Covid-19

Pflegeheime im Krisenmodus

Viele Infizierte und Tote, mangelnde ärztliche Versorgung, ausgebrannte Beschäftigte: Corona hat die stationäre Pflege an ihre Grenzen gebracht. Im Projekt Covid-Heim berichten Einrichtungsleitungen und Pflegekräfte, wie sich die Pandemie in ihren Häusern auswirkte. Daraus lassen sich Schlüsse für Verbesserungen ziehen. Von Christian Hering und Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey

Während der Corona-Pandemie sind Alten- und Pflegeheime zu „Hotspots“ geworden – Orte mit besonders vielen infizierten und erkrankten Menschen. Immer wieder standen und stehen die Einrichtungen aufgrund von Covid-19-Ausbrüchen in der medialen Aufmerksamkeit. In der ersten Welle der Covid-19-Pandemie (März bis Juni 2020) entfielen laut Robert-Koch-Institut in Deutschland 86 Prozent der Todesfälle durch oder mit Covid-19 auf die Altersgruppe 70plus. Weltweit waren bis Februar 2021 unter den Covid-19-bedingten Todesfällen rund 41 Prozent Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen. Aber nicht nur die alten Menschen selbst, sondern auch ihre Angehörigen und die Pflegekräfte sahen sich einer neuen Wirklichkeit gegenüber, die sie unvorbereitet traf und für erhebliche Zusatzbelastungen sorgte. Das Projekt Covid-Heim (siehe Kasten „Eckdaten des Projekts Covid-Heim“) zeichnet ein umfängliches Bild der Krisensituation in deutschen Pflegeheimen, um daraus Lehren für Reformen zu ziehen.

Personalmangel erhöht Belastungen.

Nicht erst seit Beginn der Pandemie besteht in der stationären Pflege Reformbedarf. In Deutschland versorgen in 15.400 stationären Pflegeeinrichtungen unterschiedlicher Größe und Trägerschaft laut Pflegestatistik 2019 etwa 796.000 Beschäftigte 818.300 pflegebedürftige Frauen und Männer. Die Zusammensetzung der Bewohnerschaft hat sich erheblich gewandelt. Das betrifft sowohl ihre gesundheitliche Situation, gekennzeichnet durch chronische Erkrankungen, erhebliche Funktionseinschränkungen, reduzierte Mobilität, häufig auch kognitive Beeinträchtigungen und Multimorbidität als auch ein sehr hohes Lebensalter. Anfang der 1970er-Jahre lag das durchschnittliche Heimeintrittsalter noch bei rund 72 Jahren. Es stieg bis Mitte der 2000er-Jahre bereits auf deutlich über 80 Jahre an, bei abnehmender Verweildauer.

Neben den damit verbundenen komplexer werdenden Versorgungsanforderungen sieht sich die Pflege in den Heimen einer sehr hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt. Es mangelt erheblich an Personal. Im Jahr 2018 wurden 17.000 offene Stellen in Pflegeheimen registriert, darunter 11.400 für Altenpflegekräfte. Pflegekräfte leiden unter der daraus entstehenden Arbeitsintensivierung, die sie eigenen Angaben zufolge mit Abstrichen bei der Qualität ihrer pflegerischen Leistung kompensieren.

Studie nutzt mehrere Datenquellen.

Um zu untersuchen, wie die Corona-Pandemie die ohnehin schwierige Lage beeinflusst hat, greift das Projekt Covid-Heim auf unterschiedliche Datengrundlagen zu. Die Projektbeteiligten haben unter anderem das Infektionsgeschehen in den Heimen, die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner, die Impfkampagne sowie die Belastung des Pflegepersonals analysiert. Dazu haben sie Heimleitungen und Pflegekräfte zu jeweils zwei Zeitpunkten online befragt.

Die erste Befragung fand im Zeitraum vom 15. November 2020 bis 28. Februar 2021 statt und bezog sich auf die erste Infektionswelle. Die zweite Befragung erstreckte sich über den Zeitraum vom 26. Oktober 2021 bis 31. Januar 2022 und fokussierte das aktuelle Geschehen in den Heimen.

  • Verbundpartner
    Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitations­wissenschaft (IMSR) der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Rechtsmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin & Forschungsbereich Pflege, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO)
  • Projektleitung
    Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey, Prof. Dr. Paul Gellert (IMSR)
    Prof. Dr. Klaus Jacobs, Dr. Antje Schwinger (WIdO)
  • Projektmitglieder
    Prof. Dr. Michael Tsokos, PD Dr. Sven Hartwig, Monique Dullin, Prof. Dr. Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Christian Hering, Annabell Gangnus, Raphael Kohl, Jürgen Klauber, Dr. Kathrin Jürchott, Dr. Miriam Räker, Sören Matzk
  • Laufzeit 1.7.2020 bis 30.6.2022
  • Finanzierung
    Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband), Forschungsstelle Pflegeversicherung
  • Datengrundlagen
    1. Analyse von Abrechnungsdaten von AOK-versicherten Heimbewohnenden der ersten beiden Infektionswellen
    2. Zwei Online-Befragungen von Heimleitungen und Pflegepersonal, vertiefende Interviews mit Heimleitungen, Pflegepersonal und Heimbewohnenden
    3. Analyse von Infektionsschutzverordnungen der Bundesländer während der ersten beiden Infektionswellen
    4. Obduktionsanalyse von verstorbenen Heimbewohnenden während der ersten Infektionswelle

Für die Befragung der Heimleitungen wurden sämtliche Einrichtungen der vollstationären Langzeitpflege in Deutschland via Post oder E-Mail zur Teilnahme an der Studie eingeladen. Innerhalb der ersten Befragung entschieden sich 1.537 Heimleitungen und in der zweiten Befragung 1.476 Heimleitungen für eine Teilnahme. Das Pflegepersonal wurde vor allem in den sozialen Medien auf die Befragung aufmerksam gemacht. Daraufhin nahmen 1.405 Pflegekräfte an der ersten Befragung und 1.843 Pflegekräfte an der zweiten Befragung teil. In die Auswertung gingen nur die Fragebögen ein, die für die jeweiligen Fragestellungen Daten lieferten. Darüber hinaus fanden vertiefende Interviews unter anderem mit Pflegekräften statt. Ergänzend werteten die Projektbeteiligten gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) Abrechnungsdaten von AOK-versicherten Heimbewohnern aus, unter anderem zur Sterblichkeit. Sie analysierten Infektionsschutzverordnungen der Bundesländer während der ersten beiden Infektionswellen und bezogen die Ergebnisse von Obduktionen verstorbener Heimbewohnerinnen und -bewohner in die Studie ein.

Ergebnisse decken Defizite auf.

Die Ergebnisse der Online-Befragung zeigen, dass fast jedes in der Studie berücksichtigte Heim im Laufe der Pandemie einen Covid-19-Ausbruch verzeichnete. Zudem nahmen während der ersten Infektionswelle mit steigender Zahl von Covid-19-Fällen in den Einrichtungen hausärztliche Versorgungsdefizite zu. Viele Heime erließen zunächst zum Infektionsschutz Zugangsbeschränkungen für externe Gesundheitsdienstleistende (beispielsweise für Hausärzte und Teams der Palliativversorgung). Die Einrichtungen haben diese Beschränkungen jedoch mit Fortschreiten der Pandemie und Einsetzen der Impfkampagne überwiegend aufgehoben.
 
Die Impfquote des Pflegepersonals blieb hinter der Impfquote der Bewohner zurück. Dabei stellten sich sowohl die Furcht vor Nebenwirkungen und Langzeitfolgen als auch eine Skepsis gegenüber der Wirksamkeit der Impfstoffe als Motive gegen eine Covid-19-Impfung heraus. Die enormen zusätzlichen Arbeitsanforderungen mündeten nach etwa zwei Jahren der Pandemie für ein Großteil der Pflegekräfte in ein mindestens moderates Burnout. Die Ergebnisse des Projektes Covid-Heim geben somit Anlass für Empfehlungen von Reformen im Bereich der vollstationären Langzeitpflege.

Corona-bedingte Todesfälle in der Hälfte der Heime.

Von rund 1.000 befragten Heimleitungen bestätigten 26 Prozent einen Covid-19-Ausbruch in ihrer Einrichtung während der ersten Infektionswelle (1. März bis 30. Juni 2020). Etwa acht Prozent der Heimleitungen gaben an, dass in diesem Zeitraum in ihrer Einrichtung mindestens eine Bewohnerin oder Bewohner aufgrund von Covid-19 starb. Insgesamt haben etwa 71 Prozent der Einrichtungen im angegebenen Zeitraum auf Sars-CoV-2 getestet. Im zweiten Befragungszeitraum im Herbst/Winter 2021 bestätigten fast neun von zehn der rund 1.000 befragten Heimleitungen einen Covid-19-Ausbruch in ihrer Einrichtung seit Beginn der Pandemie (87 Prozent). Fast die Hälfte der Heimleitungen gab an, dass mindestens eine Bewohnerin oder Bewohner aufgrund von Covid-19 (47 Prozent) starb. In 90 Prozent der Heime wurde regelmäßig auf Sars-CoV-2 getestet.

Die Gesundheitsversorgung der Bewohnerinnen und Bewohner während der Pandemie stellte eine besondere Herausforderung dar. Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die Einrichtungen zum Schutz vor einer Ausbreitung von Covid-19 Zugangsbeschränkungen für Besucherinnen und Besucher, aber auch für externe Dienstleistende erlassen haben (siehe Grafik „Corona verschließt Türen: Heimzugang für Ärzte und Therapeuten erschwert“).

Balkendiagramm: Corona verschließt Türen – Heimzugang für Ärzte und Therapeuten erschwert

Um ihre Bewohner vor Infektionen zu schützen, galten in der ersten Corona-Welle in vielen Heimen Zugangsbeschränkungen für Gesundheitsdienstleistende. So gab rund ein Drittel der im Projekt Covid-Heim befragten Heimleitungen an, dass Hausärzte ihre Einrichtung mit Einschränkungen, beispielsweise nur in Notfällen betreten durften. In der zweiten Befragung zwischen Oktober 2021 und Januar 2022 hatten Hausärzte in 86 Prozent der Heime wieder uneingeschränkten Zugang.

Quelle: Covid-Heim, 2022

Nach Angaben der Heimleitungen unterlagen Hausarztbesuche in jedem dritten Pflegeheim Zugangsbeschränkungen (33 Prozent). Sie erhielten beispielsweise nur in Notfällen Einlass. Für Zahnärztinnen und -ärzte (51 Prozent) und Psychiaterinnen und Psychiater (39 Prozent) galten noch häufiger Zugangsbeschränkungen. Am häufigsten wurde jedoch der Zugang für Psychotherapeutinnen und -therapeuten während der Pandemie beschränkt (67 Prozent). In einem von fünf Heimen war den Psychotherapeuten während der ersten Infektionswelle der Zugang sogar komplett untersagt (20 Prozent). Weniger Einschränkungen galten in der Palliativversorgung: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Palliative Care hatten in zwei Dritteln der Heime weiterhin Zugang ohne Einschränkungen (66 Prozent).

Zugangsbeschränkungen teilweise aufgehoben.

Die Ergebnisse der zweiten Befragung im Herbst/Winter 2021 zeigten einen deutlich verbesserten Zugang für externe Gesundheitsdienstleistende. Hausarztbesuche waren laut Heimleitungen in fast neun von zehn Pflegeheimen wieder ohne Einschränkungen möglich (86 Prozent). Auch für Zahnärzte (82 Prozent) und Psychiater (84 Prozent) war der Zugang nun in acht von zehn Pflegeheimen, in denen diese auch vor der Pandemie Zugang hatten, wieder ohne Einschränkungen möglich. Für Psychotherapeuten galten jedoch noch immer in etwa einem Viertel der Heime Zugangsbeschränkungen (27 Prozent). Für die palliative Versorgung zeigt sich ebenfalls ein leicht verbesserter Zugang: 83 Prozent der Heime gewährten diesen Fachkräften einen uneingeschränkten Zugang.

Neben den Zugangsbeschränkungen hatte die Größe der Einrichtungen Einfluss auf die Versorgung. Kleine Pflegeheime mit bis zu 50 Bewohnerinnen und Bewohnern verzeichneten in der ersten Corona-Welle häufiger hausärztliche Versorgungsdefizite als mittlere (mehr als 50 bis zu 100 Bewohnern) oder große Pflegeheime (mehr als 100 Bewohner). Jedes fünfte Heim, in dem es mindestens einen Covid-19-Fall gab, bestätigte hausärztliche Versorgungsdefizite bei Routineuntersuchungen. Der Anteil der Heime mit hausärztlichen Versorgungsdefiziten wächst mit der Zahl der Covid-19-Fälle in der jeweiligen Einrichtung auf bis zu 33 Prozent in Heimen mit mehr als 20 Fällen.

Impfquote ermittelt.

Die im Dezember 2020 beginnende Impfkampagne gegen Covid-19 half, die Pflegebedürftigen zu schützen. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ließ jedoch befürchten, dass Pflegekräfte abwandern. Die Impfquote unter den Beschäftigten blieb hinter der Impfquote unter den Heimbewohnern zurück. Das Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichte im Januar 2022 zwar erste Daten zur Impfquote von Personal und Bewohnern in Pflegeheimen – Motive für oder gegen eine Impfung waren bis dato aber nicht erhoben worden. Im Projekt Covid-Heim gaben rund 1.000 Heimleitungen und rund 1.500 Pflegekräfte Auskunft zur Impfkampagne. Nach Ende der zweiten Befragung im Herbst/Winter 2021 waren nach Angaben der Heimleitungen und Pflegekräfte im Mittel neun von zehn Bewohnerinnen und Bewohner (91 Prozent, 88 Prozent) und acht von zehn Pflegekräften vollständig gegen Covid-19 geimpft (84 Prozent, 78 Prozent). Diese Ergebnisse deckten sich weitestgehend mit den vom RKI ausgewiesen Impfquoten im entsprechenden Zeitraum. Etwas mehr als zwei Drittel der Heimleitungen gaben an, dass nicht alle Bewohnerinnen und Bewohner ihrer Einrichtung geimpft seien.

Motive für Impfentscheidung erfragt.

Das Projekt erfasste auch die Gründe von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Pflegekräften, sich gegen eine Impfung zu entscheiden. Mehr als die Hälfte der Heimleitungen (58 Prozent) berichtete, dass sich einige Bewohner aus Angst vor Nebenwirkungen nicht impfen ließen. Mögliche Langzeitfolgen der Impfung spielten bei der Ablehnung einer Impfung ebenso eine Rolle (36 Prozent). Mehr als ein Viertel der Heimleitungen führt darüber hinaus die Ablehnung durch Angehörige, schwere demenzielle oder psychiatrische Erkrankungen sowie eine Ablehnung aufgrund bereits palliativer Versorgung als Motiv an.

Balkendiagramm: Corona belastet Pflegekräfte – Ein Viertel zeigt starke Burnout-Symptome

Nach zwei Jahren Pandemie sind viele Pflegekräfte erschöpft. So gab jeweils etwa ein Viertel der im Projekt Covid-Heim befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, „immer“ beziehungsweise „sehr stark“ nach einem Arbeitstag völlig fertig zu sein, von der Arbeit frustriert zu sein und sich aufgrund der Arbeit ausgebrannt zu fühlen. Nach dem der Befragung zugrunde gelegten „Copenhagen Burnout Inventory“ hatten 76 Prozent der Pflegekräfte ein mindestens moderat ausgeprägtes Burnout, 25 Prozent ein stark ausgeprägtes Burnout.

Quelle: Covid-Heim, 2022

Unter den befragten Pflegekräften lag die Impfquote bei 81 Prozent. Als Hauptmotive für die Impfung nannten sie den Schutz der Angehörigen (76 Prozent), den eigenen Schutz vor einer Covid-19-Erkrankung (75 Prozent) und den Schutz der Heimbewohnerinnen und -bewohner (70 Prozent). Rund ein Fünftel der befragten Pflegekräfte ließ sich (bisher) nicht gegen Covid-19 impfen. Als Motive gegen die Impfung führten sie vor allem eine Skepsis gegenüber der Wirksamkeit (79 Prozent), Befürchtungen hinsichtlich Langzeitfolgen und Nebenwirkungen (76 Prozent; 72 Prozent) als auch eine Skepsis gegenüber der wissenschaftlichen Fundierung der zugelassenen Impfstoffe an (71 Prozent). Ein höheres Alter, eine Beschäftigung in Vollzeit, häufige Gedanken an die Aufgabe des Berufs seit Beginn der Pandemie (einige Male in der Woche, jeden Tag), der Tätigkeitsort (Norddeutschland, Westdeutschland), Covid-19-Todesfälle in der Einrichtung und die geschätzte Impfquote des Pflegepersonals in der Einrichtung waren assoziiert mit der Entscheidung für eine Covid-19-Impfung bei den Beschäftigten.

Personalknappheit erhöht Arbeitslast.

Personalknappheit ist in vielen deutschen Pflegeheimen – nicht erst seit Beginn der Pandemie – ein zentrales Problem. Dieser Mangel bedingt die seit vielen Jahren beklagten überdurchschnittlich hohen psychischen und physischen Belastungen in der Pflege mit und führte im Rahmen der Pandemie zu weiteren Fluktuationen und einer deutlich höheren Arbeitslast. Im Projekt Covid-Heim bestätigten 94 Prozent der Pflegekräfte, dass die Arbeitsanforderungen seit Beginn der Pandemie gestiegen sind. Vor allem die Sorgen der Angehörigen von Heimbewohnern (95 Prozent), die eigene Sorge vor Infektionen unter den Bewohnern (95 Prozent), aber auch die Umsetzung von Handlungsempfehlungen zum Infektionsschutz (93 Prozent) führten während der ersten Infektionswelle zu einer hohen Belastung der Pflegekräfte.
 
Zusätzlich erwähnen die Befragten in den Interviews, dass Pflegekräfte ausgefallene Angehörigenbesuche kompensieren mussten, was wiederum die Arbeit stark verdichtete. Es zeigte sich, dass Pflegekräfte, die in Einrichtungen mit Demenz als pflegefachlichem Schwerpunkt arbeiteten, eher unter diesen Belastungen litten. Bei etwa sechs von zehn Pflegekräften zeigten sich Stress, Angst oder Depressionssymptome in einem klinisch relevanten Ausmaß. Ein guter sozialer Zusammenhalt und Unterstützung auf der Arbeit – wo vorhanden – konnten Stress, Angst und Depressivität merklich abmildern.

94 Prozent der Pflegekräfte gaben an, dass die Arbeitsanforderungen seit Pandemiebeginn gestiegen sind.

Die Daten aus dem zweiten Befragungszeitraum im Herbst/Winter 2021 und der mittlerweile vierten Corona-Infektionswelle zeigen, dass drei Viertel der Pflegekräfte (76 Prozent) ein mindestens moderat ausgeprägtes arbeitsbezogenes Burnout, ein Viertel sogar ein stark ausgeprägtes Burnout aufweisen (siehe Grafik „Corona belastet Pflegekräfte: Ein Viertel zeigt starke Burnout-Symptome“). Fast drei Viertel der befragten Pflegekräfte gaben an, nach einem Arbeitstag immer/oft völlig fertig zu sein (73 Prozent). Mehr als die Hälfte der Pflegekräfte gab an, schon morgens immer/oft erschöpft zu sein, wenn sie an den vor ihnen liegenden Arbeitstag denken.

Regelmäßige Tests zur Infektionsprävention.

Die Ergebnisse aus dem Projekt Covid-Heim zeigen, dass fast alle Einrichtungen im Laufe der Pandemie von einem Covid-19-Ausbruch betroffen waren, jedoch nicht alle Heime regelmäßig auf Covid-19 testeten. Die Entwicklung von einheitlichen Infektionsschutzkonzepten, speziell für die Heimversorgung, sollte daher gestärkt und deren Umsetzung verankert werden. Eine anhaltende, flächendeckende, regelmäßige Testung ist empfohlen und sollte daher nach Möglichkeit zur Infektionsprävention weiterhin Anwendung finden. Das Vorhalten von Infektionsschutzmaterial und -bekleidung sollte zum Standard in der Heimversorgung gehören. Eine zentrale Rolle kommt in diesem Zusammenhang der kontinuierlichen Schulung von Heimbewohnern, ihren Angehörigen sowie bei den Pflegekräften zu Hygiene und Infektionsschutz zu. Im Falle eines Infektionsgeschehens in einem Pflegeheim sollte der Zugang von Gesundheitsdienstleistenden gewährt bleiben, sodass eine zuverlässige ärztliche Versorgung der meist schwer kranken Menschen auch bei einem Corona-Ausbruch gegeben ist.

Lösungsansätze zur Stabilisierung der ärztlichen Versorgung im Heimbereich sollten auch im Kontext neuer Möglichkeiten der Digitalisierung gefunden werden. Diese erlauben technisch heute schon Fernvisiten und -konsultationen. Die Rahmenbedingungen für stabile technische und vertragliche Lösungen gilt es zu erarbeiten.

Konzepte zur Entlastung etablieren.

Hinsichtlich der Impfkampagne deuten die Ergebnisse aus dem Projekt Covid-Heim auf ein Informationsdefizit hin. Dem konnte während der Impfkampagne womöglich nicht ausreichend begegnet werden. Eine systematische und transparente Gegenüberstellung von etwaigen Nebenwirkungen der Impfstoffe, den Wirkmechanismen und den Risiken einer Impfablehnung könnten helfen, mögliche Sorgen zu adressieren. Diese Informationen sollten den Pflegeeinrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Die beschriebenen hohen Belastungen der Pflegekräfte lassen sich durch moderne Konzepte auffangen, die die Arbeit mit den Angehörigen einbeziehen. Zudem ist eine bessere Ausstattung mit Pflegepersonal anzustreben. Außerdem können strategische Ansätze wie die Förderung von Supervision, psychosozialer Beratung, Programmen und Workshops zur Vorbeugung vor psychischen Erkrankungen und Burnout sowie zur Verbesserung des Arbeitsklimas die hohen Anforderungen des Altenpflegeberufs abfedern.

Christian Hering, M.Sc.-Psych., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Adelheid Kuhlmey ist Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
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