Mut macht Pflege gut
Mehr Selbstbewusstsein, mehr Akademikerinnen und Akademiker: Das forderten Experten auf einer Tagung der AOK Bayern für die Zukunft der Pflege. So ließe sich Nachwuchs gewinnen und die Qualität der Versorgung sichern. Von Johannes Künzel
Die Gleichung klingt simpel:
gutes Pflegepersonal gleich gute Pflege. Doch es sei nicht einfach, diese Gleichung – und Motto des diesjährigen Pflegeforums der AOK Bayern – mit Leben zu füllen, sagte Matthias Jena, alternierender Vorsitzender des Verwaltungsrates der AOK Bayern. Denn der Markt ist leergefegt, Krankenhäuser und Altenheime finden kaum Mitarbeiter. Es fehlen sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Pflege Fachkräfte. Händeringend würden allein in Bayern mehr als 2.000 qualifizierte Pflegekräfte gesucht. Bundesweit seien es knapp 15.000.
Irene Maier, Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerates (DPR) bezifferte die tatsächliche Personallücke sogar auf insgesamt 100.000 fehlende Mitarbeiter in Alten- und Krankenpflege. Denn viele Arbeitgeber hätten resigniert und würden offene Stellen nicht mehr melden.
Flexibilität steigert Qualität.
Wie kann es gelingen, mehr Menschen für die Pflege zu begeistern? Und wie lässt sich kurzfristig eine hochwertige Versorgung von Pflegebedürftigen sicherstellen? Darüber diskutierten Wissenschaftler, Verbandsvertreter und Politiker beim Pflegeforum in München. Mehr Mut und Selbstbewusstsein bei den Pflegekräften seien der Schlüssel zu einer guten Pflege, sagte Johanna Sell, Bereichsleiterin Pflege des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung. Keine Pflegerin und kein Pfleger müsse heute Angst vor längerer Arbeitslosigkeit haben. Deshalb könnten sich Angestellte trauen, auf Missstände hinzuweisen. Ein Beispiel: Wer als Fachkraft beobachte, wie ungelernte Hilfskräfte medizinische Geräte bedienen, müsse dies melden. Sonst mache er sich zum Mittäter.
Um die Versorgungsqualität zu verbessern, müsse die Pflege zudem flexibler werden, so Dr. Klaus Wingenfeld, Geschäftsführer des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld. Das veranschaulichte der Wissenschaftler an einem realen Beispiel: Frau Müller, 87, hat Pflegegrad 3, ihre Schwiegertochter unterstützt sie, ein Pflegedienst hilft bei Körperpflege und Insulingabe. Nach einem Muskelfaserriss im Oberarm wird Frau Müller antriebslos, die Schwiegertochter fühlt sich überfordert. Ein Umzug ins Heim steht im Raum.
In dieser Situation würde ein ambulanter Pflegedienst versuchen, Frau Müller so viel wie möglich im Alltag abzunehmen. Eine flexible Pflege wie sie Wingenfeld vorschwebt, denkt hingegen problemorientiert. Ein Modellprojekt habe ermutigende Ergebnisse gezeigt. Im konkreten Fall setze die Pflegefachkraft auf Übungen zur Wiederherstellung der Beweglichkeit und moderiere den Konflikt in der Familie. Nach zwei Monaten zeigte sich Frau Müller deutlich aktiver. Der Umzug ins Heim war vom Tisch.
Vor diesem Hintergrund fordert Wingenfeld, Ziele für Pflegekräfte zu formulieren statt kleinteilige Arbeitspakete vorzugeben. Kranken- und Pflegekassen könnten ihren Teil dazu beitragen, wenn Rahmenverträge auf Länderebene verhandelt werden.
Akademisierung erhöht Attraktivität.
Das Thema Pflege ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, darin waren sich die Tagungsteilnehmer einig. Als Belege für die gestiegene Wertschätzung der Pflege galten den Experten das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf den Weg gebrachte Pflegepersonal-Stärkungsgesetz und die Anhebung des Beitrags zur Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte.
Doch mehr Geld allein reiche nicht, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Hermann Imhof, Patienten- und Pflegebeauftragter bei der Bayerischen Staatsregierung, warb deshalb für eine akademisierte Pflege: Mindestens 20 Prozent der Pflegekräfte sollten ein Studium absolviert haben. Das bekräftigte DPR-Vizepräsidentin Maier: Die akademisierte Pflege sei ein vielversprechender Weg, um Schulabgänger mit guten Noten für die Pflege zu gewinnen.