Arzneimittelversorgung

Schutzschilde gegen Engpässe

Um Lieferengpässe bei Arzneimitteln zu vermeiden, ist mehr Transparenz und Zusammenarbeit auf europäischer Ebene nötig. Darin waren sich die Teilnehmer der digitalen AOK-im-Dialog-Veranstaltung einig. Von Thomas Rottschäfer

Der EU-Ministerrat

für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz hat die EU-Kommission Anfang Dezember damit beauftragt, einen Aktionsplan für eine nachhaltige Gestaltung globaler Lieferketten vorzulegen. Dazu gehören aus Sicht des Rates auch Vorgaben für Sozial- und Umweltstandards bei der Herstellung und mehr Transparenz über die gesamten Lieferketten. Diese Forderungen entsprechen den Vorstellungen des AOK-Bundesverbandes. „Wir wissen viel über Arzneimittel: Was sie kosten, wie oft sie verschrieben und von den Apotheken abgegeben werden. Aber wir wissen fast nichts darüber, wo sie herkommen, wie sie hergestellt werden und wie groß der jeweilige Marktbestand ist“, sagte Vorstandschef Martin Litsch Ende November bei der Veranstaltung „AOK im Dia­log“ im Begleitprogramm zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Die Teilnehmer diskutierten über „Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln als gesamteuropäische Herausforderung“. Ihr Tenor: Notwendig sind Markttransparenz, die Produktion wichtiger Medikamente durch mehrere Anbieter, das Bevorraten kritischer Präparate, mehr Qualitätssicherung und bessere Kooperation auf EU-Ebene.

Monopolstellungen durchbrechen.

Die Bundesregierung setze sich insbesondere bei Antibiotika und anderen wichtigen Medikamenten dafür ein, die Monopolstellung einzelner Unternehmen zu durchbrechen, betonte Dr. Lars Nickel vom Bundesgesundheitsministerium (BMG). Es gehe zudem darum, Anreize für Herstellung und Produktion strategisch wichtiger Medikamente in Europa zu bieten. Diese Aspekte seien auch Bestandteil der kürzlich von der EU-Kommission vor­gelegten EU-Arzneimittelstrategie.

Ein Frühwarnsystem ist erforderlich, um Lieferschwierigkeiten rechtzeitig begegnen zu können.

„Wir wissen inzwischen genau, wie viele Kapazitäten es bei Intensivbetten für Covid-19-Patien­ten gibt. Ein solches Frühwarnsystem brauchen wir auch für kritische Arzneimittel“, forderte Litsch. Der stellvertretende Geschäftsführer der EU-Arzneimittelagentur EMA, Noël Wathion, begrüßte in diesem Zusammenhang die geplanten Kompetenzerweiterungen für seine Behörde. Dies ermögliche es, den Markt intensiver als bisher zu beobachten, eigenständig auf Arzneimittelengpässe zu reagieren und den Bedarf an wichtigen Medikamenten gemeinsam mit den Mitgliedstaaten zu ermitteln und zu planen.

Meldepflicht für Hersteller.

Eine EU-weite Erfassung von Lieferengpässen werde durch die Zuständigkeit der Einzelstaaten für das Gesundheitswesen erschwert, erläuterte Dr. Sabine Vogler von der Gesundheit Österreich GmbH. Zudem sei das Vorgehen der einzelnen Länder gegen Lieferengpässe höchst unterschiedlich. Sanktionen gegen Meldepflichten seien die Ausnahme. In Österreich müssen Pharmafirmen Engpässe bei rezeptpflichtigen Medikamenten an eine staatliche Datenbank melden. Ab 2021 sollen Ärzte auf diese Datenbank zugreifen können, um Patienten sofort Alternativen verschreiben zu können, berichtete Dr. Christa Wirthumer-Hoche von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit.

Neue Kriterien für Rabattverträge.

Die AOK sei bestrebt, durch neue Vergabekriterien für ihre Arzneimittelrabattverträge Lieferketten-Transparenz, höhere Lagerbestände, Qualitätssicherung und das Einhalten von Umwelt- und Sozialstandards durchzusetzen, erläuterte Litsch. Es sei vorstellbar, entsprechende Vertragsstandards auch im europä­ischen Vergaberecht zu verankern, sagte Nickel. Auch die Produktion in Europa könne auf diesem Wege gefördert werden. Es gehe aber nicht darum, „alles aus A­sien nach Europa zurückzuholen“.

Unter „AOK im Dialog“ stehen eine Aufzeichnung der Veranstaltung, ein Video zu den Ursachen von Lieferengpässen, das G+G-Spezial „Lösungen für Lieferengpässe“ und ein AOK-Positionspapier zur Verfügung.

„Die Globalisierung lässt sich nicht zurückdrehen“, betonte auch Christa Wirthumer-Hoche. „Es ist auch nicht in erster Linie wichtig, wo produziert wird, sondern wie produziert wird“, so Litsch.

Vor nationalen Alleingängen gewarnt.

Die Europaabgeordnete Jutta Paulus (Grüne) warnte mit Blick auf das von der Bundesregierung geplante Lieferketten-Gesetz vor nationalen Alleingängen und plädierte für eine EU-Lösung. Sie forderte zudem, in die gesetzlichen Vorgaben zur „guten Herstellungspraxis“ für Arzneimittel die gesamte Produktionskette einzubeziehen.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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