Nachdenken über den Wissenstransfer
Informationsflut, Fake News und die Sehnsucht nach einfachen Antworten – wie sich angesichts dieser Gemengelage evidenzbasierte Erkenntnisse der Medizin kommunizieren lassen, diskutierten Teilnehmer eines Symposiums in Köln. Von Thomas Rottschäfer
Nie gab es so viel Wissen
und nie war es so leicht verfügbar wie heute. Zugleich haben es Wissenschaftler so schwer wie nie, in einer Welt permanenter Kommunikation mit ihren Forschungsergebnissen durchzudringen. Das gilt auch und gerade für die evidenzbasierte Medizin (ebM), die sich an dem Prinzip orientiert, dass medizinische Entscheidungen möglichst auf der Basis empirisch nachgewiesener Wirksamkeit getroffen werden.
Die Botschaften der ebM sind komplex, theoretisch, abstrakt. Die Zielgruppen haben ganz verschiedene Ansprüche: Patienten mit unterschiedlichem Bildungsniveau, niedergelassene Mediziner und Klinikärzte, andere Gesundheitsberufe. Um die Frage, wie sich die „sauren Früchte vom Baum der Erkenntnis“ trotzdem erfolgreich kommunizieren lassen, ging es beim Herbstsymposium des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) in Köln. Zehn Referentinnen und Referenten suchten Antworten aus der Sicht unterschiedlicher Professionen: Medizin, Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Medienforschung und Kommunikationswissenschaft, Public Health, Psychologie, Politikwissenschaft. Den Maßstab stellte IQWiG-Chef Professor Dr. Jürgen Windeler zu Beginn des Symposiums klar: „Saure Früchte lassen sich nicht en passant durch eine radikale Komplexitätsreduktion oder starke Emotionalisierung versüßen. Dadurch droht ihr Wert verlorenzugehen.“
Verständliche Sprache muss sein.
Evidenzbasierte Medizin brauche eben auch evidenzbasierte Kommunikation, betonte die Gesundheitswissenschaftlerin Anke Steckelberg, die an einer entsprechenden Leitlinie des „Netzwerks ebM“ mitgearbeitet hat. Darin geht es auch um Vorgaben für eine verständliche, nicht überredende und nicht alarmierende Sprache. Sie soll den Adressaten helfen, Studienergebnisse und Zahlen richtig zu interpretieren. „Patienten haben das verbriefte Recht auf adäquates Wissen für informierte eigenverantwortliche Entscheidungen“, so Steckelberg.
Erhobener Zeigefinger schreckt ab.
Kommunikationswissenschaftler Matthias Hastall riet zu weniger Zeigefinger-Kommunikation: „Ein Pharmaunternehmen wirbt damit, dass sein Medikament gut verträglich ist und so gut wie keine Nebenwirkungen hat. Die ebM streicht dagegen vor allem die Risiken heraus. Das macht Angst und erzeugt Abwehrreaktionen.“ Er plädierte für eine wertschätzende Kommunikation, die den Menschen nicht ständig ihr Fehlverhalten in Fragen von Gesundheit und Ernährung vorhalte.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ist so etwas wie die Gralsburg der evidenzbasierten Medizin. Es bewertet im gesetzlichen Auftrag Vor- und Nachteile medizinischer Verfahren. Dazu gehört der Vergleich verschiedener Arzneimittel oder Behandlungsmethoden. Das IQWiG sucht in der internationalen Fachliteratur systematisch nach Studien, in denen die gefragten Vergleiche beschrieben sind. Auswahl und Bewertung erfolgen nach den Methoden der evidenzbasierten Medizin. Diese internationale Standardmethode ermöglicht es einzuschätzen, wie zuverlässig das vorhandene Wissen tatsächlich ist.
Zu den Vorträgen des Herbstsymposiums beim IQWiG
„Akzeptanz hängt zunehmend von der eigenen Überzeugung ab“, sagte Philipp Schmid, der sich als Experimentalpsychologe mit Fake News und Internet-Mythen beschäftigt. Die Identität mit einer sozialen Gruppe, Partei oder mit Gleichgesinnten werde zunehmend wichtiger eingeschätzt als Genauigkeit oder Forschungsergebnisse. Ein Beispiel dafür seien die gut organisierten Impfgegner.
Gute Quellen wenig bekannt.
Ernüchternde Zahlen für die ebM-Gemeinde lieferte Professorin Dr. Marie-Luise Dierks von der Medizinischen Hochschule Hannover mit Blick auf Bekanntheitsgrad und Vertrauenswürdigkeit von Gesundheitsinfos im Netz. Hinter Wikipedia, Apotheken-Umschau oder netdoktor.de ist auch die IQWiG-Plattform gesundheitsinformation.de abgeschlagen. Dierks Therapieempfehlung: Ein gemeinsames Dachportal für die „guten Netzangebote“.
Auf den „Easiness Effect“ machte der Wissenschaftsjournalist Volker Stollorz vom Science-Media-Center in Köln aufmerksam: „Wenn Laien einfache Texte zu medizinischen Sachverhalten lesen, dann vertrauen sie danach stärker auf ihr eigenes Urteilsvermögen. Die Bereitschaft, sich auf einen Experten zu verlassen, sinkt nach dem Lesen von einfachen im Vergleich zu weniger einfachen Informationen.“
Komplexe Sachverhalte vereinfachen.
Das Fazit von IQWiG-Chef Windeler: „Reiner Wissenstransfer reicht nicht. Wir müssen die Menschen fragen, was sie wissen wollen und die Antworten verständlich kommunizieren.“ Dazu müsse man bereit sein, komplexe Sachverhalte so weit wie nötig zu vereinfachen und auch auf Emotionen zu setzen.