Fehlzeiten-Report 2018

Sinnhafte Arbeit hält gesund

Beschäftigte, die ihre Tätigkeit als sinnvoll ansehen und sich wertgeschätzt fühlen, sind seltener krank. Auch bleiben sie dem Unternehmen treu. Dies hat eine aktuelle Befragung ergeben. Von Sarah Jane Böttger, Markus Meyer und Andrea Waltersbacher

Was wäre, wenn Erwerbstätige

nicht für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssten? Wenn sie plötzlich viel Geld hätten, würden sie weiterhin beruflich das machen, was sie jetzt machen? Oder würden sie sich eine andere Arbeit suchen, die ihnen mehr Spaß macht, als ihre jetzige? Diese und weitere Fragen hatte das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) 2.030 Beschäftigten im Alter von 16 bis 65 Jahren im Rahmen des Fehlzeiten-Reports 2018 gestellt. Das Ergebnis der repräsentativen Befragung: Drei Viertel der Beschäftigten (75,8 Prozent) würde weiterhin arbeiten, wenn es finanziell nicht notwendig wäre. Nur 15 Prozent der Befragten wollten dann nicht mehr ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen. Knapp die Hälfte der Befragten würde sich keine neue Arbeit suchen.

 

Was Erwerbstätige nach einem plötzlichen Geldsegen tun würden

Die Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) von über 2.000 Beschäftigten macht deutlich: Die Bindung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an ihr Unternehmen hängt davon ab, wie zufrieden sie mit der Arbeit sind. Bei hoher Zufriedenheit gehen sie ihrer Tätigkeit weiter nach und bleiben ihrer Firma auch dann treu, wenn sie plötzlich über viel Geld verfügen. Unzufriedene würden bei einem plötzlichen Geldsegen zwar weiter arbeiten, sich jedoch einen anderen Arbeitgeber suchen.

 

Quelle: Fehlzeiten-Report 2018

Betriebsbindung unterschiedlich stark.

Diese Ergebnisse machen deutlich, dass Arbeit für die meisten Beschäftigten mehr ist als eine ungeliebte Pflicht. Zum anderen belegen sie, dass es auch vielen Unternehmen gelingt, die Arbeitszufriedenheit ihrer Beschäftigten hoch zu halten. Zugleich ist die Bindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihren Betrieb und ihre Tätigkeit unterschiedlich.

Bei der Befragung kristallisierten sich fünf „Typen“ heraus (siehe Grafik):

„Der Zufriedene“ (46,8 Prozent) würde bei seiner jetzigen Arbeit bleiben. Zu diesem Typus gehören mehr Frauen als Männer und eher ältere Beschäftigte. „Der Unzufriedene“ (22,5 Prozent) hingegen würde eine andere Arbeit suchen, von der er sich eine größere Erfüllung seiner beruflichen Ziele erhofft. Zu dieser Gruppe gehören mehr Männer und eher jüngere Beschäftigte. Zwischen diesen beiden Typen steht eine kleine Gruppe von 6,7 Prozent der Befragten: „Der Unentschlossene“ würde weiterarbeiten, ist aber unentschieden, ob er einer anderen Tätigkeit nachgehen soll, die interessanter für ihn wäre. Eine kleine Gruppe der Beschäftigten (7,5 Prozent) gehört zum Typus „der Uninteressierte“, der nicht weiterarbeiten würde. Dazu gehören eher ältere Befragte aber auch Beschäftigte, denen weder eine Karriere noch die Wertschätzung eines Berufes wichtig ist. Die Sinnerfüllung wird nicht im Erwerbsleben gesucht. Auch die 16,7 Prozent der Befragten, die zum Typus „der Widersprüchliche“ gehören, würden ohne finanzielle Not nicht weiterarbeiten. Allerdings fällt die Antwort auf die Frage nach einer anderen Tätigkeit nicht so ablehnend aus: Eine Arbeit, die Spaß macht, können sich die Widersprüchlichen dann doch vorstellen.

Ein kollegiales Miteinander ist Arbeitnehmern besonders wichtig.

Geld allein bindet Beschäftigte nicht.

Was aber unterscheidet die zufriedenen von den unzufriedenen oder widersprüchlichen Befragten? Wie können die Unternehmen auf die Beschäftigten zugehen, die sich nicht an ihre jetzige Tätigkeit gebunden fühlen und die Motivation und Arbeitszufriedenheit fördern – jenseits von finanziellen Anreizen? Denn Beschäftigte lassen sich nicht allein durch Geld und Belohnung motivieren und an eine Organisation binden, sie wollen sich mit ihrer Tätigkeit auch identifizieren können (intrinsische Motivation). In hochentwickelten Gesellschaften hat Arbeit nicht mehr nur den Zweck der reinen Existenzsicherung. Vielmehr rückt das Streben nach Selbstverwirklichung und nach Sinnhaftigkeit von Arbeit zunehmend in den Fokus.

Die Ergebnisse der WIdO-Befragung machen deutlich: Auf den Wunsch nach Sicherheit am Arbeitsplatz – sie steht an erster Stelle – folgt bei mehr als 90 Prozent der Befragten der Wunsch nach einer sinnvollen und interessanten Tätigkeit. Welche der einzelne Beschäftigte als sinnhaft erlebt, hängt von den jeweiligen Ansprüchen und Wertvorstellungen ab.

Die WIdO-Untersuchung unterscheidet verschiedene Ebenen des Sinnerlebens: die Einbettung in den sozialen Kontext des Unternehmens, die fachliche Einbettung, also ob der Beschäftigte sich mit seinen Fähigkeiten richtig eingesetzt sieht, und der übergeordnete Sinn der Tätigkeit und des Unternehmens, also ob die Arbeit zum Wohlergehen der Gesellschaft beiträgt.

Beschäftigte wollen Wertschätzung.

Das „Wir“ ist den befragten Beschäftigen sehr wichtig. Nahezu alle Befragten (über 98 Prozent) möchten sich am Arbeitsplatz wohlfühlen. Dazu gehören die gute Zusammenarbeit mit Kollegen (knapp 98 Prozent der Befragten), ein gutes Betriebsklima und die Wertschätzung durch das Unternehmen (jeweils knapp 97 Prozent). Kooperation und Unterstützung sind also für die befragten Erwerbstätigen besonders wichtig, um das Arbeiten als sinnvoll zu erleben.

Gleichzeitig besteht nach Ansicht der Befragten gerade hier eine Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit. So nehmen nur knapp 70 Prozent der Befragten wahr, dass das Unternehmen hinter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steht. 78 Prozent empfinden das Betriebsklima als gut. Besonders diejenigen, die zu dem Typus „der Widersprüchliche“ gehören, beschreiben das Betriebsklima und die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen sowie mit den Vorgesetzten weit schlechter als sie es sich wünschen. Sie fühlen sich am Arbeitsplatz besonders unwohl. Dem „Zufriedenen“ sind die Aspekte der Kooperation und Wertschätzung auch sehr wichtig. Sie erleben dies aber auch häufiger als die Gruppe der „Widersprüchlichen“.

Ergebnisqualität hat große Bedeutung.

Die gute Qualität der Produkte oder Dienstleistungen ihres Unternehmens ist rund 95 Prozent der Befragten wichtig. Dass sie nach ihren Fähigkeiten im Unternehmen eingesetzt werden und bei dieser Tätigkeit die Wertschätzung des Unternehmens genießen können, wünschen sich jeweils 93 Prozent der befragten Beschäftigten. Aber auch hier kann die Realität im Unternehmen hinter den Wünschen zurückbleiben: Besonders der „Unzufriedene“ nimmt sowohl seinen derzeitigen als auch künftigen möglichen Beitrag zu den Arbeitszielen im Unternehmen nicht ausreichend wahr und glaubt, dass seine berufliche Entwicklung blockiert ist.

Ein Gefühl von Sinn bei der Arbeit zeigt sich auch, wenn die individuellen Werte und die Ziele des Unternehmens übereinstimmen. Der „Uninteressierte“ und der „Unentschlossene“ sehen ihre Tätigkeit von der Gesellschaft sogar als stärker wertgeschätzt als ihnen wichtig ist. Trotzdem empfinden diese beiden Typen ihre Tätigkeit als wenig sinnhaft.

Zufriedene Mitarbeiter fehlen seltener.

Die emotionale Zufriedenheit, die Beschäftigte durch ihre Arbeit erleben, hat neben dem Effekt der Bindung an das Unternehmen auch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für das seelische Gleichgewicht und damit für die Gesundheit. Stimmen der Anspruch der Beschäftigten an das Sinnerleben und die Wirklichkeit im Kontext von Zusammenarbeit und Wertschätzung im Unternehmen vergleichsweise gut überein, gibt es signifikant weniger Fehlzeiten, weniger arbeitsbedingte gesundheitliche Beschwerden und gleichzeitig ein präventives Gesundheitsverhalten im Krankheitsfall. Dies macht die WIdO-Untersuchung deutlich.

Fördern Unternehmen das Sinnerleben ihrer Beschäftigten durch zielgruppenspezifische Maßnahmen, profitieren sie mehrfach: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleiben dem Unternehmen treu und an ihrer Arbeit interessiert – und dies tut der Gesundheit der Beschäftigten gut.

Fehlzeitenreport

Lesetipp

Badura, B./Ducki, A./Schröder, H./Klose, J./Meyer, M. (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2018. Sinn erleben – Arbeit und Gesundheit. 608 Seiten. 54,99 Euro. Springer-Verlag, Heidelberg.

Markus Meyer ist Projektleiter im WIdO-Forschungsbereich „Betriebliche Gesundheitsförderung”.
Sarah Jane Böttger ist studentische Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Gesundheitspolitik/Systemanalysen“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
Andrea Waltersbacher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im WIdO-Forschungsbereich „Betriebliche Gesundheitsförderung, Heilmittel und ambulante Bedarfsplanung“.
Bildnachweis: Foto Startseite iStock/alvarez