„Geld allein löst die Probleme nicht“
Mehr Qualität, mehr Personal, mehr Transparenz – die AOK Sachsen-Anhalt will die Pflege stärken. Doch das Geld muss auch tatsächlich dort ankommen, wo es gebraucht wird, fordert Vorstand Ralf Dralle (47).
G+G: Herr Dralle, immer mehr Menschen sind auf gute Pflege angewiesen. Was muss aus Ihrer Sicht geschehen, damit die Pflege zukunftsfähig bleibt?
Ralf Dralle: Die Lage ist ernst. Allein in Sachsen-Anhalt haben wir derzeit über 100.000 pflegebedürftige Menschen – Tendenz steigend. Hier stehen wir vor enormen Herausforderungen, und deswegen müssen wir schnellstmöglich handeln. Die Pflege steht deshalb zu Recht im Fokus der Bundespolitik. Mit dem Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals kommen auf die Kassen in den nächsten vier Jahren Mehrausgaben von rund 8,3 Milliarden Euro zu. Und auch die Pflegereform von 2017 hat allein bei der Pflegekasse der AOK Sachsen-Anhalt zu Mehrausgaben von 19 Prozent geführt. Aber: Geld alleine löst die Probleme in der Pflege nicht. Aus meiner Sicht brauchen wir ganz klar ein Zusammenspiel von guter Qualität, qualifiziertem Personal und einer transparenten Vergütung.
G+G: Die Güte von Pflegeheimen ist sehr unterschiedlich. Wo sehen Sie denn Verbesserungspotential?
Dralle: Das Potential für eine Qualitätsverbesserung ist da. Nach Analysen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK auf der Grundlage von Routinedaten kommt es vielfach zur Fehlversorgung, etwa bei der Wundversorgung, der Dekubitusprophylaxe und der Schmerzerfassung sowie zur Überdosierung von Medikamenten. Eine Erkenntnis war auch, dass im Durchschnitt 100 Heimbewohner durch rund 60 unterschiedliche Hausärzte betreut werden – das ist ein erheblicher Koordinierungsaufwand, den man erst einmal bewältigen muss. Mit dem Verfahren zur gesetzlichen Qualitätssicherung für die stationäre Altenpflege, welches am 1. November 2019 startet, soll der Mensch stärker in den Mittelpunkt gestellt werden und die Ergebnisqualität an Bedeutung gewinnen. Das ist ein erster richtiger Schritt. Mit den dann zur Verfügung stehenden Daten erhoffen wir uns eine Verbesserung der Situation, insbesondere auch bei der Qualitätssicherung vor Ort. Wichtig ist für uns zudem, dass mit der neuen Qualitätssicherung das alte Notensystem, der „Pflege-TÜV“, ersetzt wird und es auch für Pflegebedürftige und Angehörige leichter wird, gute Einrichtungen zu erkennen. Und das in leichter und verständlicher Form.
G+G: Eine bessere Qualitätsprüfung kann also mehr Mängel aufdecken. Doch was dann? Wie können solche Mängel denn beseitigt werden?
Dralle: Klar ist: Qualität in der Pflege kann nicht von außen hineingeprüft werden. Die Qualitätsverantwortung liegt beim Träger. Bei auffälligen Einrichtungen setzen wir zunächst auf den Dialog. Mängel müssen offen angesprochen werden und wir geben Hinweise, wie man diese beseitigen kann. Wichtig ist hier vor allem, wie man die Qualitätssicherung vor Ort noch verbessern kann. Hier ist auch qualifiziertes Fachpersonal ganz entscheidend. Sollte das nicht zu einer Verbesserung führen, müssen wir aber auch klar über Sanktionsmöglichkeiten reden, die im Notfall bis zur Schließung des Pflegeheimes führen. Der Schutz der Heimbewohner steht hier ganz klar an erster Stelle.
G+G: Sie sprechen das qualifizierte Fachpersonal an. Wie beurteilen Sie hier die aktuelle Lage?
Dralle: Für eine gute Qualität ist vor allem ausreichend qualifiziertes Fachpersonal nötig – ohne das geht es gar nicht. Es darf nicht sein, dass pflegerische Kernaufgaben an Hilfskräfte delegiert werden müssen, weil das Personal fehlt. Doch auch in Sachsen-Anhalt macht uns Sorge, wo man diese Fachkräfte jetzt schnell herbekommen soll. Aktuell fehlen jährlich ca. 1.500 neue Auszubildende im Pflegebereich in Sachsen-Anhalt. Dies sind rund 9 Prozent aller Schulabgänger in unserem Bundesland. Es ist offen, ob sich wirklich so viele Schüler für die Pflege entscheiden. Und mit den 1.500 Azubis wäre auch nur der Status Quo abgedeckt. Die Pflegeberufe müssen deshalb attraktiver werden – das Pflegeberufegesetz hat dafür die Grundlage geschaffen, muss jetzt aber auch schleunigst umgesetzt werden. Ein wesentlicher Teil der Aufgaben liegt dabei in den Landesministerien. Auch in Sachsen-Anhalt ist noch viel zu tun.
G+G: Das Geld spielt eine große Rolle bei der Berufswahl – Fachkräfte müssen auch entsprechend bezahlt werden. Was muss hier in den nächsten Jahren geschehen?
Dralle: Durch die Reform der Pflegeberufe sind die Bedingungen geschaffen worden, den Pflegeberuf aufzuwerten. Nicht umsonst sieht das neue Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals vor, 640 Millionen Euro für 13.000 neue Pflegestellen in Krankenhäusern auszugeben. Das begrüßen wir auch. Angesichts der gewaltigen Summen gilt es aber, die zweckgebundene Verwendung der Mittel engmaschig zu sichern. In der Vergütung der Pflege fehlt es nach wie vor an hinreichender Transparenz über die Verwendung der Mittel. Zu oft kommen steigende Zahlungen bei den Angestellten der Pflege nicht an. Die Pflege wird ausschließlich durch Pflegekassen, Angehörige und die Kommunen finanziert. Wir sagen deshalb ganz klar: Es muss eine Transparenz geben, die sicherstellt, dass das Geld an den richtigen Stellen ankommt, weil sich sonst trotz steigender Kosten an der Qualität nichts verändert.