Milliardenmarkt braucht gute Regeln
Digitale Gesundheitsanwendungen soll es künftig auch auf Rezept geben. Doch bei den Regelungen zu Nutzen, Sicherheit und Datenschutz von Apps muss das Bundesgesundheitsministerium deutlich nachbessern, meinen Dr. Gerhard Schillinger und Dr. Sabine Richard.
Das Digitale-Versorgung-Gesetz
(DVG) hat einen neuen Sektor in die Versorgung eingeführt. Ärzte können Apps nun genauso verordnen wie Medikamente. Anders als bei Medikamenten gibt es aber bei Apps gar keinen echten Wirksamkeitsnachweis. Ob die Krankenkassen sie bezahlen müssen, entscheidet das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Die Hersteller müssen für die Aufnahme in die Liste des BfArM ein Evaluationskonzept vorlegen und nach einem Jahr einen sogenannten positiven Versorgungseffekt nachweisen. Die Rahmenbedingungen für den Nachweis der positiven Versorgungseffekte und für den Datenschutz soll die Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) regeln, deren Referentenentwurf vorliegt.
Mit zweierlei Maß gemessen.
Positiv ist hervorzuheben, dass sich Ärzte und Patienten auf Basis der Liste des BfArM über die Zweckbestimmung und die vorliegenden Studien zu den Gesundheits-Apps informieren können. Gut ist auch, dass das Evaluationskonzept für die Abschätzung von Effekten auf Pilotstudien zurückgreifen muss.
Bei den Anforderungen an die positiven Versorgungseffekte bestehen jedoch erhebliche Defizite. Für den Nutzen verlangt die DiGAV zum Beispiel zwar vergleichende Studien mit relevanten Endpunkten, dies jedoch explizit gegenüber einer Situation ohne Behandlung. Bei Arzneimitteln hingegen muss ein Zusatznutzen gegenüber einer Vergleichstherapie dargelegt werden. So besteht die Gefahr, dass etablierte und wirksame Behandlungen durch weniger wirksame digitale ersetzt werden. Für Apps, die zum Beispiel psychische Erkrankungen behandeln und die übergangsweise unter die DVG fallen, sind die geringen Anforderungen an die Qualität nicht ohne Risiko für die Versorgung. Bei Apps, die Krankheiten behandeln, wären Studien mit hoher Qualität im Vergleich mit der etablierten Therapie notwendig. Ein weiteres Problem ist, dass allein Struktur- und Verfahrensverbesserungen ausreichen, um einen positiven Versorgungseffekt nachzuweisen. So kann zum Beispiel jede App als „erleichterter Zugang zur Versorgung“ gedeutet werden. Das allein reicht aber nicht aus. Der leichtere Zugang ist nur von Vorteil, wenn der Nutzen mindestens gleich groß ist.
Datenschutz ist unzureichend.
Gesundheitsdaten sind die sensibelsten Daten und gleichzeitig von hoher kommerzieller Bedeutung. Die Weitergabe sensibler Gesundheitsdaten kann im Leben der Betroffenen großen Schaden anrichten. Die DiGAV enthält in punkto Datenschutz noch erhebliche Lücken. Das BfArM soll sich in seiner Prüfung im Wesentlichen auf Eigenerklärungen der Hersteller verlassen, ohne selbst Prüfungen vorzunehmen. Auch ist nicht geregelt, was mit den Gesundheitsdaten in einer App passiert, wenn das Start-up von einem anderen Unternehmen, zum Beispiel einer Pharmafirma aufgekauft wird.
Überdies werden Verstöße gegen Verschwiegenheitsverpflichtungen von Digitalanbietern anders als bei den übrigen Heilberufen nicht strafrechtlich sanktioniert. Eine Apothekenhelferin müsste in einem solchen Fall mit Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr rechnen.
Erstattung nur bei echtem Nutzen.
Wenn für eine App ein positiver Effekt auf die Versorgung festgestellt wird, verhandelt der GKV-Spitzenverband mit dem Hersteller über den Preis. Im ersten Jahr kann der Hersteller den Preis frei festlegen. Allein für die schon vorhandenen Apps von drei Herstellern rechnen die Krankenkassen mit zusätzlichen Kosten in Höhe von 2,8 Milliarden Euro. Für die Patienten ist aber entscheidend, dass medizinische Anwendungen, die die Kassen erstatten, einen echten medizinischen Nutzen bieten und dass ihre Gesundheitsdaten nicht zweckentfremdet werden.