„Kein Schema F bei der Klinikreform“
Für Clemens Hoch steht fest: Die steigenden Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) müssen zum größten Teil über Steuermittel finanziert werden. Bei der geplanten Krankenhausreform warnt der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister davor, die Erst- und Akutversorgung in der Fläche zu vernachlässigen.
Herr Minister, in zwei Jahren Corona-Krise gab es immer wieder Kritik an den unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern. Hat sich der Föderalismus in der Krise bewährt?
Clemens Hoch: Der Föderalismus hat sich als große Stärke erwiesen, weil vor Ort situationsangepasste Maßnahmen ergriffen werden konnten. Wenn ich mir vergegenwärtige, wie heftig zum Beispiel in Sachsen und in Bayern manche Infektionswelle war, dann war es vernünftig, dort bestimmte Maßnahmen zu ergreifen und nicht bei uns in Rheinland-Pfalz. Hier hatten wir mit guten Schutzmaßnahmen das Geschehen viel besser im Griff als manch andere Bundesländer.
Zur Person
Clemens Hoch ist seit Mai vergangenen Jahres Minister für Wissenschaft und Gesundheit in Rheinland-Pfalz. Davor war der SPD-Politiker von 2014 bis 2021 Chef der Staatskanzlei. Dem Landtag in Mainz gehörte Hoch von 2006 bis 2013 an. In dieser Zeit war der gebürtige Andernacher auch als selbstständiger Rechtsanwalt tätig. Der 44-Jährige ist verheiratet und hat drei Kinder.
Woran lag es denn, dass Rheinland-Pfalz ganz gut durch die Krise gekommen ist?
Hoch: Wir waren weder besonders streng noch auffallend locker. Wir haben sehr grundlegende Maßnahmen erhoben, die dann auch ganz konsequent angewendet wurden. Zum Beispiel waren wir das erste Bundesland, das 2G-Plus umgesetzt und durchgezogen hat, sodass wir niedrigere Infektionszahlen hatten. Und der zweite Grund ist, dass die Rheinland-Pfälzer sehr verantwortungsbewusst sind.
Brauchen wir in Deutschland ein Impfregister – zur Durchsetzung der Impfpflicht, aber auch um wichtige Informationen zu den Mitteln zu sammeln?
Hoch: Ich glaube, man muss nicht immer alles mit einem Zentralregister lösen. Es können auch dezentrale Maßnahmen gut funktionieren, um eine Impfpflicht effektiv auszugestalten. Was vorliegende Gesundheitsdaten angeht, so bin ich dafür, dass wir sie in anonymisierter Form forschenden Pharmaunternehmen sowie der Wissenschaft und Universitätsmedizin zur Verfügung stellen. Die sind in Deutschland für klinische Studien sehr schwierig zu bekommen, was ein Standortnachteil ist. Ich bin aber skeptisch, ob ein Impfregister dazu taugt, diesen Nachteil ein Stück weit auszuräumen.
In der GKV gibt es in diesem Jahr nur finanzielle Stabilität, weil der Bundeszuschuss auf knapp 30 Milliarden Euro erhöht wurde. Was soll 2023 passieren?
Hoch: Wir haben auf der Ausgabenseite in der GKV relativ große Kraftanstrengungen zu bewältigen. Ganz klar: Der größte Teil davon muss über einen Steuerzuschuss finanziert werden. Das können die Versicherten nicht alleine stemmen. Ob es zu Beitragserhöhungen kommt, wird man sehen. Wir sollten hier aber möglichst Stabilität erreichen.
Wie stehen Sie zu Einsparungen bei Arzneimitteln? Gefordert werden etwa die Absenkung der Mehrwertsteuer, eine Erhöhung des Herstellerrabatts und eine AMNOG-Reform ...
Hoch: Das jetzige System, das eigentlich Einsparungen bei Arzneimitteln erzielen soll, führt an manchen Stellen zu gravierenden Fehlanreizen, die es am Ende noch teurer machen. Wir müssen grundsätzlich darüber nachdenken, mit welchem Mechanismus Forschungserfolge adäquat in Arzneimittelpreisen abgebildet werden können. Und dann müssen wir sehen, wie wir an anderer Stelle zu Effizienzgewinnen und damit zu Einsparungen kommen können. Eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneien wäre allerdings nichts anderes als ein indirekter Steuerzuschuss, den man dann auch gleich erhöhen kann.
Die Ampel-Koalition im Bund hat sich dazu bekannt, den Pauschalbetrag für Arbeitslosengeld-II-Empfänger zu erhöhen. Sollte dieser kostendeckend sein?
Hoch: Es wäre wünschenswert, wenn es für die GKV ein kostendeckender Beitrag wäre. Die Bundesregierung muss dazu bald Vorschläge machen.
Wird es ohne Leistungskürzungen in der GKV gehen?
Hoch: Wir müssen in manchen Teilen natürlich überprüfen, ob der Leistungskatalog in bestehender Form vernünftig ist. Wir haben auch Bereiche, wo es sich lohnt, über Leistungsausweitungen und mehr Angebote zu reden. Die langen Wartezeiten auf Psychotherapieplätze etwa sind nicht länger hinnehmbar. Am Ende muss ein Paket stehen, das sich aus verschiedenen Modulen zusammensetzt.
Zum Thema Krankenhäuser: Die Ampel-Koalition im Bund plant eine umfassende Reform. Was gehört für Sie dazu?
Hoch: Wir müssen bei der Finanzierung der Kliniken unbedingt Vorhaltekosten in den kleinen Krankenhäusern in ländlichen Regionen abbilden. Wir müssen aber auch einen besonderen Blick auf die Maximalversorger – wie zum Beispiel die Universitätskliniken – werfen. Und wir brauchen eine Grundversorgung mit ausreichend Krankenhäusern in der Fläche.
Hat Corona nicht gezeigt, dass es gerade die großen Kliniken waren, die Schwerkranken geholfen haben?
Hoch: In unserem Bundesland haben wir die Versorgung von Corona-Patienten auf vielen Schultern verteilt und das Ganze über koordinierende Krankenhäuser gesteuert. Ein großer Teil der im Krankenhaus behandelten Covid-19-Patienten wurde bei uns in kleinen und mittelgroßen Häusern behandelt.
Heißt das, Sie sind gegen mehr Spezialisierung, Konzentration von Leistungen oder die Umwidmung von Kliniken zu ambulanten Gesundheitszentren?
Hoch: Nein. In vielen Teilen ist mit Sicherheit eine Spezialisierung der Maßnahmen erforderlich. Eine Pankreasbehandlung etwa kann sehr gut in wenigen spezialisierten Kliniken erfolgen. Aber wir brauchen trotzdem für die Erst- und Akutversorgung eine vernünftige Klinikverbreitung in der Fläche. Notwendig sind regional angepasste Lösungen. Natürlich kann es auch sein, dass Abteilungen von Krankenhäusern oder auch Kliniken umorganisiert werden. Das Ziel einer Strukturreform darf aber nicht einfach lauten: Wir schließen kleine Einheiten und schlagen sie größeren zu. Schema F ist hier fehl am Platz. Es lohnt sich, jeden Standort individuell anzugucken.
Ein Thema gerade auch für ein ländlich geprägtes Bundesland ist der Ärztemangel. Welche Rezepte hat Rheinland-Pfalz?
Hoch: Wir haben umfangreiche Niederlassungsförderprogramme im ländlichen Raum, die sich bewährt haben. Und wir haben als eines der ersten Bundesländer sehr konsequent die Landarztquote und die Quote für den öffentlichen Gesundheitsdienst bei der Aufnahme des Medizinstudiums vorangebracht. Darüber hinaus wurde die Zahl der Medizinstudienplätze um 15 Prozent gesteigert, sodass Mainz jetzt der drittgrößte Standort in der Humanmedizin nach Berlin und München ist. Wir wollen auch die Möglichkeiten für Kommunen verbessern, ein Medizinisches Versorgungszentrum zu betreiben und Ärzte anzustellen. Das kommt zugleich dem Wunsch vieler junger Mediziner nach einer besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf entgegen.
In der Pflegeversicherung wird trotz aller Reformen das Geld knapp, die Eigenanteile steigen. Was ist aus Ihrer Sicht zu tun?
Hoch: Wir brauchen sehr viel mehr Möglichkeiten, bausteinhaft Pflege in den eigenen vier Wänden sicherzustellen durch Unterstützungsangebote. Bei der stationären Pflege müssen wir gucken, ob das bisherige Pflegeangebot in großen Einrichtungen noch zukunftstauglich ist. Es ist wünschenswert, die Eigenanteile so gering wie möglich zu halten. Bei den Beiträgen haben wir in den vergangenen Jahren schon enorme Steigerungen gehabt. Das kann auf Dauer nicht so weitergehen. Wir brauchen ein schlüssiges Gesamtkonzept.