Spezialisten am Zug
Aktuelle Analysen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigen: Die Qualität der Krankenhausversorgung in Deutschland ließe sich durch Zentralisierung und Spezialisierung deutlich heben. Von Thomas Hommel
Ein Wörtchen findet man
im deutschen Sozialgesetzbuch recht häufig. Es lautet „bedarfsgerecht“. Denn so soll sie idealerweise sein – die Versorgung der Versicherten. Eine nähere Definition, was „bedarfsgerecht“ heißt, hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen. Vielmehr sei der Begriff angesichts eines sich wandelnden gesellschaftlichen Umfeldes immer wieder neu zu fassen. Mit dem Krankenhausstrukturgesetz von 2016 ist zuletzt Bewegung in die „bedarfsgerechte“ Ausgestaltung der Kliniklandschaft gekommen. So sollen Qualitätsaspekte sowohl bei der Versorgung wie auch der Planung von Kliniken und Klinikabteilungen eine deutlich größere Rolle spielen. Bedarfsorientierung wird somit erheblich weiter gefasst als die alleinige Bereitstellung ausreichender Kapazitäten an Klinikbetten.
Mehr Qualität in Zentren.
Doch Papier ist bekanntlich geduldig. Denn auch gut zwei Jahre nach Inkrafttreten der Krankenhausreform machen die Bundesländer von den Möglichkeiten eines qualitätsorientierten Umbaus der Kliniklandschaft nur zögerlich Gebrauch. Der AOK-Bundesverband schlägt deshalb ein gemeinsames Konzept von Bund und Ländern vor. „Das Zielbild 2025 sollte festhalten, wo wir mit der stationären Versorgung am Ende der nächsten Legislaturperiode stehen wollen“, sagte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, anlässlich der Vorstellung des neuen Krankenhaus-Reports 2018, dessen Autoren sich mit dem Themenschwerpunkt „Bedarf und Bedarfsgerechtigkeit“ in der stationären Versorgung beschäftigen.
Auf offene Ohren stößt der Vorschlag der AOK bei Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Er werde Qualitätsgesichtspunkte stärker in den Mittelpunkt seiner Krankenhauspolitik rücken, betonte der CDU-Politiker. „Bei den Planungen standen bisher oftmals die Bettenzahlen im Fokus.“ Für die Patienten komme es jedoch maßgeblich auf die Ergebnisqualität der Leistungen an, sagte der ehemalige Patientenbeauftragte der Bundesregierung.
Die Bundesländer nutzen die Möglichkeiten zum Umbau der Kliniklandschaft noch zu zögerlich.
Nach Ansicht von AOK-Vorstand Litsch geht es der Gesundheitskasse bei ihrem Vorschlag für ein gemeinsames „Zielbild“ nicht vorrangig um die Frage, wie viele Kliniken es am Ende in Deutschland gibt. „Ein deutlicher Schritt wäre es aber bereits, wenn Kliniken mit mehr als 500 Betten künftig nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel bilden.“ Das bedeute im Umkehrschluss aber nicht, dass kleinere Häuser geschlossen würden. Es könne auch eine veränderte Nutzung innerhalb der Versorgungslandschaft bedeuten, bei der ambulante und stationäre Leistungen stärker verwoben werden müssten.
Bessere Überlebenschancen.
Für eine an der Versorgungsqualität ausgerichtete Zentrenbildung plädierten bei der Vorstellung des Krankenhaus-Reports auch dessen Mitherausgeber und WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber sowie der Berliner Gesundheitsökonom Professor Dr. Reinhard Busse. Das WIdO hat anhand aktueller Daten zu Darmkrebs-Operationen durchgespielt, wie sich die Versorgung der Patienten mittels Zentralisierung verbessern ließe. Jährlich erkranken etwa 60.000 Menschen in Deutschland an Darmkrebs, wobei rund 40 Prozent von ihnen in den ersten fünf Jahren nach der Diagnose versterben. Dabei sind die Überlebenschancen für die Patienten, die in einem der von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierten Zentren behandelt werden, erheblich höher. „Bei Kolonkarzinom-Operationen liegt das Risiko, schon während des Klinikaufenthaltes zu versterben, bei nicht zertifizierten Krankenhäusern um 21 Prozent höher als in zertifizierten Zentren“, so Klauber. Bei einem Rektumkarzinom unterscheide sich das Risiko sogar um 65 Prozent.
Lesetipp
J. Klauber, M.Geraedts, J. Friedrich, J. Wasem (Hrsg.): Krankenhaus-Report 2018. Schwerpunkt: Bedarf und Bedarfsgerechtigkeit. 496 Seiten, Schattauer-Verlag, Stuttgart 2018.
Knapp die Hälfte der Patienten wird aber erst gar nicht in einem zertifizierten Zentrum versorgt. Rund 44.000 Darmkrebsoperationen wurden im Jahr 2015 in Deutschland an 1.000 Krankenhäusern durchgeführt. In einem Viertel der Häuser gibt es durchschnittlich 17 Darmkrebs-Operationen pro Jahr. Ein weiteres Viertel operiert 18 bis maximal 33 Fälle dieser Art. Nach den Kriterien der Krebsgesellschaft können Kliniken aber nur als Krebskliniken zertifiziert werden, wenn sie mindestens 20 Operationen des Rektumkarzinoms oder 30 des Kolonkarzinoms erbringen.
Krankenhausplanung zügig angehen.
Der WIdO-Analyse zufolge ließe sich die Qualität der Behandlung deutlich heben, wenn nur noch Kliniken Darmkrebs-Patienten operieren dürften, die als Zentren schon zertifiziert sind oder die mindestens 50 Operationen im Jahr erbringen. Dafür sei die Krankenhausplanung in den Ländern entsprechend zu ändern. Dann würde zwar die Zahl der möglichen Klinken für diesen Eingriff von aktuell 1.000 auf 385 Häuser sinken. Wegen der größeren Spezialisierung sei aber davon auszugehen, dass die Qualität steige. Der Anfahrtsweg zur nächsten Krebsklinik würde sich dadurch im Schnitt von acht auf 16 Kilometer verlängern, wobei es die weitesten Wege in Mecklenburg-Vorpommern mit 33 Kilometern gäbe. Der Anteil der Patienten, die mehr als 50 Kilometer Anfahrt auf sich nehmen müssten, würde von 0,03 Prozent auf 2,5 Prozent steigen. „Mit Blick auf die Therapiequalität und die höheren Überlebenschancen sollte das aber kein Thema sein“, betonte Klauber. „Es geht hier um das Überleben eines Patienten.
Mit Blick auf die höheren Überlebenschancen sollten längere Anfahrtswege der Patienten kein Thema sein.
Da kann der Anfahrtsweg kein ausschlaggebendes Kriterium für die Krankenhausplanung sein.“ Auch bei Brustkrebs, Lungenkrebs oder planbaren Operationen wie einem Eingriff an der Hüfte wäre eine solche Neuorganisation der stationären Versorgung denkbar. „Die Diagnose, dass die mangelnde Konzentration von stationären Fällen zu unnötigen Todesfällen führt, wird von der Politik mittlerweile akzeptiert, auch wenn es mit der Therapie noch hapert“, stellte Gesundheitsökonom Busse fest. So wäre es nach Darstellung des Professors für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät für Wirtschaft und Management der TU Berlin längst angebracht, Patienten mit Verdacht auf einen Herzinfarkt nur in Krankenhäuser mit einer Herzkathetereinheit einzuliefern und dort zu behandeln.
Personalmangel erfordert Umdenken.
Doch von knapp 1.400 Kliniken, die derzeit Patienten mit Herzinfarkten behandeln, weisen laut Busse weniger als 600 eine solche Einheit auf. Das gleiche gelte für die Behandlung von Schlaganfällen. Nur gut 500 der 1.300 Kliniken, die Schlaganfälle behandeln, verfügen über entsprechende Schlaganfalleinheiten (Stroke Units). Gleichzeitig sollte aus Sicht des Experten garantiert sein, dass das Krankenhaus rund um die Uhr über entsprechende Fachärzte verfügt. Doch nach Berechnungen Busses würde die Facharztversorgung nur für jeweils 600 Kliniken reichen, wenn mindestens ein Neurologe oder Kardiologe ständig verfügbar sein müsste: „Die Therapie kann also nicht lauten, jetzt noch die jeweils anderen rund 800 Krankenhäuser mit Schlaganfall- und Herzkathetereinheiten auszustatten.“
Diese Situation betrifft aus Sicht des AOK-Bundesverbandes auch die Pflegekräfte: „Wir haben nicht genügend Personal, um alle bestehenden Krankenhäuser so auszustatten, dass sinnvolle Personalanhaltszahlen oder Personaluntergrenzen gut umgesetzt werden können“, sagte Litsch. Dieses Personal stehe auf dem Arbeitsmarkt auch kurzfristig nicht zur Verfügung. Auch deshalb sei die Zentrenbildung sinnvoll.