Interview

„Breites Feld an Aufgaben bewältigt“

Die Selbstverwaltung hat während der Corona-Pandemie ihre Stärke bewiesen, meint Stefanie Stoff-Ahnis. Wie eine sichere Versorgung gelingen konnte und wo im Zusammenspiel der einzelnen Akteure noch Nachbesserungsbedarf besteht, erläutert das Vorstandsmitglied des GKV-Spitzenverbandes.

Das Gesundheitswesen ist seit Monaten gänzlich von der Corona-Krise beherrscht. Hat es sich in der Krise bewährt?

Stefanie Stoff-Ahnis: Ein klares Ja. Und auch die Selbstverwaltung hat den ganz außergewöhnlichen Härtetest bestanden.

Inwiefern?

Stoff-Ahnis: In Krisenzeiten braucht es schnelle und pragmatische Lösungen. Es hat sich gezeigt, wie wertvoll die Zusammenarbeit der beteiligten Gruppen des Gesundheitswesens ist. Im Handumdrehen wurden konkrete Lösungen für komplizierte Sachverhalte gefunden, die in der Pandemie umgehend geregelt werden mussten.

Was würden Sie hier besonders hervorheben?

Stoff-Ahnis: Die vordringlichste Aufgabe war, in der Krise die Infrastruktur im Gesundheitswesen so zu stärken, dass im schlimmsten Fall deutlich mehr Infizierte in kritischem Zustand hätten behandelt werden können. Es ging darum, die Kapazität an Intensivbetten auszubauen und gleichzeitig Mediziner und Pfleger vor Ort so auszustatten, dass sie ungefährdet ihre Arbeit machen können. Wir haben den Krankenhäusern, Vertragsärzten und Therapeuten die Liquidität verschafft, die sie dazu brauchten. Zum zweiten haben wir mit den Leistungserbringerverbänden pragmatische Lösungen gefunden, um in der ambulanten Versorgung möglichst direkte Kontakte zu vermeiden – sprich es wurden Ausnahmeregelungen für Videosprechstunden mit Ärzten oder Videokurse mit Hebammen und Heilmittelerbringern geschaffen. In Zusammenarbeit mit dem G-BA ging es um die Verabschiedung einer Reihe von befristeten Sonderregelungen, um Krankschreibungen per Telefon zu ermöglichen oder Krankentransporte ohne vorherige Genehmigung durch die Kassen sicherzustellen. Auch den Arbeitgebern haben wir Liquidität verschafft, indem wir mit anderen Sozialversicherungsträgern in Verhandlungen getreten sind und die Stundung der Beiträge erleichtert haben. Es war ein breites Feld an Aufgaben zu bewältigen. Und das ist gelungen.

„Unschärfen von gesetzlichen Regelungen wären vermeidbar gewesen.“

In der öffentlichen Wahrnehmung spielte aber vor allem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine Rolle. Er hat das Gesundheitswesen stark an sich gerissen. War das gut?

Stoff-Ahnis: In Ausnahmesituationen wie diesen ist die Exekutive gefragt. Und doch hätte ich es natürlich sinnvoll gefunden, wenn er die Selbstverwaltung noch mehr miteinbezogen hätte. So wären einige Unschärfen von gesetzlichen Regelungen, die über Rechtsverordnungen ergangen sind, vermeidbar gewesen.

Die da wären?

Stoff-Ahnis: Eindeutigere Formulierungen im Schutzschirm für niedergelassene Ärzte zum Beispiel, würden heute zu weniger Problemen in den regionalen Verhandlungen zur Honorarverteilung führen. Als suboptimal betrachten wir in der Selbstverwaltung auch, dass generell in allen Krankenhäusern Betten leergeräumt wurden, um Reservekapazitäten für Covid-19-Patienten zu schaffen. Das hätten wir anders gelöst, indem entsprechende Kapazitäten konzentriert in bestimmten, besonders geeigneten Kliniken geschaffen werden. Und zuletzt ist für den GKV-Spitzenverband nicht nachvollziehbar, dass speziell in der Krise die gerade erst geschaffenen Pflegepersonaluntergrenzen komplett ausgesetzt wurden. Die Folge ist, dass es derzeit überhaupt keine Transparenz mehr über die Pflegesituation in Kliniken gibt.

Video: Welche Erkenntnisse ergeben sich aus den Erfahrungen im Umgang mit der Pandemie?

Ein zurzeit häufig diskutierter Moment ist auch, dass die Beitragszahler der GKV generell für die Kosten von Corona-Testungen und die Vorhaltung von Intensivpflegebetten in den Krankenhäusern zahlen und die PKV daran nicht beteiligt wird. Wie stehen Sie dazu?

Stoff-Ahnis: Ordnungspolitisch ist das nicht richtig. Wir haben in dem Prozess von Anbeginn darauf hingewiesen, dass wir hier eine angemessene Beteiligung auch von der PKV einfordern. Der Punkt ist zurzeit noch nicht gelöst, aber das wird noch zu diskutieren sein. Und bei den Corona-Massentests muss man ganz klar sagen, dass diese staatliche Maßnahme der Pandemiebekämpfung auch vom Staat und nicht von den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenkassen zu bezahlen ist.

Jens Spahn hat die Kliniken in der Krise mit sehr viel Geld versorgt. Wie beurteilen Sie die Gefahr, dass dadurch erneut Strukturen subventioniert werden, die nicht wettbewerbsfähig sind und die Diskussion über die notwendige Krankenhausstrukturreform konterkariert wird?

Stoff-Ahnis: In der Tat könnte die sogenannte Leerbettenpauschale strukturkonservierend wirken. Hier wird für leere Betten gezahlt, unabhängig davon, ob die Kliniken tatsächlich von der Pandemie betroffen sind. Im Übrigen werden Pauschalbeträge ausgezahlt, die zum Teil höher liegen als die Tagessätze der Kliniken. Auch fehlt für den Umgang mit den neu aufgebauten Intensivkapazitäten derzeit noch ein Konzept.  

Was bedeutet das für die Zukunft?

Stoff-Ahnis: Die Forderung nach einer Krankenhausstrukturreform bleibt aktuell und lässt sich – gerade aus der Erfahrung mit der Pandemie – jetzt mit klugen Konzepten und Strategien für den Katastrophenschutz verbinden. Zentrale, spezialisierte Einheiten wären aus unserer Sicht besser geeignet, die Versorgung generell zu verbessern und gezielter noch in Krisenlagen wie diesen reagieren zu können.

Robin Halm ist Chefredakteur Interne Kommunikation im KomPart-Verlag.
Bildnachweis: GKV-Spitzenverband