Einwurf

Recht auf Teilhabe stärken

Die Corona-Krise hat deutlich gemacht: Deutschland hinkt bei der Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen hinterher. Für Jürgen Dusel bietet sie aber die Chance für einen Wandel im Umgang miteinander.

Portrait von Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen

Die Corona-Pandemie stellt jeden

einzelnen von uns sowie die gesamte Gesellschaft auf eine harte Probe. Für einige Menschen sind die Auswirkungen sowohl gesundheitlich als auch sozial besonders einschneidend – nicht selten sogar bedrohlich. Der Befund ist eindeutig: Die Probleme einer Gesellschaft zeigen sich überdeutlich in Krisenzeiten. Dies betrifft Menschen mit Behinderungen, obdachlose Menschen, Geflüchtete oder von Gewalt bedrohte Frauen und Kinder.

Was genau sind die Herausforderungen für Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen? Zu Beginn der Pandemie gab es täglich Neuigkeiten des Robert Koch-Instituts, täglich neue Informationen der Bundesregierung zu geplanten Maßnahmen oder Informationen darüber, wie man sich am besten schützen kann. Das waren Nachrichten, die alle mit Hochspannung verfolgten und die täglichen Gesprächsstoff boten. Ausgeschlossen davon waren aber taube oder schwerhörige Menschen, weil es keine aktuellen – oder nur zeitversetzte – Informationen in Gebärdensprache gab. Seitdem hat sich zwar viel in puncto barrierefreie Kommunikation getan, auch und vor allem von Seiten der Bundesregierung.

Aber noch ist das Ziel nicht erreicht. Auch im Hinblick auf Leichte Sprache muss viel mehr geschehen. Davon würden nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten profitieren, sondern auch Menschen, die beispielsweise gerade erst die deutsche Sprache neu erlernen. Der Zugang zu Informationen ist übrigens auch außerhalb von Pandemie-Zeiten ein grundlegendes Menschenrecht, das für alle gilt. Dies dauerhaft sicherzustellen ist Aufgabe der Ministerien und Verwaltungen – aber auch der Medien.

Bedenklich stimmen manche Tendenzen, nach der Phase des Lockdowns nun zu einem „Business as usual“ übergehen zu wollen. Lockerungen sollten sicherlich dort erfolgen, wo sie angebracht sind. Es sollte aber ein ausgewogenes Gleichgewicht von Schutz und Teilhabe für alle gelten. Lockerungen für einen Großteil der Gesellschaft dürfen nicht dazu führen, dass vulnerable Gruppen nicht teil­haben können und schlimmstenfalls weiterhin in Isolation bleiben müssen.

Der Zugang zu Informationen ist ein grundlegendes Menschenrecht.

Konkret bedeutet das: Home-Office-Regelungen müssen auch weiterhin unbürokratisch und flexibel Bestand haben, um das Risiko einer Ansteckung zu minimieren. Diskus­sionen rund um die Maskenpflicht sollten be­rücksichtigen, dass nicht jeder eine Maske tragen kann – aus medizinischen Gründen oder auch weil es die Kommunikation im Einzelfall zu stark erschwert. Hier ist Abstand halten das Gebot der Stunde. In vielen Einrichtungen werden noch immer restriktive Besuchsverbote aufrechterhalten. Die für die Betreiber beste Lösung ist nicht immer das Beste für die Bewohner. Hier sind die Landes­regierungen in der Pflicht, darauf zu achten, dass Maßnahmen verhältnismäßig bleiben und nicht zulasten der Menschen gehen, die teilweise seit Monaten faktisch in Isolation verharren.

Die erste Phase der Pandemie hat auch deutlich offenbart, was im Gesundheitssystem für Menschen mit Behinderungen fehlt: So mangelt es an barrierefreien Arztpraxen, an eindeutigen rechtlichen Regelungen für Assistenzen im Krankenhaus und auch an einer flächendeckenden Versorgung mit medizinischen Zentren für erwachsene Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderungen (MZEB). Hier ist der Gesetzgeber gefragt – aber auch die Krankenkassen. Letztere dann, wenn MZEB in ihren Behandlungsoptionen eingeschränkt werden.

Diese und viele andere Aspekte machen deutlich, was jetzt wichtiger ist als jemals zuvor: Handlungsleitend muss das Recht auf Teilhabe und Inklusion sein und nicht das Recht des vermeintlich Stärkeren. In Zeiten wie diesen zeigen sich die wahren Grundwerte einer Gesellschaft. Wenn wir Entscheidungen jetzt inklusiv treffen, haben wir eine Chance, die richtigen Weichen für eine gerechtere Zukunft zu stellen.

Jürgen Dusel ist seit 2018 Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Zuvor war der Jurist Behindertenbeauftragter der Landesregierung Brandenburg.
Bildnachweis: Henning Schacht