Patientenregister

Sammeln mit System

Daten zu Operationen, Arzneitherapien oder Medizinprodukten krankheitsbezogen sammeln und sortieren – dazu können Patientenregister dienen. Welche Kriterien für Aufbau, Betrieb und Nutzung der Verzeichnisse gelten sollten, damit sie Transparenz und Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern, beschreibt Prof. Dr. Jürgen Windeler.

Welche Bedeutung die Politik Registern beimisst, hat Jens Spahn im Februar 2021 unterstrichen. Nach dem Beschluss des Kabinettsentwurfs eines Gesetzes zur Zusammenführung von Krebsregisterdaten sagte der Bundesgesundheitsminister: „Die Krebsregister der Länder enthalten wertvolle Informationen. Diese wollen wir noch besser nutzen, um die Krankheit und ihren Verlauf in allen Ausprägungen besser zu verstehen und so Patientinnen und Patienten besser zu versorgen. Deswegen führen wir die Krebsregisterdaten auf Bundesebene zusammen und machen sie der Forschung zugänglich.“ Doch was können Register tatsächlich leisten – und welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein? Was motiviert Fachgesellschaften, Patientenorganisationen oder Klinikverbünde dazu, auf meist freiwilliger Basis eine Datensammlung in Form eines Patientenregisters (siehe Glossar) anzulegen?

Register unterscheiden sich in der Zielsetzung.

Die Erwartungen an Patientenregister sind so vielfältig wie deren Typologie. Register lassen sich grob nach ihrer Hauptzielsetzung unterscheiden. Epidemiologische Register beschreiben zum Beispiel für die Gesundheitsberichterstattung das Auftreten und die Verbreitung von Krankheiten. Krankheitsbezogene Register dienen beispielsweise zur versorgungsnahen Beschreibung von Verläufen der Erkrankung sowie ihrer medizinischen Versorgung. Einige unterstützen daneben die Qualitätsentwicklung durch Benchmarking (Leistungsvergleiche) mit Rückmeldung von Behandlungsergebnissen an die beteiligten Einrichtungen. Diese Zielsetzung gilt in der Regel auch für prozedurenspezifische Patientenregister wie zum Beispiel Transplantations- oder Operationsregister, die außerdem Wissen generieren sollen.

Produkt- oder produktklassenspezifische Register sind nicht selten das Ergebnis von Auflagen der Zulassungsbehörden oder basieren auf gesetzlichen Grundlagen. Sie sollen dazu beitragen, längerfristige Erkenntnisse zu Wirksamkeit und Sicherheit von neuen Arzneimitteln und Medizinprodukten wie künstlichen Gelenken und anderen Implantaten zu gewinnen.

Auswertungen im Blick behalten.

Wenn Patientenregister Aufgaben der Qualitätssicherung zuverlässig erfüllen oder Fragestellungen der medizinischen Forschung gültig beantworten sollen, müssen gründlich qualitätsgesicherte Daten mit einer der Fragestellung angemessenen Auswertungsmethodik aufbereitet werden. Rein beschreibende Auswertungen der Patientendaten, beispielsweise für periodische Berichte, sind eher unkompliziert.

Die Erwartungen an Patientenregister sind so vielfältig wie deren Typologie.

Im Unterschied dazu sind Analysen, die Ergebnisse von Behandlungszentren oder verschiedene Therapien fair vergleichen, mit deutlich höheren Anforderungen an das Auswertungsdesign verbunden. Daher ist es sinnvoll, grundsätzlich zwischen einem Patientenregister als Datensammlung und darauf aufbauenden registerbasierten Studien zu unterscheiden.

Transparenz schaffen.

Mit hungriger Euphorie schauen viele derzeit auf die digitalen Datenschätze in Patientenregistern. Umso mehr erstaunt es, dass niemand genau sagen kann, wie viele und welche Register es mit welchem Datenbestand in Deutschland gibt. Anders als für klinische Studien oder Biobanken fehlt eine Übersicht. Schätzungen zufolge liegt ihre Zahl in einem hohen dreistelligen Bereich. Nur für einen Teil der Patientenregister sind deren als Metadaten bezeichneten Eigenschaften im Detail öffentlich bekannt, etwa die Merkmalskataloge mit den erfassten Daten. Eine vor einigen Jahren vom Bundesforschungsministerium geförderte Initiative des Deutschen Netzwerks für Versorgungsforschung und der Technologie- und Methodenplattform für vernetzte medizinische Forschung zum Aufbau eines Registerverzeichnisses hat keine Früchte getragen. Immerhin besteht in einigen Teilbereichen größere Transparenz. So enthält etwa das europäische Orphanet ein Verzeichnis von Patientenregistern für seltene Erkrankungen. Darin waren 2020 für Deutschland 158 Register gelistet.

Es würde zahlreiche Möglichkeiten für wissenschaftliche Kooperationen eröffnen, wenn es künftig einen Speicherort für Metadaten von Patientenregistern gäbe. Mehr Transparenz bei den Forschungsdatenbeständen wie den Patientenregistern entspräche im Übrigen auch den internationalen „FAIR Data“-Prinzipien für wissenschaftliche Daten. FAIR steht für findable, accessible, interoperable und reusable.

Aufwendige Planung.

Gute Register fallen nicht vom Himmel. Zu ihren Voraussetzungen gehören: sorgfältige Planung, sichere Finanzierung, hohe Qualitätsanforderungen, hohe Ansprüche an den Datenschutz, Klärung von Steuerungsfragen und Interoperabilität, also die Fähigkeit unterschiedlicher Systeme, möglichst nahtlos zusammenzuarbeiten. Diese Bedingungen werden im Folgenden erläutert, um schließlich auch die Eignung von Registern als Basis zur Nutzenbewertung neu zugelassener Arzneimittel zu diskutieren.

Porträt von Rolf Lefering, Leiter des Instituts für Forschung in der Operativen Medizin an der Universität Witten/Herdecke

„Feedback ist wichtig für den Erfolg“

Im G+G-Interview spricht Prof. Dr. Rolf Lefering über Ziele und Herausforderungen des TraumaRegisters DGU der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, die Nutzung der Registerdaten sowie Rückschlüsse für die Versorgung.

Allein mit der Planung eines Registers ist ein nicht zu unterschätzender Aufwand und zeitlicher Vorlauf verbunden. Relevante Punkte dabei sind der Datensatz, Kodierleitfaden, Re­krutierung und Schulung von Erhebungszentren, Registergremien, Personal- und Finanzplanung, Soft- und Hardwarelösungen, Datenschutz, Genehmigungsfragen, Auswertungen und Berichtswesen, Qualitätssicherung, Errichtung der Registerzentrale und vieles mehr. Manche Sammlung von Patientendaten mit dem Anspruch eines Registers ist wegen Planungsmängeln über kurz oder lang zum Datenfriedhof geworden. Wie komplex der Aufbau eines stabilen Patientenregisters ist, das organisatorischen, rechtlichen, technischen und wissenschaftlichen Anforderungen genügt, zeigen das Handbuch der US-amerikanischen Agency for Healthcare Research and Quality (4. Auflage 2020), aber auch das 2019 überarbeitete Memorandum des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung zu Patientenregistern und eine Publikation von Holger Storf und Team zu Registern bei seltenen Erkrankungen (siehe Lese- und Webtipps).

Sichere Finanzierung.

Wenn wie in den skandinavischen Ländern Patientenregister überwiegend auf gesetzlicher Basis bestehen, ist eine langfristig stabile Finanzierung gesichert. Diese Register existieren dort seit vielen Jahrzehnten. Sieht man von Ausnahmen wie den Krebsregistern ab, sind die meisten Patientenregister in Deutschland jedoch akademisch oder in einigen Fällen von Patientenorganisationen initiiert. Sie stehen auf einer von vornherein fragileren, weil auf Freiwilligkeit und Eigenmotivation der Beteiligten aufsetzenden Grundlage. Und sie müssen versuchen, den Registerbetrieb über Eigenbeiträge, Spenden und industrielle Sponsorengelder zu sichern. Da die Behandlungszentren zudem häufig ihre Daten ohne Vergütung an die Register melden, fehlt vielen von ihnen trotz idealistischer Zielsetzungen der Beteiligten die Grundlage, um den steigenden Qualitätsanforderungen genügen zu können.

Diese Basis ist aber unabdingbar, wenn Patientenregister zur Beantwortung wichtiger klinischer Fragen der Fachgesellschaften oder von zentralen Institutionen des Gesundheitswesens wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss als Forschungsplattformen für Studien dienen sollen. Hierfür braucht es zum Schutz vor Fehlinvestitionen und für die Gewähr der wissenschaftlichen Unabhängigkeit von Qualitätsregistern sichere Finanzierungsperspektiven mit einer Förderung aus öffentlicher Hand.

Hohe Qualitätsanforderungen.

Strukturen und Prozesse eines Patientenregisters sollen gezielt dazu beitragen, eine optimale Ergebnisqualität zu erreichen. Letztere zeigt sich vor allem in einer hohen Qualität der Daten (Vollständigkeit, Vollzähligkeit und Richtigkeit), ihrer zeitnahen Verfügbarkeit für Auswertungen und der Wahrung aller Datenschutzanforderungen. Ein Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zur anwendungsbegleitenden Datenerhebung für bestimmte neu bewertete Arzneimittel (siehe Lese- und Webtipps) enthält eine aus verschiedenen Quellen zusammengestellte Liste von Qualitätskriterien für Patientenregister (Auszug: siehe Kasten „Merkmale guter Register“). Zu den unverzichtbaren Qualitätskriterien gehören beispielsweise klar definierte Ein- und Ausschlusskriterien für Registerpatienten und Maßnahmen zur Sicherstellung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten.

Obligate Qualitätskriterien (Beispiele)

  • Detaillierte und aktuell gehaltene Registerbeschreibung
  • Klar definierte Ein- und Ausschlusskriterien für Registerpatienten
  • Maßnahmen zur Sicherstellung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten (z. B. Audits, Schulungen zur Datenerhebung, IT-gestützte Prüfungen)
  • Exakte Definition/Operationalisierung von klinischen Ereignissen und Endpunkten
  • Dokumentation der Prozess- und Definitionsänderungen über die Zeit

Optionale Qualitätskriterien (Beispiele)

  • Verknüpfbarkeit mit anderen Datenquellen
  • Nutzung von Standard-Klassifikationen (z. B. ICD 10 für Krankheiten) und Terminologien
  • Erhebung von patientenberichteten Endpunkten
  • Regelmäßige externe Audits in Erhebungszentren
  • Verwendung exakter Datumsangaben zu Behandlungen

Quelle: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Rapid Report A19-43 Version 1.1, Versorgungsnahe Daten zum Zwecke der Nutzenbewertung, 13.5.2020

Neben den Basisqualitätskriterien für ein Register gelten für registerbasierte Studien zusätzliche Anforderungen. Sie ergeben sich allgemein oder aus der besonderen Studienfragestellung. Für registerbasierte Studien ist immer die Erstellung eines Studienprotokolls und eines statistischen Analyseplans notwendig, eventuell eine Erhebung zusätzlicher oder genauerer Daten und häufig auch eine optimierte Qualitätssicherung der Daten.

Internationale Beispiele.

Wie wichtig die Qualitätskriterien Datenvollständigkeit und -vollzähligkeit im Routinebetrieb der Register sind, zeigen zwei aktuelle Publikationen. Daniel Yang und Kollegen haben die Datensätze von 1,2 Millionen Lungenkrebspatienten des US-amerikanischen nationalen Krebsregisters auf fehlende Daten hin analysiert. Dabei haben sie festgestellt, dass die Zweijahres-Überlebensrate von Patienten mit unvollständigen Daten mit 33 Prozent geringer ist als die von Patienten mit vollständigen Daten (52 Prozent). In vielen Auswertungen des Registers werden Fälle mit unvollständigen Daten ausgeschlossen. Damit kann es zu positiv verzerrten Ergebnissen kommen – die Überlebensrate der Krebspatienten wird überschätzt. Auch bei der Analyse von Daten des zur Qualitätssicherung aufgebauten Koloskopieregisters in Norwegen kann es zu Verzerrungen kommen. Geir Hoff und Team fanden im Abgleich mit dem nationalen Patientenregister heraus, dass die Rate unerwünschter Ereignisse bei Darmspiegelungen in jenen Kliniken, die weniger als die Hälfte ihrer Fälle an das Register gemeldet hatten, 0,6 Prozent betrug. Hingegen lag sie in Zentren, die eine Meldequote von mehr als 90 Prozent hatten, bei 1,6 Prozent. Das lässt darauf schließen, dass durch die Häuser mit geringer Melderate an das Register die Gesamtrate der Komplikationen bei der Koloskopie unterschätzt wird.
 
Ein Blick nach Dänemark gibt einen Eindruck davon, welcher Aufwand notwendig ist, um die Datenqualität in den großen nationalen Registern auf hohem Niveau zu halten. Für das krankenhausbasierte Patientenregister berichtete Morten Schmidt 2015, dass seit 1978 mindestens 114 Studien zu den verschiedensten Krankheitsbereichen nur zur Validierung der Angaben zu Diagnosen und Behandlungen von etwa acht Millionen Patienten dienten. Hauptsächlich werden die Daten zu epidemiologischen Zwecken genutzt. Die Richtigkeitsraten schwankten je nach Erkrankungsart erheblich, wurden aber über die Zeit immer besser. Die Validierung zumeist über aufwendigere Krankenaktenabgleiche ist eine wichtige Daueraufgabe. Deshalb werden solche Studien in Dänemark mit öffentlicher Förderung fortlaufend neu aufgelegt.

Hohe Ansprüche beim Datenschutz.

Auch die Anforderungen des Datenschutzes an ein Patientenregister sollten nicht unterschätzt werden. In die diesbezüglichen Planungs- und mitunter langwierigen Abstimmungsprozesse ist eine Vielzahl Beteiligter einzubeziehen. Zu diesen gehören Rechtsexperten, IT-Spezialisten und Ethikkommissionen. Hinzu kommen die lokal in den Einrichtungen Zuständigen, da die Patientendaten meist multizentrisch erhoben werden. Eine besondere logistische Herausforderung ist die häufig rechtlich gebotene Neueinholung von oft tausenden Patienteneinwilligungen bei inhaltlichen oder strukturellen Änderungen im Register. Das Management dieser komplexen Angelegenheiten rund um Datenschutz, Datensicherheit und informierte Patienteneinwilligung erfordert nicht nur einen sehr professionellen Umgang, sondern auch einen beträchtlichen Ressourcenaufwand.

Klärung von Steuerungsfragen.

Zudem kommt Fragen, wie und von wem ein Patientenregister gesteuert wird und wie es rechtlich und institutionell verankert ist, hohe Bedeutung zu. Wer entscheidet über Nutzungs- und Publikationsrechte oder Kooperationen? Wer hat Datenzugriff oder kann Auswertungen erbitten? Welche Rechte haben die teilnehmenden Erhebungszentren, welche Beteiligung gibt es für Patienten- oder Angehörigenvertreter? Wie groß ist der Einfluss von Sponsoren, wer steuert die Qualitätspolitik?

Gerade die Patientenregister zu seltenen Erkrankungen mit ihren kleinen Fallzahlen würden durch internationale Vernetzung und Datenzusammenführung enorm profitieren.

Solche Fragen sollten in einem Patientenregister geklärt und zum Beispiel in einer Satzung niedergelegt sein. Denn sie entscheiden neben Qualitäts- und Finanzierungsfragen am Ende darüber, ob ein Patientenregister als Kooperationspartner zum Beispiel für öffentliche und gemeinnützige Zwecke – etwa die Durchführung von Sondererhebungen und eingebetteten Interventionsstudien – infrage kommt.

Gewährleistung von Interoperabilität.

Wenn ein Patientenregister mit anderen Datensammlungen, zum Beispiel anderen Registern, elektronischen Patientenakten, Klinikinformations- und Praxisverwaltungssystemen oder Patientenhandys technisch reibungslos Daten austauschen kann, hat das viele Vorteile. Doch nicht nur diese technische Interoperabilität ist ein wichtiges Merkmal, sondern auch die semantische, das heißt, ob in verschiedenen Datenbankstrukturen dieselbe Sprache gesprochen wird. Der Aufwand einer Zusammenführung der Daten aus zwei Patientenregistern zu seltenen Erkrankungen wird unabhängig von der Technik schwierig oder gar unmöglich, wenn Diagnosen, Symptome oder Laborbefunde nach jeweils unterschiedlichen Klassifikationssystemen kodiert oder gar in unstrukturierter Klartextform vorliegen. Gerade die Patientenregister zu seltenen Erkrankungen mit ihren kleinen Fallzahlen würden durch internationale Vernetzung und Datenzusammenführung enorm profitieren. Daher waren hier besonders intensive Anstrengungen zu beobachten, sich auf einheitliche Terminologien, Klassifikationssysteme und standardisierte Kerndatensätze zu verständigen. Aber auch bei häufigen Erkrankungen würde sich sich der Aufwand vermindern, wenn man aus der Klinik- oder Praxisverwaltungssoftware die für das Register benötigten Daten per Knopfdruck exportieren könnte, statt sie händisch zu übertragen. Insofern sind alle Patientenregister, die nicht alleinstehende Silos bleiben wollen, herausgefordert, beide Formen der Interoperabilität herzustellen.

Anhaltspunkt in der Nutzenbewertung.

Patientenregister können Daten zur Beantwortung zahlreicher Fragen liefern. Doch welche Rolle können sie bei der Nutzenbewertung neu zugelassener Arzneimittel spielen?
 
Wie der oben erwähnte IQWiG-Bericht verdeutlicht, sollten Registerdaten nur unter bestimmten Voraussetzungen und mit Abstrichen als Studienbasis für die Nutzenbewertung dienen. Die Voraussetzungen betreffen die individuell zu prüfende Qualität und Eignung eines Patientenregisters zur Beantwortung der Fragestellungen einer Studie zur Nutzenbewertung. Die Abstriche ergeben sich dadurch, dass die Aussagensicherheit der gefundenen Ergebnisse eines Therapievergleichs bei einer Registerdatenauswertung nur das Level eines „Anhaltspunktes“ für einen Nutzen oder Schaden erreichen kann und nicht das eines „Hinweises“ oder gar „Belegs“ (Begriffe aus der Nutzenbewertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, AMNOG). Auch bei sehr guter Datenqualität eines Registers ist nicht auszuschließen, dass gefundene Unterschiede ganz oder zum Teil durch unbekannte Störgrößen (Confounder) zustande gekommen sind (Windeler 2017, siehe Lese- und Webtipps). Der Grund: Anders als in einer randomisiert-kontrollierten Studie (RCT, siehe Glossar) fehlt bei Registern die Zufallszuweisung, die für einen fairen Vergleich unterschiedlich behandelter Patientengruppen sorgt. Nur wenn die Störgrößen bekannt und im Registerdatensatz abgebildet sind, lassen sich Verzerrungen durch statistische Adjustierungsverfahren ausgleichen.

Ein besseres Gefühl in Hinblick auf die Aussagensicherheit bieten große Ergebnisunterschiede in Interventionsvergleichen mit Beobachtungsdaten, die nicht mehr mit Verzerrung erklärbar sind. Aber neue Therapien sind in der Praxis nur selten sehr viel besser als die zweckmäßigen Vergleichstherapien. Deshalb ist und wird die Nutzung von Patientenregisterdaten für das sichere Aufdecken kleiner Therapieeffekte nicht die erste Wahl als Instrument der klinischen Forschung.

Registerbasierte RCTs als Option.

Eine interessante Option für die Nutzenbewertung von Interventionen sind registerbasierte RCTs. Insbesondere in Skandinavien haben Forscher bereits mehrfach solche Studien aufgelegt. Dabei lässt sich die Infrastruktur des Patientenregisters nutzen, um den RCT zu planen und befristet umzusetzen. Für die Auswertung stehen neben oft nur wenigen neu erhobenen Daten die ohnehin erfassten Registerdaten zur Verfügung. Das spart Zeit, Aufwand und Geld und bietet zudem Möglichkeiten zu längeren Nachbeobachtungen.

Weiterentwicklung zu Forschungsplattformen.

Der Aufwand für Errichtung und Betrieb eines qualitativ hochwertigen Patientenregisters ist beachtlich. Es reicht nicht, auf einem Server eine Registersoftware zu installieren. Ein funktionierendes Patientenregister mit guter Datenqualität muss professionell geführt, ausreichend finanziert und stetig weiterentwickelt werden. Ein Register ist ein sozio-technisches System: Insbesondere, wenn die Datenerhebung auf Freiwilligkeit basiert, muss der Motivation der Patienten und der teilnehmenden Zentren gebührend Beachtung geschenkt werden. Dazu gehören eine intensive interne Kommunikation im Registerverbund mit Berichtswesen, Schulungen und guter Betreuung aus der Registerzentrale.
 
Für Nutzenbewertungen können Beobachtungsdaten aus Patientenregistern unter bestimmten Voraussetzungen herangezogen werden. Dies stellt aber im Vergleich zu kontrollierten klinischen Studien eine nachrangige Option dar. Wenn man Vorlauf und Aufwand für die Errichtung eines echten Qualitätsregisters mit umfassendem und validem Datensatz betrachtet, ist eine prospektive klinische Studie meist ökonomischer.
 
Bisher haben sich in Deutschland nur wenige Patientenregister mit sehr hoher Qualität etabliert. Dennoch ist es forschungspolitisch sinnvoll, ergänzend zu den universitär basierten Datensammlungen der Medizininformatik-Initiative (siehe Glossar) über den Aufbau neuer und die Weiterentwicklung vorhandener Register zu Forschungsplattformen nachzudenken. Die Umsetzung wird dauern und nicht ohne gezielte öffentliche Förderung auskommen. Da die Mittel begrenzt sind, scheint hierbei eine Priorisierung unvermeidbar. Diese sollte an wissenschaftlichen Qualitätsmaßstäben sowie der Perspektive von Public Health und gesetzlicher Krankenversicherung orientiert sein.

Glossar:

Patientenregister

Ein organisiertes System, das mit der Methodik einer Beobachtungsstudie einheitliche Daten (klinische und andere) sammelt, die bei definierten Populationen von Erkrankten, Exponierten oder Merkmalsträgern der Evaluation festgelegter Endpunkte dienen, und das vorab bestimmte wissenschaftliche, klinische oder programmatische Zwecke verfolgt.

(Agency for Healthcare Research and Quality)

Randomized Controlled Trial (RCT)

Wenn die Wirkung einer Behandlung oder Untersuchung geprüft werden soll, geben randomisierte Studien die zuverlässigsten Antworten. Weil der Effekt einer Behandlung in solchen Studien oft mit keiner Therapie (oder einer anderen) verglichen wird, zeigt sich dabei auch, was passiert, wenn man sich gegen eine Behandlung oder Untersuchung entscheidet. In einer randomisierten kontrollierten Studie werden die Teilnehmenden per Zufall unterschiedlichen Gruppen zugeordnet. Idealerweise geschieht die Zuordnung doppelt verblindet: Dann wissen weder die Teilnehmenden noch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, wer zu welcher Gruppe gehört.

(gesundheitsinformation.de)

Nutzenbewertung/AMNOG

Seit dem 1. Januar 2011 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) die gesetzliche Aufgabe, für alle neu zugelassenen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sofort nach Markteintritt eine (Zusatz-)Nutzenbewertung durchzuführen. Den Auftrag zur Nutzenbewertung erhielt der GBA über das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG). Das Ergebnis der Zusatznutzenbewertung ist die Entscheidungsgrundlage dafür, wie viel die gesetzliche Krankenversicherung für ein neues Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff zahlt.

(Gemeinsamer Bundesausschuss)

Medizininformatik-Initiative

Mit der Medizininformatik-Initiative sollen die Chancen der Digitalisierung in der Medizin für Versorgung und Forschung bestmöglich genutzt werden. In einem ersten Schritt werden an Universitätskliniken und Partnereinrichtungen Datenintegrationszentren aufgebaut und vernetzt. In diesen Zentren werden die Voraussetzungen geschaffen, um Forschungs- und Versorgungsdaten standortübergreifend verknüpfen zu können. Gleichzeitig werden für konkrete medizinische Anwendungen innovative IT-Lösungen entwickelt, die die Möglichkeiten moderner digitaler Dienstleistungen und Infrastrukturen im Gesundheitsbereich zeigen sollen.

(medizininformatik-initiative.de)

Jürgen Windeler leitet das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
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