Wertschätzung und Anerkennung haben den größten Einfluss auf das Wohlbefinden.
Fehlzeiten-Report 2020

Fair Play hält gesund

Am Arbeitsplatz empfundene Ungerechtigkeit kann krank machen. Fühlen sich Beschäftigte von Unternehmen und Führungskräften hingegen fair behandelt, fehlen sie deutlich seltener, wie eine aktuelle Befragung zeigt. Von Markus Meyer und Andrea Waltersbacher

Die Covid-19-Pandemie

hat die sogenannten systemrelevanten Berufsgruppen ins Rampenlicht gerückt: beispielsweise Pflegekräfte, Supermarkt-Kassiererinnen und Erntehelfer aus Osteuropa. Mit Beginn der Pandemie stellte sich die Frage, ob diesen Berufsgruppen gesellschaftlich die adäquate Anerkennung und Wertschätzung für ihre wichtige Arbeit entgegengebracht wird. Oder sehen sie sich gar mit ungerechten Verhältnissen konfrontiert?
 
Doch was heißt gerechtes Handeln in Unternehmen ganz konkret? Welche Anforderungen haben Beschäftigte an eine gerechte Führungskraft? Und was sind die gesundheitlichen Folgen, wenn sich Beschäftigte subjektiv ungerecht behandelt fühlen? Welchen Beitrag kann das Betriebliche Gesundheitsmanagement leisten, wenn es um Fragen der Gerechtigkeit geht? Mit diesen Aspekten beschäftigt sich der aktuelle Fehlzeiten-Report, der das Schwerpunktthema „Gerechtigkeit und Gesundheit“ hat.

Ohne Gerechtigkeit kein Zusammenhalt.

Fragen der Gerechtigkeit begegnen uns im Alltag ständig, denn Fairness und Gerechtigkeit sind fundamentale Grundsätze im menschlichen Zusammenleben. Was als gerechtfertigt und fair empfunden wird, hängt davon ab, wo wir leben, welche kulturellen Einflüsse uns prägen und wie wir uns in der Gesellschaft positionieren.
 
Gerechtigkeit wird allgemein in mindestens drei verschiedene Dimensionen unterteilt: Bei der Verfahrensgerechtigkeit geht es darum zu gewährleisten, dass Prozesse, in denen Einzelnen oder Gruppen bestimmte Rechte, Güter oder Lasten zugewiesen werden, gerecht ablaufen. Interaktionale Gerechtigkeit richtet den Blick darauf, wie Menschen miteinander umgehen und sich gegenseitig behandeln. Die Verteilungsgerechtigkeit bezieht sich schließlich auch auf das, was der Einzelne oder bestimmte Gruppen am Ende erhalten, also über welche Rechte und welchen Umfang an Gütern oder Lasten sie letztlich verfügen können. Gerechtigkeit hat – vereinfacht ausgedrückt – die Funktion, die Kooperationsbereitschaft in einer Gesellschaft zu erhalten.

Befragung von Beschäftigten.

Gerechtigkeitsfragen tangieren gerade die Unternehmen in vielfältiger Weise, beispielsweise wenn es um Auswahlverfahren bei Stellenbesetzungen geht, um die Höhe der Gehälter, um zwischenmenschliche Umgangsformen, um betriebliche Anreizsysteme oder darum, ausreichende Informationen von der Führungskraft zu erhalten. Unternehmen sind auf die Kooperationsbereitschaft ihrer Beschäftigten angewiesen. Erlebte Ungerechtigkeit am Arbeitsplatz stört das Gleichgewicht zwischen der Anstrengung der Beschäftigten und dem Gegenwert, den das Unternehmen dafür bietet.

Grafik zum Thema

Empfinden Beschäftigte ihren Arbeitgeber oder die Führungskraft als ungerecht, haben sie häufiger gesundheitliche Beeinträchtigungen. Das zeigt eine repräsentative Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. So gab rund ein Viertel der Befragten an, unter Rücken- und Gelenkschmerzen zu leiden, wenn sie gleichzeitig der Kategorie „ungerechtes Unternehmen“ zugeordnet werden konnten. Unter den Befragten aus der Gruppe „gerechtes Unternehmen“ waren es hingegen nur zehn Prozent.

Quelle: Fehlzeiten-Report 2020

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) ist der Frage nachgegangen, ob es einen messbaren Zusammenhang zwischen dem persönlichen Gerechtigkeitserleben im Arbeitsalltag als einem Aspekt der Unternehmenskultur und der eigenen subjektiven Bewertung des Wohlbefindens sowie der Gesundheit gibt. Dazu haben die Forscherinnen und Forscher 2.500 Erwerbstätige im Alter von 18 bis 65 Jahren zur Fairness ihrer Führungskraft und zur Unternehmensgerechtigkeit befragt.

Arbeitsverteilung oft kritisiert.

Knapp 60 Prozent der Befragten stimmen zu, dass die Arbeit insgesamt Wertschätzung erfährt. Doch nur etwa jeder Zweite meint, dass die Verteilung der Arbeit gerecht ist. Ebenfalls rund die Hälfte sieht die Konfliktlösungen im Unternehmen als nicht gerecht an. Dabei zeigte sich: Wertschätzung und Anerkennung haben den größten Einfluss auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen, gefolgt von der Art, wie Konflikte gelöst werden.

Mit einer positiven Bewertung der Unternehmensgerechtigkeit geht oft eine gute Bewertung der Führungskraft einher. Die Rolle der Führungskräfte ist dabei nicht zu unterschätzen, denn sie sind Vermittler zwischen der Unternehmensleitung und den Beschäftigten. Den Befragten kommt es dabei darauf an, dass die Führungskraft sie nicht ungerechtfertigt für Probleme verantwortlich macht, selber integer ist und ihren eigenen Verpflichtungen auch nachkommt. Allerdings klagt jeder Vierte über eine Führungskraft, die dies nicht leistet.

Gerechtigkeit macht zufrieden.

Die Ergebnisse der Befragung zeigen: Je stärker die Mitarbeiter ihr Unternehmen oder die Führungskraft als gerecht empfinden, desto zufriedener sind sie und desto stärker fühlen sie sich auch an das Unternehmen gebunden. Das Gefühl hingegen, es gehe nicht fair zu, kann negative Auswirkungen auf die Motivation der Beschäftigten haben oder sogar im Zusammenhang mit gesundheitlichen Beschwerden stehen.
 
In der Untersuchung wurde sowohl nach Gefühlen der Gereiztheit –  Wut, Ärger, Nervosität – als auch des Rückzugs (Lustlosigkeit) gefragt. Die Bedeutung des Gerechtigkeitserlebens zeigt sich, wenn man die beiden Extreme vergleicht: Das Fünftel der Befragten, welches sein Unternehmen am gerechtesten bewertet, hat signifikant weniger dieser emotionalen Irritationen (siehe Grafik „Mangelnde Fairness führt zu Beschwerden“).
 
Wut und Verärgerung sind die häufigste Reaktion, wenn beispielsweise Schuldzuweisungen als nicht fair wahrgenommen werden oder der Konflikt nicht gerecht gelöst wird: Von den Befragten, die sich der Gruppe „ungerechtes Unternehmen“ zuordnen lassen, ist fast ein Viertel sehr häufig oder sogar ständig davon betroffen. Auch leiden von den Befragten aus der Gruppe „gerechtes Unternehmen“ nur 5,1 Prozent unter sehr häufiger bis ständiger Erschöpfung. Aus der Gruppe „ungerechtes Unternehmen“ mit der schlechtesten Bewertung gibt mehr als ein Fünftel an, sehr häufig oder ständig erschöpft zu sein.

Bernhard Badura, Antje Ducki, Helmut Schröder, Joachim Klose, Markus Meyer (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2020. Gerechtigkeit und Gesundheit. 789 Seiten. 59,99 Euro. Springer-Verlag, Heidelberg.

Sich ungerecht behandelt zu fühlen, steht zudem in einem Zusammenhang mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie Schlafstörungen oder Rückenschmerzen. Auch hierin unterscheiden sich die beiden Gruppen abhängig davon, ob sie sich in einem gerechten oder ungerechten Unternehmen beschäftigt sehen.

Dass es sich für Unternehmen lohnt, das Thema Gerechtigkeit im Fokus zu behalten, zeigt ein Blick auf die Fehlzeiten: Im Durchschnitt berichten Befragte der Gruppe „ungerechtes Unternehmen“ von 17,6 krankheitsbedingten Fehltagen im letzten Jahr. Die Befragten der Gruppe „gerechtes Unternehmen“ geben hingegen im Mittel 11,4 krankheitsbedingte Fehltage an.

Webtraining verbessert Führungsstil.

Der Fehlzeiten-Report zeigt auf, worauf Unternehmen achten sollten, wenn sie ihre Fairnesskultur verbessern wollen. So dürfen beispielsweise Wertschätzung und Anerkennung nicht nur auf Erfolge beschränkt bleiben, sondern müssen Teil einer gelebten Unternehmenskultur sein. Gesundheitsgerechte Führung gilt dabei als zentraler Erfolgsfaktor, auch wenn es darum geht, dass sich Beschäftigte gerecht behandelt fühlen. Die AOK unterstützt Unternehmen deshalb darin, ihre Führungskräfte dafür zu stärken: Ein Beitrag im Fehlzeiten-Report stellt ein webbasiertes Training vor, das Führungskräften hilft, einen gesundheitsgerechten Führungsstil zu entwickeln. Davon können Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen profitieren.

Markus Meyer ist WIdO-Projektleiter „Betriebliche Gesundheitsförderung”.
Andrea Waltersbacher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im WIdO-Forschungsbereich „Betriebliche Gesundheitsförderung, Heilmittel, ambulante Bedarfsplanung“.
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