH). Rund 2.200 dieser Versorgungsassistentinnen entlasten die Hausärzte jedes Jahr um mehr als hunderttausend Routine-Hausbesuche. Auch bei der Digitalisierung geht die Südwest-AOK mit ihren Vertragspartnern voran. Im Einsatz sind bereits die elektronische AU-Bescheinigung, der E-Arztbrief und der digitale Austausch patientenbezogener Medikationsinformationen zwischen Ärzten in Echtzeit.

Kritik an der Zentralisierung.

Hermanns Credo: Versorgung lässt sich nur regional optimal gestalten. Mit Kritik an der auf Zentralisierung zielenden Gesetzgebung von Gesundheitsminister Jens Spahn hält er nicht hinter dem Berg. Bei seinen regionalen Projekten hilft auch der gute Draht zur Landesregierung. „Wir haben großen Anteil daran, dass ein ganz wichtiger Lebensbereich in Baden-Württemberg hervorragend organisiert ist“, sagt der scheidende Vorstandschef. „Aber so einen Prozess gestaltet nicht ein einzelner Supermann. Das geht nur im Team. Und dieses Team von fast 11.000 Kolleginnen und Kollegen ist unschlagbar.“ Das sehen offenbar auch die Menschen im Ländle so: Zum Ende seiner Amtszeit hat die AOK Baden-Württemberg 4,5 Millionen Versicherte – eine Rekordzahl.

Hermann übergibt das Ruder zum Jahreswechsel an Johannes Bauernfeind (53). Der Diplom-Volkswirt ist seit vielen Jahren in Führungspositionen für die AOK Baden-Württemberg tätig: zunächst als Fachbereichsleiter Krankenhaus und Leiter der Stabsstelle Versorgungscontrolling und Analytik sowie in den letzten fünf Jahren als Geschäftsführer der Bezirksdirektion Neckar-Fils.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
Bildnachweis: AOK Baden-Württemberg