Warum HIV ein Thema bleibt
Das Immunschwäche-Virus lässt sich heute gut behandeln. Aber noch infizieren sich viele Menschen, und HIV-Positive kämpfen mit Vorurteilen. Dr. Kristel Degener, Vorsitzende der Aids-Stiftung, sieht deshalb weiterhin Informationsbedarf.
Rund 37 Millionen Menschen
weltweit leben heute mit dem HI-Virus. Eine beachtliche Zahl, die keinesfalls darauf hindeutet, dass die Immunschwäche-Krankheit vergangenen Zeiten angehört. Diese Annahme wird durch die Rate der jährlichen Neuansteckungen bekräftigt. Sie ist zwar hierzulande weitgehend konstant, steigt aber in vielen anderen Ländern, insbesondere in Osteuropa und Zentralasien weiter an. Wir haben somit keinen Grund, nachlässig mit dem Virus umzugehen oder es gar zu verharmlosen. Insbesondere dürfen wir nicht vergessen, dass HIV und Aids nach wie vor nicht heilbar sind.
Doch die Herausforderungen, die mit HIV und Aids einhergehen, haben sich geändert. Vor 30 Jahren galt das Überleben als die oberste Priorität. Heute können wir die Viruserkrankung mit antiretroviraler Therapie zwar immer noch nicht heilen. Der Medizin gelingt es aber, die Virusvermehrung im Körper so zu unterdrücken, dass die Betroffenen ein Leben vergleichbar mit dem von anderen chronisch Erkrankten führen können. Diese Errungenschaft der Medizin kann jedoch nur denen helfen, die Kenntnis über ihre HIV-Infektion haben.
Deshalb ist und bleibt es wichtig, dass Menschen wissen, ob sie infiziert sind und sie diese Kenntnis rechtzeitig erlangen. Denn Menschen, die erst spät von ihrer HIV-Infektion erfahren, leiden häufig zum Zeitpunkt der Testung bereits an zwei oder gar drei opportunistischen Infektionen. Die dann eingeleitete Therapie kann zwar die Vermehrung des HI-Virus verhindern, aber nicht die bereits eingetretenen körperlichen Schäden beheben.
Die Entscheidung zur Einführung des freiverkäuflichen HIV-Heimtests ist daher eine wichtige Ergänzung der bisherigen Test-Möglichkeiten. Er ist ein Angebot für die Menschen, die das Gesundheitsamt oder die Beratungsstelle nicht aufsuchen können, wollen oder schlicht sich nicht trauen.
Die Immunschwäche-Krankheit ist immer noch mit Ängsten und Vorurteilen verbunden. Während die Medizin in den vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte gemacht hat, ist die HIV-Infektion in der Gesellschaft bis heute überwiegend tabuisiert. Mit HIV infizierte Menschen laufen Gefahr, ausgegrenzt zu werden. Um Vorurteilen entgegenzuwirken, bleibt die Aufklärung eine wichtige und unerlässliche Aufgabe. Dabei ist es wichtig, dass wir die unterschiedlichen Zielgruppen unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse und Kenntnisse abholen. Gerade bei Menschen, die aus Ländern stammen, wo über Sex und sexuell übertragbare Krankheiten nicht gesprochen wird, ist ein ganzheitlicher Aufklärungsansatz erforderlich, der gleichzeitig zur gesamtgesellschaftlichen Integration beiträgt.
Auch in den Bereichen Gesundheit und Pflege ist Aufklärung über HIV erforderlich.
Auch in den Bereichen Gesundheit und Pflege ist Aufklärung erforderlich. Wie ließe sich sonst erklären, dass HIV-infizierte Patienten in Arztpraxen mitunter auf Ablehnung stoßen oder es hierzulande lediglich eine sehr überschaubare Anzahl von Pflegeeinrichtungen gibt, die HIV-positive Menschen aufnehmen und pflegen?
Bei der Aufklärungsarbeit ist es heute darüber hinaus wichtig, nicht nur über HIV allein zu reden, sondern es zusammen mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) zu thematisieren. Die Rate der STI ist zuletzt stark angestiegen und darf nicht außer Acht gelassen werden. Hierbei muss sich auch das Wissen verbreiten, dass die ordnungsgemäße Einnahme von Medikamenten zur Prä-Expositions-Prophylaxe zwar eine Möglichkeit ist, um sich vor HIV zu schützen, jedoch nicht vor anderen sexuell übertragbaren Infektionen.
Das Thema HIV und Aids ist in unserer Gesellschaft in vielen Bereichen verankert. Es ist nicht mehr geprägt von den schockierenden Bildern aus den 1980er Jahren, doch es ist keinesfalls obsolet geworden. HIV-Infizierte kämpfen nach wie vor mit Vorurteilen. Es bleibt daher unsere gemeinsame Aufgabe, weiterhin über das HI-Virus aufzuklären und die von der Krankheit Betroffenen darin zu unterstützen, dass sie ein selbstbestimmtes und vorurteilsfreies Leben führen können.