Thema des Monats

Selbstversuch im Schlaflabor

Schnarchen, Atemaussetzer, häufiges Wachwerden: Das ist nicht nur lästig, sondern kann krank machen. Wie das Schlafmedizinische Zentrum der Uni Marburg den Ursachen von Schlafstörungen auf den Grund geht, hat G+G-Autor Christoph Fuhr selbst ausprobiert. Fotograf Rolf K. Wegst hat ihn bei seinem Labortest begleitet.

Abends um elf. Ein langer und ereignisreicher Tag geht zu Ende. Jetzt ist es an der Zeit ins Bett zu gehen. Licht aus. Augen zu. Das Einschlafen bereitet keine Probleme. Der Schlaf ist erholsam und wird begleitet von schönen Träumen. Sanft ist das Erwachen nach sieben, acht Stunden. Topfit und hochmotiviert geht es in den neuen Tag. So sollte sie sein, die erholsame Nacht – doch das ist für Millionen Menschen nur blanke Theorie. Sie wühlen im Bett herum, schnarchen, röcheln und sabbern, atmen schwer, manche geben merkwürdige Geräusche von sich, wachen immer wieder auf, kommen nicht zur Ruhe, fühlen sich am nächsten Morgen platt und gerädert. Ganz so schlimm ist es bei mir nicht. Oder doch? „Du schnarchst“, sagt meine Frau immer häufiger. „Du wachst zwischendurch auf. Und manchmal stockt dein Atem.“ Also: Auf nach Marburg ins Schlaflabor der Uniklinik. Ein Selbstversuch. Ich will wissen, was dort passiert und was los ist mit meinem Schlaf.

Eine Nacht total überwacht.

Das Schlafmedizinische Zentrum der Uni Marburg befindet sich in der Klinik für Innere Medizin auf den Lahnbergen: 2006 sind dort nach aufwändigen Bauarbeiten zehn Patienten-Einzelzimmer entstanden. Hier werden jedes Jahr stationär etwa 2.000 und ambulant 2.600 Patienten untersucht und behandelt, erklärt mir Professor Dr. Ulrich Koehler. Er ist leitender Oberarzt der Klinik für Lungenheilkunde und Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums (siehe Interview). Konkret geht es im Schlaflabor um Erkrankungen, die die Schlafqualität beim Ein- und Durchschlafen stören oder zu Beschwerden am Tage führen – mit erhöhter Tagesmüdigkeit und der Neigung zum Einschlafen. Manche Patienten, die an der Anmeldung warten müssen, machen ein Nickerchen und müssen erst einmal geweckt werden, erfahre ich. Ganz schön peinlich. Das passiert mir glücklicherweise nicht.

Schlafen ist etwas Privates. Hier allerdings ist alles anders. Mein (Schlaf-)Zimmer für eine Nacht erweckt den Eindruck, als sei es von George Orwells Kunstfigur Big Brother persönlich eingerichtet worden. Eine Kamera mit Nachtsichtgerät ist unmittelbar auf mein Bett gerichtet, ein Mikrofon direkt daneben wird jedes auch noch so kleine Geräusch akustisch dokumentieren. Kein Zweifel: Hier lässt sich nichts vertuschen. Aber genau das ist ja auch der Sinn der Sache. Wer diese totale Transparenz nicht aushält, sollte lieber zu Hause bleiben.

Schlafmedizin ist interdisziplinär.

Einfach mal auf die Schnelle zum Durchchecken ins Schlaflabor gehen? Das funktioniert nicht – es sei denn, man ist Journalist und will über das Labor berichten. Vor einer Einweisung haben in der Regel niedergelassene Ärzte umfassende Diagnosen gestellt und Handlungsbedarf gesehen. Meist ist der Hausarzt erste Anlaufstation, und dann veranlassen Fachärzte weitere Untersuchungen: HNO-Ärzte zum Beispiel, Neurologen, Pneumologen oder Pädiater. Schlafmedizin ist ein interdisziplinäres Fach, sagt Koehler.

Schlafmangel kostet die deutsche Wirtschaft bis zu 60 Milliarden Euro jährlich. Das entspricht 1,56 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Zu diesem Ergebnis kommt die US-amerikanische Denkfabrik Rand Europe in ihrer 2016 publizierten Studie „Why Sleep Matters – The Economic Costs of Insufficient Sleep“. Die Summe beinhaltet nicht nur die finanziellen Folgen, die durch gesundheitliche Schäden von Schlafmangel entstehen, sondern auch jene, die auf verminderte Konzentrationsfähigkeit während der Arbeit zurückzuführen sind. In Deutschland kommt es danach zu mehr als 200.000 Fehltagen am Arbeitsplatz infolge von Schlafstörungen. Auch das Sterblichkeitsrisiko ist der Studie zufolge erhöht. Ein Mensch, der durchschnittlich weniger als sechs Stunden schläft, hat danach ein 13 Prozent höheres Sterblichkeitsrisiko als jemand, der sechs bis neun Stunden schläft. Die non-profit-Organisation Rand Europe Cooperation hat in dieser Studie erstmals für fünf große Industrienationen (USA, Deutschland, Japan, Großbritannien und Kanada) volkswirtschaftliche Schäden des Schlafmangels ermittelt und dabei Daten von mehr als 60.000 Arbeitnehmern ausgewertet. In Ländern wie etwa den USA waren die Folgen des Schlafmangels noch gravierender als in Deutschland.
Weiterführende Informationen der Rand Cooperation 

Patienten gehen zum niedergelassenen Arzt,

weil sie merken, dass sie nicht gut schlafen und sich tagsüber oft leer und abgespannt fühlen. Spezialisierte Mediziner verleihen dann Mess­geräte für Daten, die beim Patienten nachts zu Hause ermittelt werden. Diese Diagnostik nennt sich ambulante Polygraphie. Sie ist eine Voruntersuchung und screent wichtige auf den Schlaf bezogene Körperfunktionen. Danach zeigt sich, ob Patienten wirklich ernsthafte Probleme mit ihrem Schlaf haben. Wenn womöglich andere Komplikationen hinzukommen, zum Beispiel Übergewicht, Herzrhythmusstörungen oder Bluthochdruck, folgt nicht selten die Überweisung in ein Schlaflabor.

Ich muss am Nachmittag vor meiner Testnacht im Labor zunächst einen Fragenkatalog abarbeiten. Ist mein Schlaf erholsam? Nicke ich am Tag manchmal ein? Mache ich womöglich sogar ein Nickerchen im Auto an der Ampel? Natürlich nicht, sage ich mir, das ist völlig abwegig! Und wie sieht es bei öffentlichen Veranstaltungen aus? Um ehrlich zu sein: Da kann es bei mir durchaus Probleme geben. Wenn Referenten zum x-ten Mal den Untergang des deutschen Gesundheitswesens prophezeien und ich als Berichterstatter im Saal sitze, kehrt Langeweile ein. Ich schalte dann ab, mache ein Nickerchen. Aber sonst? Einschlafen am Tag? Nein!

Die Verkabelung dauert 20 Minuten.

Vor meinem Besuch in Marburg habe ich viel recherchiert. Zum Thema Schlaf gibt es eine Menge wichtiger Fakten. Wir verschlafen ein Drittel unseres Lebens. Ein gesunder Mensch hat im Alter von 75 Jahren 216.000 Stunden Schlaf hinter sich. Etwa jeder dritte Erwachsene leidet nach Zahlen der AOK an gelegentlichen Einschlaf- oder Durchschlafstörungen. Und bei fast jedem zehnten Bürger liegt eine chronische Schlafstörung vor.

Am frühen Abend wird es ernst. Meine Verkabelung beginnt. Marie-Luisa Martini, eine Medizinstudentin, die sich in der klinischen Phase ihrer Ausbildung befindet, startet routiniert mit ihrer Arbeit. Knapp 20 Minuten dauert es, bis alle Sensoren an meinem Körper an der richtigen Position sind. Schmerzen habe ich dabei nicht – die werde ich auch in der folgenden Nacht nicht haben. Ich will von der Studentin wissen, was sie von der Schlafmedizin hält. Sehr viel, sagt sie, und bringt ihre Erfahrungen auf den Punkt: „Man kann hier unmittelbar erleben, dass Menschen, die jahrelang nachts kaum zur Ruhe kommen, morgens aufwachen und sagen: So gut habe ich schon seit Jahren nicht mehr geschlafen.“ Das wird bei mir aus gutem Grund nicht passieren: Es soll in dieser Nacht ausschließlich um Diagnosen gehen, und nicht um Therapie.

Daten laufen im Kontrollraum ein.

Studentin Martini beginnt mit ihrer Arbeit. An meinem Kehlkopf wird zunächst ein Mikrofon befestigt, das aufzeichnet, falls ich schnarche oder zu röcheln anfange. An den Beinen werden Elektroden mit einer hautfreundlichen Paste festgeklebt, um die Muskelaktivitäten abzuleiten. Die Muskelspannung im Kinn wird mit dem Elektromyogramm gemessen und die Herzfrequenz mit Elektroden am Brustkorb registriert. Für das Messen der Atmungsaktivitäten werden Dehnungssensoren um Brustkorb und Bauch gelegt. Und damit nicht genug: Für die Gehirnströme gibt’s das EEG, fürs Messen der Augenbewegungen das Elektrookulogramm. Der Luftfluss an Mund und Nase wird mit Sensoren ermittelt. Und am linken Mittelfinger wird mein Puls und der Sauerstoffgehalt im Blut gemessen. Der Großteil der Kabel läuft in einer Box vorne am Körper zusammen. Darin befindet sich auch ein Lagesensor, mit dem aufgezeichnet wird, ob ich im Schlaf auf der linken, der rechten Seite oder auf dem Rücken liege.

Die Studentin geht in einen Kontrollraum. Dort stehen viele Computer, in denen im Laufe der Nacht aus jedem Patientenzimmer Daten en masse einlaufen werden. Sie kontrolliert, ob bei mir alle Kontakte korrekt funktionieren. „Bitte die Beine anziehen und strecken, bitte das Kinn heben, und jetzt dreimal Schnarchgeräusche erzeugen.“ Kein Problem, das habe ich schon als Kind gerne gemacht. Mich beschäftigt noch eine andere Frage: Was passiert, wenn ich nachts auf die Toilette muss? Womöglich verheddere ich mich im Kabelsalat und stürze auf den Boden? „Kein Problem“, sagt die Studentin und erklärt mir, wie sich die Apparaturen leicht lösen lassen. Alles ist so angelegt, dass ich mich gut bewegen kann.

Wenn die Zunge in den Rachen rutscht.

Aber warum der ganze Aufwand mit der Verkabelung? Bei der Untersuchung wird ein Polysomnogramm erstellt. „Das ist ein diagnostisches Verfahren zur Messung physiologischer Funktionen im Schlaf“, erläutert mir der Psychologe und Schlafforscher Werner Cassel. Differenzierte Messungen geben Auskunft über die verschiedenen Studien des Schlafes und mögliche Störungen. „Der Schlaf ist kein gleichförmiger Zustand, sondern ein sehr komplexer Prozess“, erklärt Cassel. Ich lerne viel an diesen beiden Tagen in Marburg. Auch, dass die häufigste Ursache für einen schlechten Schlaf die chronisch obstruktive Schlafapnoe ist. Sie entsteht so: Im Schlaf kommt es zu einem Zusammenfallen der Schlundmuskulatur sowie, betont in Rückenlage, zu einem Zurückfallen der Zunge in den Rachenraum. Somit ist der obere Atemweg partiell oder komplett verschlossen und der Patient bekommt keine Luft mehr. Kurz vor dem Ersticken zieht der Körper dann die Notbremse. Es kommt zu einem Adrenalinschub. Kurz und ohne es zu merken werden die Betroffenen wach und holen stoßartig Luft, erklärt mir Schlafmediziner Koehler. Dann wiederholt sich das ganze, der Körper ist permanent mit einem drohenden Erstickungstod beschäftigt und ständig wird Adrenalin ausgeschüttet.

Schlafapnoe gehört zu den Volkskrankheiten.

Szenenwechsel. Zwei Stunden vor der Verkabelung. Wir befinden uns im Kontrollraum mit den Rechnern für die Patientenzimmer. Auf einem der Bildschirme erkennt man eine Linie, die die Atmung eines Mannes wiedergibt, eine anonymisierte Aufzeichnung. Die Linie zeigt kleinere Ausschläge bei jedem Atemzug, dann folgt ein langer, schnurgerader Strich. Fast eine Minute lang hat dieser Mann nicht geatmet. Er wacht immer und immer wieder in der Nacht auf, denn der Vorgang wiederholt sich. Die Atempausen werden häufig von lautem und unregelmäßigem Schnarchen begleitet, erklärt mir Schlafforscher Cassel. Die Folgen der Schlafapnoe können fatal sein, wenn die Sauerstoffversorgung gestört ist. Der Körper reagiert mit Stress, und das kann auf längere Sicht zu Bluthochdruck, Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. Und ist der Schlaf nachts nachhaltig gestört, besteht die Gefahr eines Sekundenschlafs am Tag – nicht selten ist das der Grund für tödliche Unfälle im Straßenverkehr. Etwa zwei bis vier Prozent der Erwachsenen leiden unter einer obstruktiven Schlafapnoe. Damit gehört sie zu den häufigsten Volkskrankheiten, wie etwa Asthma, Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes. Im mittleren bis höheren Lebensalter liegt die Häufigkeit bei Männern zwischen 15 und 19 Prozent, bei Frauen zwischen neun und 15 Prozent.

Am Nachmittag habe ich die Chance zum Austausch mit einem Patienten genutzt, der wie ich die Nacht im Schlaflabor verbringt. „Ich werde tagsüber oft müde“, sagt Herr M. (58). Beruflich ist er oft mit dem Auto unterwegs und will nicht über alles klagen. „Solange etwas passiert, habe ich keine Schwierigkeiten.“ Bei einer Geburtstagsfeier am Abend vorher zum Beispiel habe es keine Probleme mit der Schläfrigkeit gegeben. An Tagen allerdings, an denen wenig Kommunikation stattfinde, aber auch nach körperlicher Arbeit spüre er zuweilen eine bleierne Müdigkeit. „Meine Frau hat mir gesagt, du musst jetzt etwas tun, wir können nicht länger warten“, sagt Herr M. „Es sind sehr oft die Frauen, die Druck machen und ihre Ehemänner zur Diagnose schicken“, berichtet Schlafexperte Koehler. Und zuweilen komme es auch vor, dass die – oft adipösen – Gattinnen selbst zu Patientinnen werden, wenn klar wird, dass viele der hier angesprochenen Probleme auch direkt auf sie zutreffen.

Den Anfang machte der Marburger Koffer.

Wie hat die Geschichte der Schlafmedizin in Deutschland begonnen? Koehler war als junger Arzt mit dabei und zeigt mir einen – fast könnte man sagen – historischen Gegenstand, der um 1980 entwickelt wurde. Es ist der sogenannte Marburger Koffer. Mit dieser Messeinheit war es erstmals möglich, Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen im häuslichen Umfeld zu untersuchen. Koehler kann sich noch gut an die Anfänge erinnern. Initial war die Technik im „Koffer“ so empfindlich, dass die nächtlichen Messungen nur bei den Patienten zu Hause möglich waren. Koehler und seine Kollegen fuhren abends zu den Patienten ins Marburger Umland. Für die Datenerfassung wurden die Patienten verkabelt und am nächsten Morgen wieder von der Technik befreit. „Das war umständlich, aber eine direkte Verkabelung in der Uniklinik war unmöglich. Auf dem Heimweg hätten sich alle Kabel wieder gelöst“, sagt er. Trotz dieser Maßnahme gab es eine sehr hohe Fehlerrate. Viele Messungen gingen aus den unterschiedlichsten Gründen schief. Mal rissen Elektroden ab, mal verhedderte sich die Kassette im Aufzeichnungsgerät. Die Patienten  reagierten ungehalten. „Wir wurden beschimpft und für die Fehler verantwortlich gemacht“, sagt Koehler. Heute kann er darüber lachen. Die Welt der Schlafmedizin hat sich rasant weitergedreht. Der Marburger Koffer ist Geschichte und Fundament zugleich – für das Schlafmedizinische Zentrum der Uni, das sich schnell zum ersten klinisch arbeitenden Schlaflabor in Deutschland mit einem konkreten Schwerpunkt entwickelt hat: Es ist die Diagnostik und Therapie der Schlafapnoe.

Elf Minuten bis zum Einnicken.

Ich gehe eigentlich nie vor Mitternacht ins Bett, aber hier im Schlaflabor ticken die Uhren anders. Um 22.30 Uhr geht der Fernseher aus. Die ARD-Tagesthemen sind heute für mich gestrichen. Da muss ich durch. Aber da wäre ja noch ein Schmöker mit mehreren hundert Seiten, den ich auf meinem Nachttisch gelegt habe: Die Geschichte der Gesundheitsrefomen in Deutschland. Was um alles in der Welt mich bewogen hat, diesen Schinken als Gutenacht-Lektüre mit nach Marburg zu nehmen – ich weiß es nicht, ich rühre ihn nicht an. Es ist ruhig geworden auf der Station. Sorgen muss sich hier keiner der Patienten machen. Während der ganzen Nacht sitzen Medizinstudenten aus fortgeschrittenen Semestern im Kontrollraum, auch ein ärztlicher Notdienst ist jederzeit einsatzbereit. Ich kann lange Zeit nicht einschlafen, weil ich über all das nachdenken muss, was ich heute zum Thema Schlaf neu gelernt habe. Zu viele Eindrücke bewegen mich. Eine hochkomplexe Materie, doch jetzt muss Schluss sein. Lass los, sage ich mir. Augen zu, und zwar sofort. Und dann schlafe ich tatsächlich ein, mit all den Kabeln am Körper. Am nächsten Morgen bekomme ich verblüffende Daten: Vom „Licht aus“ bis zum Einschlafen sind bei mir genau elf Minuten vergangen. So rasch weggenickt? Kaum zu glauben. Habe ich in dieser Nacht geträumt? Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.

Drei Phasen wechseln sich ab.

Kurz nach fünf ist die Nacht vorbei. Ich werde geweckt. Eine unjournalistische Zeit. So früh stehst du in deinem Beruf normalerweise niemals auf, denke ich. Die Kabel werden entfernt. Am PC wird für mich ein polysomnographischer Kurzbericht ausgedruckt. Er zeigt, wie es mir in der vergangenen Nacht ergangen ist. Um ihn zu kapieren, habe ich mich schon vorher mit den einzelnen Phasen des Schlafes vertraut gemacht. Denn die sind, wie so vieles hier im Labor, eine Wissenschaft für sich.

Die Einschlafphase N1 ist ein Übergangszustand zwischen Wachsein und Schlafen. Der Körper kommt zur Ruhe. Atmung und Puls werden gleichmäßiger, die Muskeln entspannen, Hirnströme verlangsamen sich. Leise Geräusche oder sanfte Berührungen werden nicht mehr wahrgenommen. Im Protokoll am nächsten Morgen zeigt sich, dass diese Phasen bei mir extrem kurz waren. Deutlich länger war die so genannte Leichtschlafphase N2. In diesem Stadium lässt die Muskelspannung nach. Atmung und Herzschlag verlangsamen sich weiter. Zuweilen kann es zu Zuckungen einzelner Körperteile kommen. Gehirn und Muskeln kommen unterschiedlich schnell zur Ruhe, das Gehirn schläft, die Muskulatur ist noch aktiv. Jetzt folgt die Tiefschlafphase N3. Der Blutdruck sinkt, der Herzschlag verlangsamt sich. Diese regenerative Phase dient der körperlichen Erholung, der Entmüdung, um am nächsten Tag wieder fit zu sein. Der Körper heilt und repariert sich. „Wenn wir zum Beispiel Vokabeln lernen, dann ist dafür offensichtlich Tiefschlaf nötig, um sie zu behalten“, sagt Cassel. Ich lerne: Diese Phase ist fundamental für das menschliche Wohlbefinden. Und dann kommt der REM-Schlaf, so bezeichnet wegen der dabei auftretenden raschen Augenbewegungen. REM ist die Abkürzung für Rapid Eye Movement. In dieser Schlafphase sind schnelle Augenbewegungen zu beobachten, zeitweilig ist die  Muskulatur gelähmt, die Gehirnaktivität ist groß „Das sieht fast so aus, als bewegen sich die Augen wie Scheibenwischer“, erläutert mir der Psychologe. In dieser Phase finden die meisten Träume statt. Das Herz schlägt schneller, die Atemfrequenz ist gesteigert. Das Gehirn wird stärker durchblutet und erreicht Werte wie im Wachzustand. Es deutet einiges darauf hin, dass auch Lernprozesse eng mit dem REM-Schlaf verbunden sind.

Der exzessive Konsum digitaler Medien sorgt bei Jugendlichen für Schlafstörungen und eine schlechtere Konzentrationsfähigkeit. Dies ist das Ergebnis einer Studie im Schlafmedizinischen Zentrum am Uniklinikum Marburg. Junge Menschen sind in ihrem Schlafverhalten besonders gefährdet, weil sich im Alter zwischen 14 und 25 Jahren der Schlafrhythmus nach hinten verschiebt und die Produktion des Schlafhormons Melatonin später am Abend einsetzt. Der übermäßige Umgang mit digitalen Medien oder Smartphones kann diesen Effekt verstärken. „Zunehmender abendlicher Medienkonsum in Form von Fernsehen, Internet und PC-Spielen führt zu späteren Schlafzeiten und einer schlechteren Befindlichkeit am Folgetag“, sagt Professor Dr. Ulrich Koehler, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums. Digitale Spiele verlangen ein hohes Maß an Konzentration und sind voller akustischer und visueller Reize. Die geistige und körperliche Anspannung vor dem Schlafen ist jedoch aus Sicht des Forschers kontraproduktiv: Statt den Körper langsam auf die nächtliche Ruhephase einzustimmen, wird ihm höchste Aufmerksamkeit und Konzentration abverlangt. Koehler beobachtet, dass in den vergangenen Jahren immer mehr jüngere Patienten ins Schlaflabor kommen, die über massive Schlafstörungen klagen.
(Christoph Fuhr)

Atemmasken bringen vielen Menschen Erleichterung.

Ich will wissen, wie es für Patienten weitergeht, bei denen die Schlafmediziner die Diagnose „chronische Schlafapnoe“ stellen. Dass Handlungsbedarf besteht, ist offensichtlich: Menschen mit einer unbehandelten obstruktiven Schlafapnoe haben eine um etwa zehn Jahren verkürzte Lebenserwartung; unbehandelt sterben nach neun Jahren etwa die Hälfte aller Schlafapnoiker an Herz-Kreislauferkrankungen. Ich erfahre, dass man Risiken mit einer Änderung des Lebensstils reduzieren kann: Abends weder rauchen noch Alkohol trinken. Bei Übergewicht abnehmen. Das kann zu einer Besserung der Schlafapnoe führen, ganz verschwinden wird sie deshalb aber nicht. Nachts in der Seitenlage liegen bleiben, ist eine weitere Option. Dafür gibt es spezielle Hilfswesten. Auf dem Rücken liegend kommt es wohl häufiger zu Schlafapnoen als auf der Seite. Aber auch hier gilt: Ein Wechsel der Schlafposition allein wird für den Therapieerfolg nicht ausreichen. Bei einer leichten oder mittelgradigen Schlafapnoe können Patienten die sogenannte Unterkieferprotrusionsschiene nutzen, die mehr Raum im Rachen schafft. Da wird dann der Zahnarzt fürs Feintuning eingebunden.

Und dann gibt es noch die wirksamste Methode, um Atemstillstände zu minimieren. Die Therapie heißt CPAP. Das ist die Abkürzung für „continuous positive airway pressure“, übersetzt  „kontinuierlich positiver Atemwegsdruck“. Dafür ist das Tragen einer Atemmaske erforderlich. Ein kleines Gebläse befördert fast wie ein umgekehrter Staubsauger über einen Verbindungsschlauch und durch die Atemmaske Luft in die oberen Atemwege. Dadurch baut sich im Rachen ein leichter Überdruck auf, der ein Zurückfallen der Zunge und ein Kollabieren der Atemwege verhindert. „Bei vielen Patienten ist der Erfolg schon in in der ersten Nacht beeindruckend“, sagt Koehler. „Sie haben seit Jahren wieder das Gefühl, richtig ausgeschlafen zu sein.“

Nochmal ins Labor.

Jetzt bin ich selbst an der Reihe. Es ist Zeit für eine Analyse meiner nächtlichen Aufzeichnungen. 411 Minuten habe ich im Bett gelegen, 314 Minuten habe ich geschlafen. Die Schlaflatenz, also die Zeit bis zum Einschlafen, ist normal, heißt es. Das gilt auch für den Tief- und REM-Schlafanteil. Aber es gibt einen anderen Wert, der alles andere als unproblematisch ist. Es hat in dieser Nacht nämlich deutlich zu viele Weckreaktionen meines Körpers gegeben, sogenannte Arousals, die überprüft werden müssen. Die Weckreaktionen setzen den Körper unter einen so starken Stress, dass sich der Erholungswert während des Schlafs deutlich reduziert. Die  Entstehung von Erkrankungen wird so begünstigt. Was passiert jetzt? Wird womöglich das CPAP-Gerät zu meinem nächtlichen Dauerbegleiter? Ich möchte kein Risiko eingehen, halte Rücksprache mit meinem Facharzt und bekomme einen Termin für eine weitere Nacht im Schlaflabor. Ich habe inzwischen viel Hintergrundwissen und Vertrauen aufgebaut: Es wird eine therapeutische Lösung für meine Schlafprobleme geben.

Interview
„Schlaf-Erkrankungen lassen sich gut behandeln“

Schlafstörungen gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen. Prof. Dr. Ulrich Koehler erklärt im Interview mit Christoph Fuhr, warum eine ganzheitliche Betrachtung von Ursachen und Wechselwirkungen nötig ist. 

Herr Koehler, warum ist erholsamer Schlaf wichtig?

Ulrich Koehler: Ein erholsamer Schlaf ist die Voraussetzung für Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit, Konzentrationsfähigkeit und emotionale Stabilität. Schlechter Schlaf beeinflusst die Lebensqualität unmittelbar. Etwa 25 Prozent aller tödlichen Unfälle auf deutschen Autobahnen sind durch Schläfrigkeit verursacht. Zwei Prozent der Gesamtbevölkerung und fünf bis zehn Prozent der Männer zwischen 30 und 70 Jahren leiden an nächtlichen Atemstillständen, die häufig mit erhöhtem Blutdruck und Herzrhythmusstörungen einhergehen.

Prof. Dr. Ulrich Koehler leitet das Schlafmedizinische Zentrum am Universitätsklinikum Marburg.

Welche Krankheitsbilder gibt es?

Koehler: Es gibt unterschiedliche Formen von Schlafstörungen, die sich oft nicht klar abgrenzen lassen. Die Vielfalt von Ursachen, Wechselwirkungen, Folgeschäden und Gesundheitsrisiken durch gestörten Schlaf erfordert zwingend eine ganzheitliche Betrachtung. Die Schlafregulation ist komplex, die Vielzahl von Schlafstörungen und ihre Interaktion mit multiplen Erkrankungen zum Beispiel aus dem neurologisch/psychiatrischen, internistischen, kinderärztlichen, Hals-Nasen-Ohren- und zahnärztlichen Formenkreis, erfordert eine enge Kooperation mit Ärzten dieser Fachdisziplinen.

Wie gut ist in Deutschland die Qualität der Versorgung?

Koehler: Schlafmedizinische Erkrankungen sind gut behandelbar, wenn sie frühzeitig erkannt werden. Häufig passiert das aber nicht, oder die Behandlung ist unzureichend. Das führt dann immer noch zu hohen indirekten Krankheitskosten durch Krankschreibung, Arbeitsunfähigkeit, Frühverrentung oder Unfällen.

Christoph Fuhr ist Redakteur bei der Ärzte-Zeitung (Springer Medizin).
Rolf K. Wegst ist freier Fotograf.
Bildnachweis: Titelfoto Startseite iStock/BrianAJackson