Arzneimittel

Kein Anspruch auf Medizinal-Cannabis

Patienten, die regelmäßig unter schwersten Kopfschmerzen leiden, können sich auch weiterhin nicht auf Kosten der Krankenkassen mit Medizinalcannabis behandeln lassen. Einen Eilantrag wies das Bundesverfassungsgericht zurück und stellte dabei noch einmal die Prüfungsanforderungen für die Fachgerichte klar. Von Anja Mertens

Beschluss vom 26. Juni 2018
– 1 BvR 733/18 –

Bundesverfassungsgericht

Bei starken chronischen Schmerzen

hoffen manche Patienten auf das Hanfprodukt Cannabis. Seit März 2017 können Ärzte cannabishaltige Arzneimittel verschreiben (Paragraf 31 Absatz 6 Sozialgesetzbuch V). Die Kosten übernehmen die Krankenkassen, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Mit der Neuregelung will der Gesetzgeber schwerkranken Patienten den Zugang zu cannabishaltiger Medizin ermöglichen und erleichtern, wenn ihnen nicht anders geholfen werden kann.

Kostenübernahme abgelehnt.

Nun lag dem Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde eines an Clusterkopfschmerzen erkrankten Patienten vor. Bei Clusterkopfschmerz handelt es sich um einen meist einseitig im Bereich von Schläfe und Auge lokalisierten, extrem heftigen Schmerz, der gehäuft auftritt. Die Ärztin verschrieb dem seit 2008 unter stundenlangen schwersten Schmerzattacken leidenden Patienten Medizinal-Cannabis. Die Krankenkasse hatte die Kostenübernahme abgelehnt.

Begründung: Es gebe keine ausreichenden Studien, die belegten, dass eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare Besserung durch Cannabis besteht. Dagegen klagte der Patient zunächst vor dem Sozialgericht Frankfurt und dann vor dem Hessischen Landessozialgericht (LSG). Er verlangte im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die vorläufige Versorgung mit Medizinal-Cannabis und einem Vaporizer (Verdampfer) zur Inhalation. Damit scheiterte er jedoch.

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Das LSG begründete seine Entscheidung unter anderem mit dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung. Danach verbessere Cannabis den Krankheitsverlauf nicht spürbar. Das Gutachten stützte sich auf drei Veröffentlichungen, nach denen diesen Patienten Cannabis zur Behandlung erst dann empfohlen werden kann, wenn eine bis dato nicht vorliegende, kontrollierte Studie Erfolge zeigen sollte. Außerdem habe der Patient nicht dargelegt, welche anderen Behandlungsversuche bis auf die Gabe von Sauerstoff mit welchem Ergebnis vorgenommen worden seien, und ob sich die ärztliche Behandlung an der Richtlinie „Clusterkopfschmerz und trigeminoautonome Kopfschmerzen“ orientiert habe.

Effektiver Rechtsschutz nicht verletzt.

Daraufhin legte der Patient Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Er rügte einen Verstoß gegen sein Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Doch Karlsruhe nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Der Beschluss des LSG verstoße nicht gegen das Grundgesetz. Die Fachgerichte könnten ihre Entscheidungen im Eilverfahren sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache stützen. Dabei müssten die Fachgerichte die Sach- und Rechtslage umso eingehender prüfen, je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher die Eintrittswahrscheinlichkeit sei.

Die Notwendigkeit einer umfassenden und abschließenden Prüfung wie im eigentlichen Hauptsacheverfahren ergebe sich dabei aber nur ausnahmsweise. Eine genügend intensive Durchdringung der Sach- und Rechtslage sowie ein weitgehend zuverlässig prognostizierbarer Ausgang des Hauptsacheverfahrens reiche.

Es liegen bisher keine fundierten wissenschaftlichen Belege über die Wirksamkeit der Cannabis-Therapie vor.

Studienlage unzureichend.

Die vom Sozialrecht vorgegebene Voraussetzung für eine Behandlung mit Cannabis, also eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome, habe das LSG nicht offengelassen. Vielmehr hätten die Sozialrichter abschließend festgestellt, dass diese nicht vorliegt.

Es müssten zumindest erste wissenschaftliche Erkenntnisse darüber geben, ob bei Clusterkopfschmerzen durch den Einsatz von Cannabinoiden ein therapeutischer Erfolg erwartet werden könne. Für die Behandlung dieses Krankheitsbildes fehle es aber aktuell an ausreichenden Indizien, dass durch den Einsatz von Medizinal-Cannabis ein therapeutischer Erfolg zumindest möglich erscheine. Das Gutachten des Medizinischen Dienstes lege dar, dass die klinische Evidenz bei Cannabinoiden in der Behandlung von Kopfschmerzen gering sei. Selbst eine Mindestevidenz im Sinne einer vergleichenden wissenschaftlichen Untersuchung mit einer kleinen Zahl von Patienten werde noch nicht erreicht. Bei Clusterkopfschmerzen sei die Datenlage noch schlechter als bei Migräne.

Diese Beurteilung gründe das Gutachten auf drei Veröffentlichungen aus den Jahren 2016, 2015 und 2013. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen von 2016 und 2015 beträfen die Wirkung von Marihuana auf Migräne. Bislang läge nur eine Befragung von 139 Patienten mit Clusterkopfschmerzen aus dem Jahr 2013 vor. Die Veröffentlichung sei zum Ergebnis gekommen, dass Cannabis für diesen Patientenkreis nicht zu empfehlen sei, bevor eine kontrollierte Studie Behandlungserfolge gezeigt habe.

Voraussetzungen für Anspruch geprüft.

Ferner sei erkennbar, dass das Landessozialgericht abschließend geprüft habe, ob die Voraussetzungen für eine Behandlung zulasten der Krankenkasse vorliegen. Der Patient habe nicht dargelegt, inwiefern die Erwägungen und Feststellungen der Sozialrichter die bei drohenden gewichtigen Grundrechtsverletzungen geltenden Anforderungen nach Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes für den vorläufigen Rechtsschutz verletzten.

Anja Mertens ist Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes.
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