Europarichter stärken Transparenz
Die Europäische Arzneimittelagentur darf Studien offenlegen, die Pharmaunternehmen für die Zulassung neuer Medikamente eingereicht haben. Der Europäische Gerichtshof hat das Transparenzverfahren bestätigt. Von Thomas Rottschäfer
Jetzt ist höchstrichterlich entschieden:
Die von der EU-Arzneimittelagentur EMA praktizierte Transparenz stellt keinen Verstoß gegen Geschäftsinteressen der Unternehmen dar. „Patientensicherheit und Forschungsfreiheit haben Vorrang vor Industrieinteressen“, freut sich Evert Jan van Lente. Der Vertreter der AOK in Brüssel hat wie viele andere mit einem gegenteiligen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gerechnet. Denn EuGH-Generalanwalt Gerard Hogan hatte in seinem Gutachten zugunsten der beiden klagenden Pharmahersteller plädiert und festgestellt, dass die Transparenz grundsätzlich den kommerziellen Interessen der Unternehmen schade. „Es ist äußerst selten, dass der EuGH nicht dem Generalanwalt folgt,“ sagt van Lente. Gegen die seit Anfang 2015 praktizierte Offenlegung von Studien hatten zunächst mehrere Pharmaunternehmen geklagt und in erster Instanz 2018 vor dem EU-Gericht verloren. Tenor des Urteils: Weite Teile der für die Zulassung vorgelegten Unterlagen enthielten keine Geschäftsgeheimnisse. Zwei Unternehmen hatten gegen diese Entscheidung Berufung beim EuGH eingelegt.
Arzneimittel-Sicherheit muss vorgehen.
Nach Bekanntwerden der Empfehlung des EuGH-Generalanwalts Hogan hatte der AOK-Bundesverband zusammen mit 42 weiteren Organisationen, Forschungseinrichtungen und Wissenschaftlern in einem Offenen Brief protestiert und die Politik zum Handeln aufgefordert. „Der Zugang zu den Clinical Study Reports für Medikamente ist ein Eckpfeiler für freie Forschung, öffentliche Kontrolle und Vertrauen in die europäische Regulierungsbehörde“, heißt es in dem Brief.
Die Transparenzrichtlinie der EU-Arzneimittelagentur EMA ist am 1. Januar 2015 in Kraft getreten. Die Richtlinie erlaubt es der EMA, Daten zu klinischen Prüfungen zu veröffentlichen, die Pharmaunternehmen zur Zulassung eingereicht haben. Die Studien stehen auch online für nichtkommerzielle Forschungszwecke zur Verfügung. Sie dürfen heruntergeladen und gespeichert werden. Vor allem die Download-Funktion hatten die Pharmaverbände abgelehnt. Sensible Patientendaten sind nicht einsehbar. Auch kommerziell vertrauliche Informationen kann die EMA auf Herstellerantrag schwärzen. Die Richtlinie steht im Zusammenhang mit der 2016 durch die EU-Kommission erlassenen „Verordnung über klinische Studien“, die die Hersteller zu mehr Transparenz verpflichtet.
Weitere Informationen zum EuGH-Urteil
Kurz vor der EuGH-Entscheidung Ende Januar hatte sich auch die EU-Generaldirektion Gesundheit (GD SANTE) ausdrücklich hinter die Forderungen des Bündnisses gestellt und ebenfalls für den Erhalt der Transparenzvorschriften eingesetzt. „Die GD SANTE stimmt voll und ganz der Auffassung zu, dass öffentliche Kontrolle und Transparenz bei klinischen Studien unerlässlich sind, um die öffentliche Gesundheit zu schützen und medizinische Innovationen zu unterstützen“, heißt es in einem entsprechenden Schreiben der zuständigen Referatsleiterin Agnes Mathieu-Mendes. Sie weist außerdem darauf hin, dass die 2015 umgesetzte Transparenzrichtlinie der EMA in einem über vier Jahre dauernden Prozess auf EU-Ebene entwickelt worden sei. „Die Studientransparenz entspricht zudem langjährigen Forderungen des Europaparlaments“, betont AOK-Europaexperte van Lente. „Die EMA ermöglicht den Zugang zu Reports für neue Arzneimittel, damit die Öffentlichkeit nachvollziehen kann, wie eine Studie durchgeführt wurde, welche Nebenwirkungen auftraten und wie sicher die Ergebnisse sind. Das sind wichtige Informationen für Patienten und Ärzte, aber auch für die Kostenträger.“
Urteil mit Augenmaß.
Bei der aktuellen Rahmensetzung hat der EuGH aus Sicht des AOK-Europaexperten Augenmaß bewiesen: „Wenn ein Hersteller der Ansicht ist, dass eine Veröffentlichung Geschäftsgeheimnisse verletzt, kann er dies der EMA im Detail mitteilen und die Tragweite einer Offenlegung erläutern.“ Die EMA prüfe das und könne im begründeten Fall entsprechende Angaben schwärzen. „Das hat die Arzneimittelagentur auch bisher schon so gehandhabt“, so van Lente. „Der EuGH hat in seiner Urteilsbegründung aber klar ausgeführt, dass es zur Begründung der Vertraulichkeit nicht ausreicht, wenn ein Pharmaunternehmen auf die Titelseite der Studie ein top secret stempelt.“