Für Sie gelesen 4
Palliativ-Versorgung
Schwierige Medizin am Lebensende
Die Palliativ-Ärztin Hannah Haberland beschreibt zu Beginn ihre persönliche Krise: Verängstigt und mit dem Gefühl, sterbenskrank zu sein, sucht sie ihre Hausärztin auf. Diese aber kann keine erschreckende Diagnose feststellen, sondern drückt ihr stattdessen ein Rezept für Psychopharmaka in die Hand. Empört wird es Haberland später zerreißen und in den nächsten Mülleimer werfen. Dass ihr diese Tabletten helfen könnten, erscheint ihr völlig abwegig. Als Grund für ihr Ausgebranntsein sieht sie ihre Patienten, deren Angehörige und Bedürfnisse angesichts des nahen Todes: Der vom Krebs gezeichnete Arzt beispielsweise, der sich nicht auf die Schmerztherapie einzulassen scheint, der türkische Großvater, den die Familie an seinen letzten Lebenstagen in sein Heimatland zurückbringen will, um später die Transportkosten zu sparen, die Frau mit dem Mammakarzinom und deren Bruder, die eine – vielleicht ungewöhnliche – spirituelle Unterstützung suchen. Hannah Haberland, die in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung arbeitet, bleiben viele dieser Wünsche fremd, obwohl sie sich mit ihren Patienten durchaus auseinandersetzt. Palliativ-Medizin besteht für sie aus einer eindeutigen Rezeptur. Die geschilderten Erlebnisse – sie basieren auf realen Begebenheiten – lesen sich wie aus einem Management-Handbuch und führen selten in eine emotionale Tiefe.
Hannah Haberland: Letzte Begegnungen. Eine Palliativärztin erzählt. 2018. 224 Seiten. 14,95 Euro. Eden Books, Berlin.
Gesundheitsversorgung
Mängel im Medizinbetrieb
Das Feld der Gesundheit lädt immer wieder ein, Stärken und Mängel zu beschreiben, Ratschläge zu erteilen, mit weiteren Daten aufzuklären, Hoffnungen zu wecken oder zu hohe Erwartungen zu dämpfen. Der Mediziner Johannes Wimmer hat sich mit dem Epidemiologen Professor Robin Haring zusammengetan, um Interessierten in einem Buch Hinweise, Informationen, Warnungen, Mahnungen und Tiefgründigkeiten zu liefern. Vieles davon ist nicht neu, aber durchaus interessanter Lesestoff. Die Autoren gehen beispielsweise mit der medizinischen Forschung hart ins Gericht. Denn diese liefere ihren Recherchen zufolge nicht das, was Patienten und Medizinbetrieb wirklich brauchen. Etwa 80 Prozent der Forschungsergebnisse seien irreführend und nur etwa sieben Prozent der neuen Arzneimittel echte Innovationen mit Zusatznutzen. Gerade die häufigsten Erkrankungen aber würden vergleichsweise wenig erforscht. So erstellten die Wissenschaftler zwar weltweit tausende Studien und publizierten Fachartikel und Reviews. In der Praxis aber komme das Wissen trotz aller Leitlinien kaum an. Dem Streben, Medizin zu einer Wissenschaft zu machen, stellen Wimmer und Haring ihre Definition entgegen: Medizin könne nur mit Ungewissheiten arbeiten und muss sich in der Praxis als „Kunst der Wahrscheinlichkeiten“ erweisen.
Johannes Wimmer, Robin Haring: Ein Schnupfen ist kein Beinbruch. Warum weniger Medizin oft gesünder ist. 2018. 224 Seiten. 10,00 Euro. Ullstein Taschenbuch, Berlin.
Lebensqualität
Ein Plan für mehr Gesundheit
Lieben, Lachen, Laufen, Lernen und leichter essen lauten die fünf Empfehlungen des Medizin-Professors Heinz Ludwig für ein langes Leben. An zwei Beispielen macht er eingangs deutlich, wie stark Einstellungen und Umfeld auf die Gesundheit einwirken: Maria Alwara und Robert Thuch haben Krebs, aber bewältigen ihr Schicksal höchst unterschiedlich. Die Frau schöpft Kraft im Kontakt mit ihren Kindern und überwindet die Krankheit. Den Mann,
alleinlebend und beruflich erfolgreich, wirft die Diagnose aus der Bahn. Das Lieben, die Pflege von verlässlichen Beziehungen, steht daher an erster Stelle der Tipps zum gesunden Lebensplan. Humor, Bewegung, gesunde Ernährung folgen. Beim Thema Lernen geht Ludwig mit unserer Gesellschaft ins Gericht. Unser Gehirn brauche die Impulse der Umwelt, um seine Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Eine „naturgegebene Veranlagung“ des Menschen, so Ludwig, sei es jedoch, „Anstrengungen, insbesondere geistige Aktivitäten“ zu vermeiden. Die sich abzeichnenden Trends leisten diesem „geistigen Trägheitsmoment“ Vorschub, denn die fortschreitende Digitalisierung werde uns viele geistige Aktivitäten abnehmen. Damit drohe eine Spaltung der Gesellschaft: Auf der einen Seite wenige Spitzenleute als Vordenker, auf der anderen der träge Rest der Menschheit.
Heinz Ludwig: Richtig leben, länger leben. 2017. 192 Seiten. 21,90 Euro. edition a GmbH, Wien.
Familienbande
Fürsorge als Nährstoff
Was ist das Geheimnis eines langen Lebens? Eine fürsorgende Familie, die sich nicht wegduckt, wenn die Kräfte nachlassen. Oma Maria aus Rosenheim kann sich glücklich schätzen. Sie hat einen Sohn, der selbst schon im Rentenalter nochmals bei ihr einzieht. Und sie hat eine Enkelin, die sich intensiv um sie kümmert, bei ihr wohnt, den Alltag organisiert und mit ihr auf Reisen geht. Die Familie gestaltet das Miteinander bewusst, entschieden, liebevoll. Solche Geschichten sind selten geworden. Und so hat Enkelin Anja, ausgebildete Kommunikationsdesignerin, einen guten Riecher, dass sie die Story auf Facebook erzählt und ein Buch herausbringt. Oma Maria wird zum Medienstar. Den Umgang mit der lebensfrohen 107-Jährigen beschreibt Enkelin Anja nahezu komplett in Dialogen. Wie ein fortdauerndes Gespräch werden die Erlebnisse im Alltag, bei Familienfesten, auf Reisen und auch die Auseinandersetzung mit dem Jahrhundert an Lebenserfahrung erzählt – ein kreatives Experiment, das die Dynamik zwischen Alt und Jung, gestern und heute aufzeigt. Anja ist nicht allein, sondern Teil einer Familie, die sich Fürsorge zur Aufgabe gemacht hat. Ein wohltuendes Zeugnis vom Glück, einer lebendigen Familie anzugehören.
Anja Fritzsche & Oma Maria: Oma, die Nachtcreme ist für 30-Jährige. 2017. 240 Seiten. 10,00 Euro. Ullstein Taschenbuch, Berlin.