ABC für gesundes Essen
Wie lassen sich Grundbildung und gesunde Ernährung zusammenbringen? Darüber diskutierten Experten bei einer Tagung in Berlin. Dabei zeigte sich: Freude und Genuss sind Schlüsselfaktoren der Wissensvermittlung. Von Annegret Himrich
Essen, trinken und lesen
prägen unser Leben Tag für Tag. Dabei hängen Ernährungsgewohnheiten auch mit den Lesefertigkeiten des Einzelnen zusammen. Bei einer Fachtagung der Stiftung Lesen und des AOK-Bundesverbandes in Berlin ging es deshalb um das Thema „Food Literacy“. Beide Organisationen befassen sich im Rahmen des Projekts „HEAL – Health Literacy im Kontext von Alphabetisierung und Grundbildung“ schon seit Längerem mit den Schnittstellen von Gesundheits- und Lesekompetenz.
Vielen fehlt Gesundheitskompetenz.
Auf beiden Feldern sieht es in Deutschland nicht gut aus: Über die Hälfte der Bevölkerung tut sich schwer, gesundheitsbezogene Informationen zu finden, zu verstehen und auf sich zu beziehen. Im Zusammenhang damit steht die Zahl von 7,5 Millionen Erwachsenen, die Texte nicht oder nur mühsam lesen und schon gar nicht verstehen können. Eine solche geringe Lesefähigkeit beeinflusst auch den Lebensstil und die Gesundheit.
„Lesen ist Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und eine Schlüsselkompetenz für den Zugang zu Gesundheit“, fasste es Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK Bundesverbandes zusammen. Mit der Fachtagung wolle man unterschiedliche Experten aus den Bereichen Gesundheit und Grundbildung zusammenbringen, damit Ideen entstünden, die alle weiterbringen. Ähnlich sah es Dr. Jörg F. Maaß, Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen. Die Frage sei: „Wie lassen sich Alphabetisierung und Gesundheit zusammenbringen?“ Thomas Bartelt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) plädierte für die Vernetzung aller Akteure: „Wenn Synergien entstehen, ist viel mehr möglich.“
Bei Ernährungsstudien kritisch sein.
Ein Impulsvortrag von Dr. Christian Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung zeigte: Beim Thema Ernährung sehen sich Verbraucher einer Flut schnell wechselnder Informationen ausgesetzt. Die wissenschaftlichen Studien, die dahinter steckten, seien jedoch oft nicht tragfähig. Hier sei kritische Distanz geboten. Eine empfehlenswerte Ernährung, so Pfeiffer, „ist weder vegan noch lowcarb, sondern ausgewogen.“
Erhobener Zeigefinger schreckt ab.
Dr. Barbara Kaiser vom Bundeszentrum für Ernährung präsentierte das integrative Lernkonzept „Buchstäblich Fit. Besser lesen und schreiben mit den Themen Ernährung und Bewegung.“ Es hat einen lebensweltlichen Bezug und befasst sich auch mit Alltagssituationen wie Einkaufen oder Kochen. Wissensvermittlung, so Kaiser, sei immer dann besonders nachhaltig, wenn sie mit allen Sinnen erfolge, wenn sie mit Spaß und einem positiven Gemeinschaftserlebnis verbunden sei, etwa beim gemeinsamen Kochen, Essen und Bewegen. Mit dem erhobenen Zeigefinger funktioniere es nicht.
Der Ruf nach neuen Lernorten und nichtformalem Lernen kam auch aus den Reihen der Teilnehmer. Eine Quintessenz lautete: Die Betroffenen mit kleinen Schritten dort abholen, wo sie stehen – je einfacher und niedrigschwelliger, desto besser. Manche Hürden, vor denen die Betroffenen stehen, wären leicht zu beseitigen: durch eine größere Schrift und eine einfache, verständliche Sprache. Vor allem die Informationen auf Verpackungen sind oft irreführend und zu komplex. Als echte Hilfe wurde hier die AOK-App „Gesund einkaufen“ bewertet, die mit der Lebensmittelampel über den Nährstoffgehalt eines Produkts informiert.
Lecker verlockt zu gesundem Essen.
Bei der abschließenden Podiumsdiskussion kam die Köchin und Ernährungsberaterin Sybille Schönberger zu Wort. Sie ist auf Youtube mit kurzen Echtzeit-Clips erfolgreich. Dabei geht es ihr darum, mit Spaß und Freude einfache, schnelle und dennoch frische Rezepte zu zeigen. Das funktioniere aber nicht mit dem Reizwort „gesund“, „dann geht das Rollo runter.“
Ähnlich sah es BMBF-Vertreter Bartelt: „Es muss lecker heißen, nicht gesund, sonst erreichen wir die Leute nicht.“ Auch der Appell „Lesen ist wichtig“ fruchte wenig. Die Fähigkeit, eine SMS zu verschicken, sei dagegen eine verlockende Erfolgsaussicht. „Wir müssen die Betroffenen mit kleinen Schritten motivieren.“
Dr. Simone Ehming von der Stiftung Lesen resümierte: „Es gibt viele Berührungspunkte zwischen den beteiligten Bereichen.“ Ein nächster Schritt könnte sein, mit Zielgruppen wie funktionalen Analphabeten und chronisch kranken Menschen in Fokusgruppen zu diskutieren, um daraus Empfehlungen und Schlussforderungen abzuleiten.