Modelle für die Pflegefinanzierung
Pflegebedürftige müssen immer tiefer in die Tasche greifen, um ihre vollstationäre Versorgung zu bezahlen. Eine Reform tut Not. Vorschläge dazu gibt es bereits. Eine Bestandsaufnahme von Dr. Antje Schwinger und Martina Sitte
Um die Pflege wird es nicht still. Nach der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und den Bemühungen, dem Fachkräftemangel durch Verbesserungen bei den Lohn- und Arbeitsbedingungen entgegenzuwirken, wird derzeit über Fragen der Finanzierung diskutiert. Auslöser sind die stetig steigenden Eigenanteile der Pflegebedürftigen. Diese unterteilen sich in pflegebedingte Aufwendungen, Kosten für Unterkunft und Verpflegung (Mahlzeiten, Zimmerreinigung, Strom, Wasser, Heizung) sowie Investitionskosten (Kosten im Sinne von Kaltmiete und für Umbau, Ausbau, Modernisierung oder Instandhaltung des Pflegeheims). Die Pflegeversicherung leistet aber nur pauschale Zuschüsse für die pflegebedingten Aufwendungen. Im Durchschnitt zahlte ein Pflegeheimbewohner im September 2019 für die unmittelbaren Pflegekosten durchschnittlich 779 Euro monatlich aus der eigenen Tasche. Die pflegebezogenen Eigenanteile variieren dabei von durchschnittlich 443 Euro in Mecklenburg-Vorpommern bis zu 1.078 Euro im Saarland (siehe Grafik „Wie stark Pflegeheimbewohner belastet sind“).
Steigende Pflegelöhne erhöhen die Eigenanteile.
Abgesehen vom „Sofortprogramm Pflege“ mit 13.000 zusätzlich geplanten Pflegekräften, die zu 100 Prozent die Krankenversicherung finanziert, erhöhen alle Kosten, die mit künftigen Verbesserungen der Lohn- und Personalsituation zusammenhängen, die pflegebedingten Eigenanteile weiter. Denn die Leistungen der Pflegeversicherung wachsen nicht automatisch mit.
Doch nicht nur die Eigenanteile sind ein Problem. Auch ist fraglich, wie lange der heutige Beitragssatz die Ausgaben der Pflegeversicherung noch decken kann. Dabei ist er gerade erst Anfang 2019 um 0,5 Prozentpunkte auf 3,05 Prozent (3,3 Prozent für kinderlose Versicherte) angehoben worden. Damit stieg der Beitragssatz innerhalb von vier Jahren um 50 Prozent. Der demografische Wandel steht aber erst noch bevor: Bis zum Jahr 2050 sind deutlich mehr als fünf Millionen Pflegebedürftige zu erwarten.
Trennung stationär und ambulant überholt.
Um langfristig eine angemessene Versorgung sicherzustellen, reicht es nicht aus zu klären, woher das Geld kommen soll. Vielmehr bedarf es einer Antwort auf die Frage, wie das vorhandene Geld gezielt ausgegeben werden soll. Ein drängendes Problem zum Beispiel: Die heutige Trennung zwischen stationärer und häuslicher Pflege oder anderen altersgerechten Wohnformen (betreutes Wohnen, Pflege-WGs etc.) ist seit Längerem überholt. Die Rahmenbedingungen im ambulanten und im stationären Sektor führen sowohl für Leistungserbringer als auch für Pflegebedürftige zu erheblichen Ungleichbehandlungen, insbesondere mit Blick auf die Höhe der übernommenen pflegebedingten Kosten und auf die Qualitätsanforderungen. Ein weiteres Problem sind fehlende Angebote in der Fläche. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass die Angebotsstrukturen regional sehr unterschiedlich sind und zum Teil den Bedarf nicht decken. Folglich besteht Reformbedarf nicht allein hinsichtlich der Eigenanteile und der Finanzierungsgrundlage. Auch muss die Steuerung des Systems in den Blick genommen werden.
Vollversicherung und Sockel-Spitze-Tausch vorgeschlagen.
Inzwischen liegen verschiedene Reformvorschläge vor. Dazu gehören die Pflege-Vollversicherung und der „Sockel-Spitze-Tausch“. Beide zielen darauf, die pflegebedingten Eigenanteile abzuschaffen oder zu begrenzen. Im Unterschied zur Krankenversicherung, die alle medizinisch notwendigen Leistungen finanziert, wenn sie wirtschaftlich erbracht werden, zahlt die Pflegeversicherung je nach Schwere der Pflegebedürftigkeit und der gewählten Leistungsform nur pauschalierte Zuschüsse unabhängig vom faktischen Unterstützungsbedarf.
Die Belastung von Pflegeheimbewohnern unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland stark. In Mecklenburg-Vorpommern ist der Eigenanteil (pflegebedingte Kosten, Investitionskosten der Heime, Unterkunft und Verpflegung) mit 1.352 Euro am niedrigsten. Besonders teuer ist für Pflegebedürftige die Versorgung in Nordrhein-Westfalen. Dort müssen sie insgesamt 2.433 Euro aus der eigenen Tasche bezahlen. Davon entfallen allein auf Unterkunft und Verpflegung 1.018 Euro.
Quelle: AOK-Pflegenavigator, Stand 1.10.2019
In einer Pflege-Vollversicherung hingegen würde die Kasse alle pflegebedingten Kosten bezahlen. Beim Sockel-Spitze-Tausch übernähme die Pflegekasse alle notwendigen pflegebedingten Kosten (Spitze) und der Pflegebedürftige einen fixen, gesetzlich festzulegenden Sockelbetrag. In der Folge würde dann nicht mehr der Pflegebedürftige das finanzielle Pflegerisiko tragen, sondern die Solidargemeinschaft. Die Höhe des selbst zu tragenden Sockels (fixer Eigenanteil) müsste der Gesetzgeber festsetzen.
Die Einführung einer Pflege-Vollversicherung oder des Sockel-Spitze-Tauschs hätte aber auch ganz erhebliche Implikationen für die Leistungsgewährung: Vorab wäre zu klären, welche Leistungen die Pflegeversicherung absichern soll, also was unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots pflegerisch notwendige Leistungen sind – analog wie in der gesetzlichen Krankenversicherung. Geschieht dies nicht, wäre eine Inanspruchnahme über das pflegerisch Notwendige hinaus – Ökonomen bezeichnen dies als „moral hazard“ – nicht kontrollierbar.
Bei der ambulanten Pflege ist dies eine besondere Herausforderung. Dort ist der notwendige Versorgungsumfang weder bekannt noch definiert. Ob die heutigen Leistungen den Bedarf abdecken bzw. was – in der Regel durch familiäre oder nachbarschaftliche Pflege und Unterstützung – geleistet wird, ist nur ansatzweise untersucht. Eine Pflege-Vollversicherung oder einen Sockel-Spitze-Tausch ausschließlich in der stationären Pflege einzuführen, würde aber die dringend aufzuhebenden Grenzen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung zementieren.
Leistungsdynamisierung weiterentwickeln.
Eine andere Möglichkeit, den steigenden Eigenanteilen zu begegnen – sozusagen das Gegenstück zur Pflege-Vollversicherung beziehungsweise zum Sockel-Spitze-Tausch – besteht darin, die Dynamisierung der Leistungen weiterzuentwickeln. Die Bundesregierung prüft alle drei Jahre – erneut 2020 – die Notwendigkeit und Höhe einer Anpassung der Pflegeleistungen. Dabei hat sie sich an der Inflationsrate der vergangenen drei Kalenderjahre zu orientieren. Die Anpassung der Leistungsbeträge darf jedoch nicht über der allgemeinen Bruttolohnentwicklung liegen.
Bisher ist diese Rechtsnorm noch nicht angewendet worden. Stattdessen hat der Gesetzgeber die Leistungsbeträge im Zuge anderer Gesetzgebungsverfahren angehoben. Der tatsächliche Kaufkraftverlust – so die Kritik – ist jedoch nie aufgeholt worden. Problematisch zudem: Die derzeitige Dynamisierungsregelung enthält keine Anpassungskriterien aufgrund von Veränderungen bei den zentralen Produktionskosten der Pflege – der Lohn- und Personalentwicklung. Das Gesetz für bessere Löhne in der Pflege sowie das angekündigte Personalbemessungsverfahren lassen in den nächsten Jahren eine erhebliche Kostendynamik erwarten, die weit über die „normale“ Inflationsrate hinausgeht.
- Heinz Rothgang, Dominik Domhoff: Die Pflegebürgerversicherung als Vollversicherung. Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. September 2019. Download
- Stefan Greß, Dietmar Haun, Klaus Jacobs: Zur Stärkung der Solidarität bei der Pflegefinanzierung. In: Pflege-Report 2019, Seite 241–254. Download
- Antje Schwinger, Heinz Rothgang, Thomas Kalwitzki: Die Pflegeversicherung boomt – Mehrausgaben der Pflegeversicherung. Retrospektive und Projektion. In: Gesundheits- und Sozialpolitik 6/2018, Seite 13–22.
Ändert sich an den Rahmenvorgaben nichts, müssen die Pflegebedürftigen den durch höhere Pflegelöhne und mehr Personal verursachten Kostenanstieg allein tragen. Auch wenn langfristig durch die Vereinheitlichung der Löhne und der Personalausstattung eine Angleichung der heute heterogenen Preise für die Pflege im Heim und damit der Eigenanteile zu erwarten ist: Anders als beim Sockel-Spitze-Tausch würden die Pflegebedürftigen auch bei einer besseren Dynamisierung der Leistungssätze je nach Wohnort unterschiedlich zur Kasse gebeten.
Medizinische Behandlungspflege im Blick.
Um die pflegebedingten Eigenanteile der Pflegebedürftigen zu reduzieren, ist auch die Übernahme der Kosten für die medizinische Behandlungspflege durch die Krankenversicherung ins Spiel gebracht worden. Lebt ein Pflegebedürftiger im Heim, werden die Kosten für die medizinische Behandlungspflege, also beispielsweise für Medikamente, die Wundversorgung und den Katheterwechsel von der Pflegeversicherung bezahlt. Der Heimbewohner trägt aufgrund des Teilleistungssystems also einen Teil der Kosten über seine Eigenanteile selbst. Lebt hingegen ein Pflegebedürftiger zu Hause oder in einer Pflege-WG, übernimmt die Krankenversicherung die vollständigen Behandlungskosten – vorausgesetzt, eine im Haushalt lebende Person kann die Behandlungspflege nicht übernehmen.
Bei der Frage, welcher Versicherungszweig die medizinische Behandlungspflege denn am besten bezahlen soll – die Pflege- oder die Krankenversicherung –, greift die rein fiskalische Reformsicht zu kurz. Auch die Pflegekasse könnte die Behandlungspflege im Heim vollständig finanzieren. Beispielsweise werden die Betreuungskräfte im Heim seit jeher zu 100 Prozent durch die Pflegeversicherung bezahlt. Richtungsleitend sollten Überlegungen sein, welcher Versicherungszweig die Angebote besser koordinieren, ganzheitlicher und wirtschaftlicher erbringen kann. Für eine Verlagerung der Behandlungspflege bei Heimbewohnern in die Krankenversicherung könnte sprechen, dass dort wegen des Wettbewerbs die Wirtschaftlichkeit eine stärkere Rolle spielt. Für eine Verortung in die Pflegeversicherung spräche, dass die Behandlungspflege pflegerische Tätigkeiten im ureigenen Sinne sind und der Pflegeprozess heute rein leistungsrechtlich in Grund- und Behandlungspflege aufgeteilt ist, aber als Einheit besser zu steuern wäre. Vor allem gilt es, die Frage der Finanzierung der Behandlungspflege zusammen mit der Angleichung der Rahmenbedingungen in der ambulanten und stationären Pflege anzugehen.
Mehr Investitionen von den Ländern.
Weitere Forderungen gehen dahin, dass die Länder mehr Geld in die Pflegeheime investieren sollten, um die Heimbewohner von den zu zahlenden „Investitionskosten“ für zum Beispiel Instandhaltung und Modernisierung zu entlasten. Diese selbst zu zahlenden Investitionskosten beliefen sich im September 2019 auf durchschnittlich 431 Euro monatlich. Die Länder werden kritisiert, ihrer Verantwortung für die Pflegeinfrastruktur nicht nachzukommen und zu wenig in den Bau und die Instandhaltung von Pflegeheimen zu investieren. Wie viel Geld die einzelnen Länder tatsächlich in die Pflegeinfrastruktur stecken, ist allerdings kaum transparent – trotz einer 2017 eingeführten Berichtspflicht der Länder an das Bundesgesundheitsministerium.
Um die Versorgung von Pflegebedürftigen langfristig zu sichern, müssen die pflegebedingten Eigenanteile begrenzt und die Finanzierung der Pflegeversicherung dauerhaft gesichert werden. Das aber allein reicht nicht aus. Auch gehört die Steuerung des Systems ins Blickfeld. Die bisher vorgelegten Reformvorschläge wirken unterschiedlich intensiv. Einige zielen auf die Weiterentwicklung des bisherigen Systems. Andere setzen auf eine grundlegende Änderung der Finanzierungsbasis (Strukturreform).
Eigene Darstellung
Unabhängig von der fiskalischen Dimension gehört das Thema Investionskostenförderung mit Blick auf verbesserte Ansatzpunkte bei der Steuerung des Systems diskutiert. Im Unterschied zur Krankenhausplanung oder zur ärztlichen Bedarfsplanung gibt es für die Pflegeinfrastruktur keine Bedarfs- oder gar Zulassungsplanung. Heute haben allein die Länder einen entsprechenden Handlungsspielraum, um die regionalen Angebote durch die Investitionsplanung aktiv zu fördern. Deshalb sollte sich die Forderung nach mehr Engagement der Länder nicht allein auf den fiskalischen, sondern auch auf den gestalterischen Anspruch beziehen. Neben einer verbesserten Transparenz über lokale Versorgungstrukturen und -bedarfe wäre eine fundierte Debatte über konkrete Steuerungsmechanismen und -instrumente wünschenswert.
Bundeszuschuss ins Spiel gebracht.
In der Reformdebatte wird auch vom Bund mehr Verantwortung gefordert. In Anlehnung an die Renten- und Krankenversicherung solle es auch für die Pflegeversicherung einen steuerfinanzierten Beitragszuschuss für versicherungsfremde Leistungen geben. Genannt werden hier insbesondere die soziale Absicherung der pflegenden Angehörigen, das Pflegeunterstützungsgeld, Aufwände der Pflegekassen zur Förderung der Infrastruktur beziehungsweise der kommunalen Daseinsvorsorge und die Förderung des Aufbaus von Selbsthilfegruppen. Wenn man bedenkt, dass die Pflegeversicherung „mit ihren Leistungen vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft von Angehörigen und Nachbarn unterstützen“ soll (Paragraf 3 Sozialgesetzbuch XI), so ist ein steuerfinanzierter Zuschuss und dessen Höhe sicherlich eine Auslegungssache. Zudem hängt die Stabilität eines steuerfinanzierten Zuschusses immer auch von der Haushaltslage des Bundes ab.
Zusätzliches Kapital zur Absicherung.
Weitere Forderungen sind die zusätzliche private Absicherung und der Ausbau der Kapitalbasis der Pflegeversicherung. Dies ist nicht neu: Bereits Mitte der 2000er Jahre gab es dazu verschiedene Vorschläge. Schließlich kam 2013 die staatlich geförderte Pflegetagegeldversicherung als individuelle Vorsorge (sogenannter Pflege-Bahr). Der Pflege-Bahr entfaltete jedoch nicht die erhoffte Wirkung. Statt der seinerzeit erwarteten 1,7 Millionen freiwillig abzuschließenden Verträge waren es 2017 lediglich rund 830.000. Ein Grund für die niedrige Zahl: Risikoäquivalente Prämien sind nicht erlaubt. Zudem ist ungewiss, ob das Pflegetagegeld die pflegebedingten Aufwände auch tatsächlich abdeckt.
Parteien und Verbände haben ihre Ideen für die künftige Finanzierung der Pflege vorgelegt. Sie reichen von der Pflege-Vollversicherung über private Vorsorge, Steuerzuschüsse bis hin zu einer Bürgerversicherung.
Eigene Darstellung
Um die Finanzierungsbasis der Pflegeversicherung zu sichern, führte der Gesetzgeber 2015 zudem den Pflegevorsorgefonds ein. In dieses bei der Bundesbank hinterlegte Sondervermögen fließen jährlich 0,1 Prozentpunkte der Beitragseinnahmen der Pflegeversicherung. 2018 waren es 1,4 Milliarden Euro. Ab 2035 soll dieser Fonds zur Stabilisierung des Beitragssatzes aufgelöst werden. Da der demografische Wandel aber keine temporäre, sondern eine permanente Verschiebung des Verhältnisses von Beitragszahlern zu Pflegebedürftigen bewirkt, wird die Auflösung des Fonds den Beitragssatzanstieg damit allemal um ein paar Jahre abflachen – zumal Ansparen bei anhaltendem Nullzins wenig Sinn macht.
Einnahmenbasis verbreitern.
Eine weitere Antwort auf die vorhersehbaren Beitragssatzsteigerungen ist die Einführung einer Pflege-Bürgerversicherung – häufig kombiniert mit einer Erweiterung der Einnahmenbasis durch Beiträge auch auf Miet- und Kapitaleinkünfte. Ausgangspunkt für die Forderung nach einer Pflege-Bürgerversicherung ist die Tatsache, dass die privat Versicherten ein deutlich geringeres Risiko haben, pflegebedürftig zu werden. Dies führte dazu, dass im Jahr 2017 4,6 Prozent der gesetzlich Versicherten, jedoch nur 2,3 Prozent der Privatversicherten pflegebedürftig waren. Gleichzeitig verdienen die privat Versicherten im Durchschnitt mehr als doppelt so viel wie gesetzlich Versicherte.
Die Einbeziehung der Privatversicherten in die solidarische Pflegeversicherung würde überproportional zum Beitragsvolumen beitragen. Nach einem aktuellen Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung ließe sich durch eine Pflege-Bürgerversicherung der Beitragssatz schätzungsweise um 0,3 Prozentpunkte senken, bei gleichzeitiger Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze und Einbezug weiterer Einkommensarten sogar um 0,5 Prozentpunkte (siehe Lese- und Webtipps).
Nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Steuerung müssen Bausteine einer nachhaltigen Reform sein.
Eine solche Strukturreform erscheint Experten bei der Pflegeversicherung leichter umsetzbar als bei der Krankenversicherung. Der Grund: Die privat versicherten Pflegebedürftigen haben den gleichen Zugang und den gleichen Anspruch auf Leistungen wie die gesetzlich Versicherten. Gleichwohl bleiben rechtliche Fragen – vor allem ob die in der Privatversicherung gebildeten Altersrückstellungen in eine Pflege-Bürgerversicherung übergehen können. Deshalb ist als Alternative zu einer Pflege-Bürgerversicherung auch ein Finanzausgleich zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung in der Diskussion.
Parteien und Verbände positionieren sich.
Außer Frage steht, dass der Handlungsdruck groß ist. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will bis Mitte 2020 einen Gesetzentwurf vorlegen. Verschiedene Parteien und Verbände haben bereits ihre Vorstellungen vorgelegt (siehe Tabelle „Wer die Pflegefinanzierung wie verändern will“). SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke setzen auf ähnliche Maßnahmen: Pflege-Vollversicherung, Sockel-Spitze-Tausch, Pflege-Bürgerversicherung und Finanzierung der medizinischen Behandlungspflege durch die Krankenversicherung. Sie unterscheiden sich allein mit Blick auf die Steuerzuschüsse des Bundes sowie höhere Investitionskosten der Länder (nur die SPD-Bundestagsfraktion). Die Vorstellungen der großen kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie sowie des Deutschen Gewerkschaftsbundes zielen in die gleiche Richtung.
Dagegen setzt der GKV-Spitzenverband auf eine Weiterentwicklung des bestehenden Systems. Er fordert einen Bundeszuschuss und höhere Investitionen der Bundesländer. Im Unterschied dazu plädiert der PKV-Verband für den Ausbau der Kapitalfundierung durch eine verbesserte steuerlich und betriebliche Förderung von Vorsorgeverträgen – ebenso wie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.
CDU/CSU haben sich bisher nicht positioniert. Bundesgesundheitsminister Spahn hat zwar der Pflege-Vollversicherung eine Absage erteilt. Dies wäre eine falsche Schwerpunktsetzung zwischen den familiär und den gesellschaftlich zu tragenden Aufgaben, so der Minister. Gleichzeitig fordert er mehr Planbarkeit mit Blick auf die Eigenanteile.
Nicht nur auf die Finanzierung schauen.
Insgesamt macht die Reformdebatte eines deutlich: Sie dreht sich vor allem um die Finanzierung. Dies aber springt zu kurz. Beispielsweise werden Fragen, wie sich perspektivisch eine bedarfsgerechte (regionale) Pflegeinfrastruktur erreichen lässt, lediglich gestreift. Ein Appell an die Länder, doch bitte schön mehr bei den Investitionen zu tun, reicht hier sicherlich nicht aus. Die Schnittstellen zur kommunalen Altenhilfe und der sozialen Quartiersentwicklung sind ebenso ins Blickfeld zu nehmen. Auch ist die Problematik ausgeblendet, wie im Voll- beziehungsweise Sockel-Spitze-Tausch-Modell, in dem die Pflegeversicherung alle Ausgabenrisiken (Mengenausweitung, Preissteigerungen etc.) tragen würde, die Steuerung der Pflegebedürftigen in bedarfsgerechte Settings gelingen kann. Zudem kommt zu kurz, dass die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der ambulanten und der stationären Pflege bereits heute dringend reformiert werden müssen. Wer Pflegebedürftige entlasten und zugleich die Pflegeversicherung nachhaltig sichern will, kann nicht allein an den Finanzierungsgrundlagen ansetzen. Er muss auch das Leistungsgeschehen und die Steuerung des Systems angehen.
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