Faktencheck statt Aluhut
Seit dem Beginn der Corona-Pandemie verbreiten sich zahlreiche Fake News rund um das Virus. Warum Menschen in Krisenzeiten besonders anfällig für Falschmeldungen sind und was dagegen hilft, fasst Dr. Silke Heller-Jung zusammen.
Eine gute Freundin
leitet die Nachricht per Whatsapp weiter. Experten aus Taiwan hätten einen einfachen Corona-Selbsttest entwickelt: Tief einatmen und die Luft zehn Sekunden anhalten. Wer dabei nicht husten muss, ist nicht mit Covid-19 infiziert, heißt es da.
Das klingt zu schön, um wahr zu sein? Richtig! Es handelt sich um eine Falschmeldung – eine von unzähligen, die seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie kursieren. „Fake News verbreiten sich schneller und leichter als das Virus, und sie sind ebenso gefährlich“, warnt der Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation WHO, Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, bereits im Februar 2020. „Wir bekämpfen nicht nur eine Epidemie, wir bekämpfen auch eine Infodemie.“
Einige Wochen später meldet die Internet-Task-Force der Europäischen Union alarmiert, dass die Menge irreführender und (vorsätzlich) unwahrer Informationen, die im Netz im Umlauf seien, dramatisch zugenommen habe. Das Phänomen bereitet auch dem Bundespräsidenten Sorgen. Am Rande einer Krankenhausbesichtigung merkt Frank-Walter Steinmeier Mitte Mai an, unter dem Gesichtspunkt des Virenschutzes sei der Mundschutz empfehlenswerter als der Aluhut. Letzterer gilt als das klassische Accessoire von Verschwörungstheoretikern.
Fake News und Verschwörungsmythen.
Das wissenschaftliche „Kompetenznetz Public Health Covid-19“ definiert in einem Factsheet Corona-Fake-News als „falsche, manipulierte oder verzerrte Aussagen zu COVID-19, die keine satirische oder parodistische Absicht verfolgen.“
Gegen Fake News helfen Fakten und ein gesundes Misstrauen.
Derartige Fake News wirken oft durchaus glaubhaft. Dass sie häufig Emotionales oder Skandalöses bieten, sichert ihnen eine große Verbreitung. Eine klassische Fake News ist die Behauptung, das Corona-Virus sei lediglich eine harmlose Grippe. Solche Falschnachrichten können aber die Vorstufe zu einer Verschwörungsideologie darstellen. Verschwörungstheoretiker deuten bestimmte Ereignisse als Teil eines bösen Plans, hinter dem ein oder mehrere Schurken stecken.
Eingebettet in das (tatsächlich kursierende) Narrativ, Bill Gates wolle mithilfe von Zwangsimpfungen die Weltherrschaft erlangen und dramatisiere darum eine an sich harmlose Erkrankung, mutiert die „Nur-eine-Grippe-Nachricht“ zu einem Mosaiksteinchen in einem größeren Verschwörungsmythos.
Gefährlicher Unsinn.
Solche Narrative können auf gefährliche Weise identitätsstiftend wirken, indem sie ein „Wir gegen die“ suggerieren. „Verschwörungstheorien liefern immer auch Lösungen für die Probleme“, weiß Literaturwissenschaftler Dr. Niels Penke, der an der Universität Siegen zu diesem Thema forscht. „Den entscheidenden Personen muss das Handwerk gelegt werden. Wie genau das aussehen soll, bleibt aber offen.“
Doch auch wenn sie keine Aggressionen schüren, können Verschwörungsmythen gefährlich werden – etwa, wenn sie in Aufrufen zu Verstößen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen münden. Verhaltenspräventive Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind nur dann wirksam, wenn ein möglichst großer Teil der Bevölkerung sie auch umsetzt.
„Falschnachrichten können das Vertrauen in solche Maßnahmen und die Institutionen, die sie einführen und durchsetzen sollen, untergraben, ihre Umsetzung gefährden und so die Kontrolle des Infektionsgeschehens behindern“, warnt das „Kompetenznetzwerk Public Health Covid-19“. Auch auf der persönlichen Ebene können Fake News erheblichen Schaden anrichten, so die Experten weiter: „Falsche Nachrichten über vermeintliche ,Heilmittel‘ können Menschen zu gefährlichen Handlungen motivieren, die ihnen selbst oder anderen schaden können (wie etwa, Desinfektionsmittel zu trinken).“
Die EU-Kommission warnt in ihrem Online-Auftritt nachdrücklich vor der destabilisierenden Wirkung von Fake News: „Falschinformationen beeinträchtigen das Urteilsvermögen. Angesichts einer Flut widersprüchlicher Informationen zweifelt man plötzlich an den eigenen Überzeugungen. Das kann schwerwiegende Folgen haben – Gefahren für die Sicherheit der Bevölkerung, schwindendes Vertrauen in Regierungen und Medien und vieles mehr.“
Orientierung verzweifelt gesucht.
Warum aber schenken viele Menschen Fake News insbesondere in Krisensituationen so bereitwillig Gehör? „Die Unsicherheit, die mit der Covid-19-Pandemie einhergeht, schafft auch einen fruchtbaren Boden für potenziell schädliche Verschwörungserzählungen“, heißt es in einem Konzeptpapier der Bundespsychotherapeutenkammer und weiterer Fachgesellschaften, das im Juni erschienen ist. In Situationen, in denen die Menschen verzweifelt nach Erklärungen und Orientierung suchen, liefern Verschwörungsmythen einfache Antworten und klare Feindbilder. Gleichzeitig dämpft die Angst vor dem Virus den Elan, Informationen kritisch zu prüfen – vor allem dann, wenn diese gut in das eigene Weltbild passen oder aus vermeintlich sicherer Quelle stammen.
Social Media als Infoquelle.
Eine zentrale Rolle spielen hier die sozialen Netzwerke, über die man sehr einfach sehr viele Menschen erreichen kann. Vor allem (mehr oder minder) Prominente können dort auch mit kruden Thesen erstaunliche Reichweiten erzielen.
- EUvsDisinfo: Infoseite über Desinformations-Narrative, auch zu Corona
- Europäische Kommission: Website gegen Corona-Desinformation
- Silberberger, Giulia/Reinhardt, Rüdiger: Verschwörungsideologien & Fake News erkennen und widerlegen. Berlin 2020.
- Kompetenznetz Public Health Covid-19: Fact Sheet „Umgang mit Falschnachrichten in Medien“. Download
- Mythbusters: englischsprachige Faktencheck-Seite der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
Wissenschaftler der Universität von Ottawa fanden heraus, dass mehr als ein Viertel der meistgesehenen englischsprachigen Corona-Videos auf der Plattform Youtube irreführende Infos enthielt. Eine andere Studie kam zu dem Schluss, dass Falschmeldungen sich auf Twitter deutlich schneller verbreiten als inhaltlich korrekte Beiträge.
Parallel dazu haben – auch in Deutschland – die sozialen Netzwerke als Informationsmedium insbesondere für junge Erwachsene sehr an Bedeutung gewonnen. So überrascht es nicht, dass bei einer Forsa-Umfrage im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt 93 Prozent der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen nach eigener Aussage online schon einmal mit Corona-Fake-News konfrontiert waren.
Fake News den Kampf ansagen.
Plattformen wie Google, Facebook und Twitter steuern nach anfänglichem Zögern mittlerweile gegen. So versieht Twitter Fake News und Verschwörungsmythen zum Coronavirus mit Warnhinweisen oder löscht sie komplett. Facebook hat eine Meldefunktion für Fake News installiert und kooperiert mit Faktencheck-Teams. Youtube weist unter Videos auf die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung als verlässliche Infoquelle hin.
Der EU-Kommission geht das alles noch nicht weit genug. Sie forderte Mitte Juni die Online-Plattformen auf, monatliche Berichte mit genauen Angaben zu ihren Anstrengungen gegen Desinformation zu liefern, mehr Transparenz zu schaffen und ihre Zusammenarbeit mit Faktenprüfern zu intensivieren. Die EU unterhält auch die Seite EUvsDisinfo.eu, die in regelmäßigen Reports über neue, vor allem kremlfreundliche Desinformations-Narrative aufklärt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stellte einen „Myth Buster“ ins Netz, der mit Falschaussagen zu Corona aufräumen soll.
Weitere Faktenchecks bieten zum Beispiel Seiten wie mimikama.at oder correctiv.org, aber auch verschiedene klassische Medien, darunter die Tagesschau, der Westdeutsche Rundfunk und die Süddeutsche Zeitung. Und das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt mit „FactsforFriends“ und „CoVerified“ Projekte zur Bekämpfung von Falschinformationen, die aus dem „WirVsVirus“-Hackathon im März 2020 hervorgegangen sind.
Anleitung zum Faktencheck.
Anders als bei Volksverhetzung oder Beleidigung sind juristische Maßnahmen gegen Fake News derzeit nicht geplant. Unter Verweis auf die Meinungsfreiheit sprach sich Bundesjustizministerin Christine Lambrecht im Mai gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dagegen aus, das Verbreiten von Fake News unter Strafe zu stellen. Sie empfiehlt als Maßnahmen gegen Fake News „Fakten und ein gesundes Misstrauen“.
Das sieht Giulia Silberberger, die Gründerin des gemeinnützigen Anti-Verschwörungstheorien-Vereins „Der goldene Aluhut“, auch so. Silberberger erstellte darum eine Broschüre mit detaillierten Anleitungen zum Überprüfen von Nachrichten und vielen Links zu Faktencheck-Angeboten.
Denn im Kampf gegen Fake News kommt es letztlich auf jeden einzelnen an. Grundsätzlich gilt: Man sollte immer mehrere Infokanäle nutzen und Nachrichten stets hinterfragen: Ist die Quelle seriös? Berichten auch andere darüber? Welche Absicht könnte dahinter stecken? Und die goldene Regel für den Zweifelsfall lautet schlicht: Einfach nicht weiterverbreiten!