Kein Kassengeld für neues Verfahren
Nicht in jedem Fall müssen Krankenkassen einem Krankenhaus eine neue experimentelle Behandlungsmethode vergüten. Entspricht die Therapie nicht dem Qualitätsgebot der gesetzlichen Krankenversicherung, müssen die Kassen dafür nicht aufkommen. Dies hat das Bundessozialgericht entschieden. Von Anja Mertens
– B 1 KR 17/17 R –
Bundessozialgericht
Husten, Bronchitis, Atemnot
sind typische Anzeichen der chronisch atemwegsverengenden Lungenerkrankung COPD. Schätzungen zufolge leiden in Deutschland zehn bis zwölf Prozent der Erwachsenen über 40 Jahren darunter. Bei sehr schwer erkrankten Patienten, deren Lunge stark überbläht und dadurch der Gasaustausch behindert ist (ausgeprägtes Lungenemphysem), lässt sich operativ die Lunge „verkleinern“. Eine Methode ist das Implantieren von Lungenvolumenreduktionsspulen (Coils) aus Nitinoldraht in die emphysematösen Lungenabschnitte. Die Drahtspiralen raffen das kranke Lungengewebe zusammen und schaffen damit mehr Raum für die benachbarten, weniger kranken Bereiche. Der Nutzen dieses neuen Verfahrens ist bislang nicht erwiesen.
Kasse fordert Vergütung zurück.
Ob ein Krankenhaus eine neue Therapie zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abrechnen kann, ist oftmals umstritten. So auch im Fall einer gesetzlich versicherten COPD-Patientin mit Lungenemphysem. Ihre Lungenfunktion lag um mehr als 70 Prozent unter dem Normalwert. Sie bekam im Jahr 2013 Coils implantiert. Die Klinik berechnete die Fallpauschale DRG E05A (Andere große Eingriffe am Thorax mit äußerst schweren CC) in Höhe von rund 12.250 Euro, plus 94 Euro Zuschläge sowie 9.800 Euro für die Implantation der Coils. Die Krankenkasse bezahlte zunächst den Gesamtbetrag von rund 22.144 Euro abzüglich 80 Euro Selbstbeteiligung der Patientin, forderte aber auf der Grundlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) die Summe wieder zurück. Nach dem MDK-Gutachten handele es sich um eine experimentelle Methode, die dem Qualitätsgebot nicht entspreche. Das Krankenhaus lehnte die Rückzahlung an die Kasse ab. Diese verrechnete daraufhin die zurückgeforderte Summe mit unstreitigen Rechnungsbeträgen aus anderen Behandlungsfällen. Dagegen klagte das Krankenhaus.
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Das Sozialgericht wies die Klage ab und das Landessozialgericht die Berufung zurück. Abgesehen von den zu Unrecht mit aufgerechneten 80 Euro Selbstbeteiligung stehe der Kasse die Rückzahlung zu. Daraufhin legte das Krankenhaus Revision beim Bundessozialgericht (BSG) ein. Ihre Begründung: Die angewandte Methode sei zu vergüten, da sie das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative habe (Paragraf 137c Absatz 3 Sozialgesetzbuch V). Außerdem folge der Anspruch aus der „Vereinbarung über die Vergütung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ (NUB-Vereinbarung), die mit den Krankenkassen zu dieser Therapie geschlossen wurde.
Krankenhäusern ist es nicht erlaubt, jede beliebige Behandlungsmethode anzuwenden, sagen die Kasseler Sozialrichter.
Qualitätsanforderungen nicht erfüllt.
Das BSG wies die Revision zurück. Die Vorinstanz habe festgestellt, dass das Implantieren von Coils eine experimentelle Methode ohne ausreichende evidenzgesicherte Basis darstelle. An diese Feststellungen sei der erkennende Senat gebunden. Die Implantation der Coils habe folglich nicht dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot (Paragrafen 2 und 12 SGB V) entsprochen und sei nicht erforderlich gewesen im Sinn von Paragraf 39 Absatz 1 Satz 2 SGB V. Ungeeignete Leistungen könnten Versicherte nicht zulasten der Kassen beanspruchen.
Die gesetzlich zwingenden Anforderungen an die Qualität und die Wirksamkeit von stationären Leistungen werde durch die Regelungen zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht außer Kraft gesetzt oder auch nur abgeschwächt. Es gäbe keine generelle Erlaubnis, alle beliebigen Methoden im Krankenhaus anzuwenden. Das Qualitätsgebot (Paragraf 2 Absatz 1 Satz 3 SGB V) gelte für alle Leistungsbereiche. Gegenteiliges würde die Einheit der Rechtsordnung gefährden. Eine stationäre Behandlung, die nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolge und für den Patienten Schadensersatzansprüche sowie für den Krankenhausarzt strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehe, müssten die Krankenkassen nicht bezahlen.
Entgegen der Auffassung des Krankenhauses hätten die Änderungen durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz nichts an dieser Rechtslage geändert. Der Gesetzgeber habe lediglich dem Gemeinsamen Bundesausschuss die zusätzliche Möglichkeit eröffnet, Richtlinien zur Erprobung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu beschließen, wenn die Überprüfung ergeben habe, dass deren Nutzen zwar noch nicht hinreichend belegt sei, aber das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative biete (Paragrafen 137c und 137e SGB V).
Zahlungsanspruch verneint.
Schließlich, so die obersten Sozialrichter weiter, könne das Krankenhaus den geltend gemachten Anspruch nicht auf die NUB-Vereinbarung stützen und daraus ableiten, dass der stationäre Aufenthalt zusätzlich mit der abgerechneten Fallpauschale zu vergüten sei. Eine krankenhausindividuelle Vereinbarung eines Zusatzentgelts begründe keinen Zahlungsanspruch einer Klinik auf nicht erforderliche stationäre Behandlungen. Paragraf 6 Absatz 2 des Krankenhausentgeltgesetzes enthalte lediglich die Möglichkeit, Vereinbarungen über Zusatzentgelte für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu treffen. NUB-Vereinbarungen sagten nichts darüber aus, ob eine neue Methode auch dem Qualitätsgebot der GKV genüge.
Kommentar: Das BSG hat mit dieser Entscheidung seine Rechtsprechung zum Qualitätsgebot fortgesetzt. Die Vereinbarung einer NUB liefert nicht automatisch den Rechtsgrund für einen Vergütungsanspruch des Krankenhauses. Das Qualitätsgebot gilt uneingeschränkt im Leistungserbringerrecht. Das gebietet nicht zuletzt der Schutz von Patienten vor nicht ausreichend geprüften Behandlungsmethoden.