Suchtgefahr durch mobile Arbeit
Corona hat die Jobwelt verändert: Mobiles Arbeiten ist nicht mehr wegzudenken. Zum einen gibt es dadurch mehr Flexibilität und Selbstbestimmung, doch es sind auch neue psychische Gefahren entstanden, die eventuell gar in eine Sucht münden können. Von Thorsten Severin
Wissenschaftliche Belege
für eine erhöhte Suchtrate bei Erwerbstätigen, die viel Zeit mobil oder im Homeoffice verbracht hätten, gibt es laut Dr. Marlen Cosmar vom Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG) zwar nicht. Doch Risikofaktoren seien zweifelsohne da, sagte sie bei einer Tagung der niedersächsischen Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin mit dem Titel „Tüchtig und/oder süchtig“. Die Expertin verwies unter anderem auf Studien, wonach schon vor der Pandemie bei jedem zehnten Arbeitnehmer ein riskantes Trinkverhalten vorgelegen haben soll.
Das Homeoffice biete für Beschäftigte in der Regel einen großen Handlungsspielraum. Die Flexibilität sei eine wichtige Ressource, so Cosmar. Allerdings setzten die Neuerungen eine hohe Selbstorganisationsfähigkeit voraus. Wer sich schlecht selbst strukturieren und nicht gut für seine Gesundheit sorgen könne, für den bedeute mobiles Arbeiten eventuell zusätzlichen Stress – ein Risiko für eine Sucht. Gut organisierte Menschen wiederum neigten dazu, es im Homeoffice zu übertreiben und auf diese Weise die eigene Gesundheit zu gefährden. Zudem könne mobiles Arbeiten zu einer hohen Belastung werden, wenn eine ständige Erreichbarkeit verlangt werde.
Weniger soziale Unterstützung.
Außerdem bietet das Homeoffice weniger Möglichkeiten zum Austausch mit Kollegen. Führung finde „auf Distanz“ statt. „Soziale Unterstützung und Austausch müssen daher gezielt organisiert werden“, erläuterte Cosmar. Auch Wertschätzung werde den Mitarbeitern gegenüber weniger geäußert. Für Personen mit einem ohnehin hohen Suchtrisiko könnten fehlende soziale Kontrolle und Isolation die Abhängigkeit fördern. Niemand merke, wenn der Beschäftigte etwa Alkohol konsumiere oder „eine Fahne“ habe.
Darüber hinaus könne das mobile Arbeiten zur Gefahr für die „Work-Life-Balance“ werden, wenn beispielsweise zwischen verschiedenen Aufgaben Multitasking gefragt sei, so Cosmar. Arbeit und Privatbereich seien zudem oft nicht räumlich getrennt. Die IAG-Expertin empfahl daher eine gesundheitsförderliche Gestaltung der mobilen Arbeit. Dazu gehörten klare Start- und Endzeiten, eine weitgehende Trennung vom Privatleben und eine gute Einbindung in die betrieblichen Abläufe sowie soziale Unterstützung durch Kollegen und Führungskräfte. Auch ein Hinweis des Chefs auf regelmäßige Pausen sei hilfreich.
Internetsucht hat zugenommen.
Die Pandemie hat nicht zuletzt dazu geführt, dass die Menschen mehr Zeit im Internet verbracht haben. Das zeigen laut Professor Hans-Jürgen Rumpf von der Universität zu Lübeck erste Auswertungen der laufenden SCAVIS-Studie. Ein Grund sind die in der Pandemie weggefallenen sozialen Kontakte, die digital kompensiert werden mussten. Doch Rumpfs Team hat festgestellt: Je mehr die Menschen online aktiv waren, desto geringer war ihre Lebenszufriedenheit. Dem Wissenschaftler zufolge leiden zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung inzwischen an einer Smartphone- und Internetsucht. Weitere zehn Prozent weisen ein problematisches Verhalten auf, das in eine Sucht abrutschen kann.
App bei Sorge über Online-Nutzung.
Smartphone und Internet bieten eine ganze Reihe von Abhängigkeitsmöglichkeiten, etwa von Computerspielen (Gaming Disorder), sozialen Netzwerken, Online-Shopping oder Internetpornografie. Merkmale für eine Sucht seien die fehlende oder verringerte Kontrolle über das eigene Nutzungsverhalten, die Priorisierung der Internettätigkeit vor anderen wichtigen Dingen und die fortgesetzte Nutzung, obwohl negative Konsequenzen spürbar seien, beschrieb Rumpf. Ein Grund hinter der Sucht seien die vielfältigen Belohnungen, wie es sie etwa beim Spielen oder in sozialen Netzwerken gebe.
Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss geförderte SCAVIS-Studie untersucht die Internet- und Smartphone-Gewohnheiten von rund 9.000 Freiwilligen. Wer sich um seine Online-Nutzung sorgt, kann sich die „smart@net-App“ herunterladen. Die Teilnehmer erhalten Rückmeldung zu ihrem Online-Verhalten, Tipps und bei Bedarf eine persönliche Beratung.