Stellenprogramm als Chance?
Um Engpässen beim Pflegepersonal entgegenzuwirken, will die Große Koalition 8.000 neue Stellen schaffen. Was meinen Sie: probates Mittel oder Tropfen auf den heißen Stein?
Christine Vogler, Vize-Präsidentin des Deutschen Pflegerates:
Für ihre 8.000 neuen Stellen für die medizinische Behandlungspflege in Pflegeheimen sollte sich die Bundesregierung nicht feiern lassen. Bereits heute sind in den Einrichtungen deutlich mehr Stellen vakant. Doch woher kommt das Personal? Diese Frage lässt der Koalitionsvertrag völlig offen. Richtig ist, den Webfehler Behandlungspflege anzugehen. Die jetzige Lösung entspricht rund 400 Millionen Euro pro Jahr. Das wären 0,6 Stellen pro Pflegeheim. Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Deutschland braucht einen Masterplan Pflege. Dieser muss klären, wie sich die Herkulesaufgabe „mehr und besser qualifiziertes Pflegepersonal“ bewältigen lässt.
Prof. Dr. Michael Isfort, stellvertretender Leiter des Instituts für angewandte Pflegeforschung:
Das grundsätzliche Problem ist: Die 8.000 Fachkräfte stehen auf dem Arbeitsmarkt derzeit nicht zur Verfügung. Laut unserem aktuellen Pflegethermometer sind in den Altenpflegeeinrichtungen momentan rund 17.000 Stellen unbesetzt, für die es potenziell eine Finanzierung gäbe und die sich so gesehen sofort besetzen ließen. Wenn man nun 8.000 Stellen theoretisch aus anderen Mitteln finanzieren kann, so klingt dies nach einer aus Sicht der Politik probaten Maßnahme, die aber in der Realität nicht ankommt und den Einrichtungen wenig hilft. Was hilft, ist eine langfristige und klar konturierte Aktion. Die aber muss mehr umfassen als Kosmetik und Rechenspiele.
Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste:
Wir freuen uns über jede Entlastung, weisen aber auch darauf hin, dass die Ungleichbehandlung der Heimbewohner bei der Finanzierung der medizinischen Behandlungspflege mit weniger als 0,7 Stellen pro Pflegeheim erkennbar fortgesetzt werden soll. Um eine spürbare Entlastung zu erreichen, benötigen wir deutlich mehr Pflegekräfte. Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigt schneller als die Zahl der Pflegefachkräfte. Insofern werden wir auch neue Konzepte zur Aufgabenverteilung zwischen Pflegekräften und Pflegefachkräften umsetzen müssen. Auch qualifizierte Zuwanderung muss einen Beitrag leisten.
Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes:
Von den Pflegereformen hat die vollstationäre Pflege nicht genauso profitiert wie die ambulante. Daher wäre es folgerichtig, wenn die Politik nun bei den vollstationären Pflegeeinrichtungen nachjustiert – auch in Sachen Personal. Aber niemand weiß, wo die geplanten 8.000 neuen Pflegefachkräfte mal eben herkommen sollen. Schon heute dauert es im Schnitt 167 Tage, um eine Pflegestelle nachzubesetzen. Das gleiche Problem haben im Übrigen die Kliniken. Hier müssen wir endlich an die Strukturen ran, das heißt konkret: Krankenhausstrukturen sind unter Qualitäts- wie Personalgesichtspunkten zu zentralisieren und zu spezialisieren.