Klimaschutz rettet Leben
Dürren, Überschwemmungen und Mangelernährung als Folgen der Klimakrise bedrohen die globale Gesundheit, sagt Dr. Tankred Stöbe. Er fordert, den Klimawandel nicht nur aufzuhalten, sondern auch die Konsequenzen abzumildern.
Als ich vor 20 Jahren
mit der humanitären Hilfe begann, galten Naturkatastrophen meist noch als exotische ferne Ereignisse, die wir in den wohlhabenden Ländern mit Erstaunen zur Kenntnis nahmen. Natürlich kannten wir schon damals den Zusammenhang zwischen Klimaveränderungen und menschengemachter Zerstörung. Aber es war leicht, das auszublenden. Heute ist das anders und wir sehen und spüren es allerorten.
Besonders auffällig ist es in der Sahelzone, zum Beispiel im Norden Nigerias. Im Nordosten des Landes wütet seit Jahren ein bewaffneter Konflikt. Zeitgleich gibt es im Nordwesten eine dramatische Unterernährungskrise. Hier kommen viele Faktoren zusammen: die Folgen der Corona-Pandemie, die bittere Armut, Umweltzerstörung, regionale Konflikte, globale geopolitische Verwerfungen, aber auch die Auswirkungen des Klimawandels. Diese Krisen verstärken sich gegenseitig, mit tödlichen Auswirkungen. Stichwort Mangelernährung: Früher beobachteten wir zwischen der Regen- und Trockenzeit sogenannte Hungerlücken. Diese werden jetzt zu Hungerjahren.
Von Januar bis August 2022 haben Ärzte ohne Grenzen während der Trockenzeit gemeinsam mit dem nigerianischen Gesundheitsministerium 100.000 mangelernährte Kinder behandelt. In einem Bundesstaat ist die Zahl der Fälle im Vergleich zum Vorjahres-Zeitraum um 64 Prozent gestiegen. Dann ist die Klimasituation ins andere Extrem umgeschlagen. Im Nordosten Nigerias und anderen Bereichen der Sahelzone gab es in den letzten Monaten starke Überschwemmungen.
Für die Menschen gibt es keine Verschnaufpausen mehr zwischen den Krisen. Ärzte ohne Grenzen kennt viele dieser Klima-Hotspots. Viele davon liegen auf dem afrikanischen Kontinent, aber auch in Asien und Mittelamerika. Längst ist die Klimakrise eine Bedrohung für die globale Gesundheit. Aber wie so oft tragen jene Menschen, die mit ihrem Verhalten die Klimakrise am wenigsten beeinflussen, die schwersten Konsequenzen.
Für die Menschen gibt es keine Verschnaufpausen mehr zwischen den Krisen.
Sie bezahlen sie mit ihrer Gesundheit, manchmal sogar mit ihrem Leben. Ein weiterer Effekt sind klimabedingte Flucht und Vertreibung. Unsere Berechnungen gehen davon aus, dass es bis 2050 etwa 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben wird. Mehr Klimaschutz hätte längst umgesetzt werden müssen. Viele entstandene Schäden sind nicht mehr rückgängig zu machen. Für die am stärksten betroffenen Bevölkerungen geht es nicht mehr nur darum, den Klimawandel aufzuhalten. Dort müssen wir die Konsequenzen für die Menschen und ihre Gesundheit abmildern.
Wenn es aber zu spät ist, muss für den Wiederaufbau nach der Zerstörung aufgekommen werden. Hier sehen wir hauptsächlich die Länder in der Verantwortung, die am meisten zur Klimakrise beitragen. Der Klimawandel ist eine Gesundheits- und eine humanitäre Krise. Die humanitären Bedürfnisse werden über das hinauswachsen, was Ärzte ohne Grenzen und andere humanitäre Akteure bewältigen können. Es bedarf eines ehrgeizigen und sofortigen Klimaschutzes, um Millionen von Menschen zu schützen, eine finanzielle und technische Unterstützung, um Schäden und Verluste anzugehen. Und verpflichtende Zusagen von Staaten und Unternehmen, die für Emissionen hauptverantwortlich sind, um die globale Erderwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten.
Ärzte ohne Grenzen:
Ich schreibe diesen Text in der Ukraine. Das menschliche Leid und der Tod in diesem grausamen Krieg sind furchtbar, jeden Tag. Dennoch ist kein Ende absehbar. Wenn ich mir ausmale, welche – auch ökologische – Katastrophe dieser Krieg bedeutet und wie viele Ressourcen, die weltweit zur Rettung des Planeten bereits geplant waren, kriegsbedingt umgewidmet werden, dann fällt es mir schwer, nicht zu verzweifeln. Dennoch müssen wir allen Mut und Optimismus aufbringen, um eine lebbare Zukunft zu gestalten. Die Werkzeuge dafür sind bekannt und wir halten sie schon in den Händen. Wir müssen sie aber auch anwenden.