Interview

„Sport ist Alternative zum Rumhängen“

Im Berliner Bezirk Spandau spielen Jugendliche in eigens dafür geöffneten Turnhallen nachts Fußball. In dem vielfach preisgekrönten Projekt MitternachtsSport lernen die Jungs nicht nur kicken, sondern auch so einiges fürs Leben, erklärt Ismail Öner.

Herr Öner, wie ist das Projekt MitternachtsSport entstanden?

Ismail Öner: Das Projekt war 2007 die Antwort auf massive Konflikte zwischen einer großen Gruppe von Jugendlichen, die ich sozialpädagogisch begleitet habe, und der Polizei im Problemkiez Heerstraße-Nord. Ich habe dafür gesorgt, dass die Jugendlichen und die Polizei sich an einen Tisch setzen. Und da kam die Idee auf: Warum öffnen wir nicht am Wochenende nachts ein paar Turnhallen und machen den Kids für die Zeiten, wo der Hang, draußen unterwegs zu sein, besonders groß ist, ein ungewöhnliches Freizeitangebot? In den Jugendeinrichtungen hatten diese Jungs ja fast überall Hausverbot.

Warum sollte es gerade Fußball sein?

Öner: Ich spiele selbst seit meinem vierten Lebensjahr und weiß, dass Fußball die Menschen zusammenbringt. Es reicht aber nicht, den Jungs einen Ball vor die Füße zu schmeißen. Wir kombinieren den Sport mit einer ganz intensiven sozialpädagogischen Arbeit. Wenn die Kids in die Sporthalle kommen, bringen sie ihre Probleme und Sorgen mit. Wir knüpfen für jeden Einzelnen, der Hilfebedarf signalisiert, ein Netz, das ihn auffängt.

Ismail Öner, Sozialpädagoge, ist Gründer und Projektleiter des MitternachtsSport – Verein für interkulturelle Jugendsozialarbeit Berlin, der 2017 den EU-Sport-Award erhielt.

Wie wird das Angebot angenommen?

Öner: Seit Dezember 2007 haben wir mit rund 1.500 Veranstaltungen an etwa 550 Wochenenden mehrere zehntausend Jugendliche erreicht und ihnen eine Alternative zum Rumhängen, zur Langeweile, zur Perspektivlosigkeit gegeben. Bei uns kommen Kids mit über 50 Nationalitäten und unterschiedlichem sozialen Hintergrund zusammen. Sie alle wissen, dass sie bei uns willkommen sind. Und dass für alle die gleichen Regeln gelten: Respekt, Toleranz und Fairplay.

Welche Rolle spielen in dem Projekt die sogenannten Großen Brüder?

Öner: Die sind die dritte tragende Säule, neben dem Sport und der pädagogischen Arbeit. Um die Zukunft unseres Projekts zu sichern und die Kids zu motivieren, setzen wir auf die Unterstützung prominenter Zugpferde, die aus ähnlichen Verhältnissen kommen wie unsere Kids und schon erreicht haben, wovon unsere Jugendlichen noch träumen. Als ich den Fußballprofi Jérôme Boateng, dessen Frau aus unserem Kiez stammt, gefragt habe, war der gleich Feuer und Flamme und hat mit uns gemeinsam den Verein MitternachtsSport gegründet. Wir haben seitdem noch mehr bekannte Fußballer gewinnen können, die sich als Große Brüder aktiv an der pädagogischen Arbeit beteiligen. Die können viel bewirken, etwa wenn sie den Kids sagen: Jungs, Schule ist wichtig!

Für alle gelten die gleichen Regeln: Respekt, Toleranz und Fairplay.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Öner: Mit Unterstützung der AOK Nordost haben wir in der Spandauer Altstadt, wo es vorher nichts derartiges gab, eine Jugendeinrichtung aufgebaut. Seit Juni 2016 sind wir dort 365 Tage im Jahr für die Kids erreichbar. Das war für unsere Arbeit ein Quantensprung. Mit dem Jugendcafé können wir jetzt verstärkt auch Mädchen ansprechen. Regelmäßig ist eine Berufsberaterin von der AOK bei uns, es gibt Angebote zur Gesundheitsförderung. Jeden Tag versuchen wir, junge Menschen zu motivieren und ihnen Wege zu zeigen, wie sie ihr Leben meistern können. Die Geschichte unseres Projekts zeigt ihnen, dass man bereit sein muss, für seine Zukunft zu kämpfen. Wir sind heute ein Team von vier festen Mitarbeitern und zehn Honorarkräften, die alle selbst in dem Projekt groß geworden sind. In den Sporthallen organisiert inzwischen die nächste Generation die Veranstaltungen.

Weitere Informationen über MitternachtsSport

Silke Heller-Jung führte das Interview. Sie ist freie Journalistin in Köln.
Bildnachweis: privat