Interview

„Der Setting-Ansatz ist entscheidend“

Sportlich aktive Menschen haben ein fünffach niedrigeres Risiko für Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes, sagt Prof. Dr. Alexander Woll. Der Sportwissenschaftler plädiert für mehr Bewegungsförderung in Kindertagesstätten, Schulen und Betrieben.

Herr Professor Woll, in einer Langzeitstudie erforschen Sie, wie sich Sport auf die Gesundheit auswirkt. Mit welchen Ergebnissen?

Alexander Woll: Wir können Entwicklungsverläufe im mittleren und späteren Erwachsenenalter nachvollziehen und zeigen, dass sich die motorische Leistungsfähigkeit pro Lebensjahr um etwa ein Prozent verschlechtert. Sportler sind – was das biologische Alter angeht – im Durchschnitt zehn Jahre jünger. Und sportlich aktive Menschen haben ein fünffach niedrigeres Risiko für Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes. Körperliche Aktivität stellt eine wichtige physische Gesundheitsressource dar, und sie ist bedeutend für die psychische Gesundheit. Wir sehen solche Effekte ab zwei Stunden Sport pro Woche. Die Empfehlung für Erwachsene liegt allerdings bei wenigstens 150 Minuten pro Woche.

Portrait Alexander Woll

Zur Person

Prof. Dr. Alexander Woll leitet das Institut für Sport und Sportwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie. Er ist Mitglied in der Experten-Kommission „Gesundheitsziele“ des Bundesgesundheitsministeriums.

Warum müssen schon Kinder zu mehr Bewegung animiert werden?

Woll: In einer Studie haben wir über einen Zeitraum von zwölf Jahren Kinder und Jugendliche beobachtet und festgestellt: Die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem übergewichtigen Kind ein übergewichtiger Erwachsener wird, liegt bei 70 bis 80 Prozent. Ich muss früh intervenieren, um das zu verhindern. In den Kindergärten hängt das vor allem von den vorhandenen Bewegungsräumen und der Qualifikation der Erzieherinnen ab. In deren Ausbildung spielt das Thema Bewegung noch eine untergeordnete Rolle.

Welche Rolle spielt der Setting-Ansatz in der Bewegungsförderung?

Woll: Der Setting-Ansatz ist entscheidend für den Erfolg der Prävention. Man versucht, Menschen dort abzuholen, wo sie einen Großteil ihrer Zeit verbringen: am Arbeitsplatz, in der Kita oder der Schule. Prävention sollte nicht nur am Verhalten des Individuums ansetzen, sondern auch die Umgebungsbedingungen in den Blick nehmen, die sozialen und die ökologisch-räumlichen. Beispiel Kommune: Man kann schlecht sagen, bewegt euch mehr, wenn es nur stark befahrene Durchgangsstraßen gibt, die sich kaum überqueren lassen. Mit rein verhaltensorientierten Programmen erreichen wir nur die Menschen mit dem geringsten Risiko. An sozial schwierige, bildungsferne oder hochbelastete Gruppen, die es besonders nötig hätten, kommt man so nicht.

Mit verhaltensorientierten Programmen erreichen wir nur die Menschen mit dem geringsten Risiko.

Wie lassen sich Menschen am Arbeitsplatz am besten erreichen?

Woll: Das Angebot muss attraktiv sein, aber es gilt auch von Führungsseite zu erkennen, dass das Thema relevant ist. Etwa indem ein Unternehmen sagt: Wenn jemand an einem Gesundheitskurs teilnimmt und dafür zwei Stunden opfert, tragen wir die Hälfte der Zeit. Das ist inzwischen angekommen. Gerade in großen und mittleren Unternehmen ist es nicht mehr die Frage, ob etwas gemacht wird, sondern wie und wie viel.

Was hat das Präventionsgesetz bewirkt?

Woll: Es ist gut, dass es das Präventionsgesetz gibt. Alle Krankenkassen sind jetzt verpflichtet, sich stärker zu engagieren. Jeder Euro, den wir mehr in die Prävention stecken und weniger in die Reha oder Therapie, ist sinnvoll. Die Angebote müssen ausgeweitet und qualitativ verbessert werden. Die Zentrale Prüfstelle Prävention ist dabei, den Kriterienkatalog zu differenzieren. Es gibt inzwischen genügend evidenzbasierte Programme, deren Erkenntnisse in die Prüfkataloge aufgenommen werden sollten.

Anne Wäschle stellte die Fragen. Sie ist verantwortliche Redakteurin im Ressort Interne Kommunikation des KomPart-Verlags.
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