„Das Essen ist Teil der Therapie“
Ein Viertel aller Klinikpatienten leidet unter Mangelernährung oder ist davon bedroht, sagt Prof. Dr. Christian Löser. Der Internist und Ernährungsmediziner empfiehlt individuell angepasstes Essen mit energiereichen Zwischenmahlzeiten, um den Heilungsprozess zu unterstützen.
Herr Professor Löser, wie wichtig ist die Qualität des Essens für Krankenhauspatienten?
Christian Löser: Das Essen ist genauso wichtig wie Tabletten. Die Ernährung ist effizienter und integraler Bestandteil ärztlicher Therapie und Prävention. Damit lässt sich bei Mangelernährten genauso viel erreichen wie bei Hypertonikern mit einem Betablocker oder anderen Medikamenten. Das belegen Studien, aber das muss auch in die Köpfe der Ärzte rein. Die meisten Ärzte haben weder im Studium noch in der Facharztausbildung etwas von Ernährungsmedizin gehört. Erst jetzt hat die Bundesärztekammer die Ernährungsmedizin als offizielle Zusatzbezeichnung aufgenommen – andere Länder waren schon vor 20 Jahren so weit.
Zur Person
Prof. Dr. Christian Löser ist Chefarzt am DRK-Klinikum Nordhessen in Kassel-Wehlheiden. Er ist Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologe, Sportmediziner, Ernährungsmediziner und Palliativmediziner.
Herr Professor Löser, wie gut ist das Essen in deutschen Kliniken?
Löser: Die Verwaltungsdirektoren haben früher versucht, die Patienten mit möglichst wenig Geld so zu verpflegen, dass sie nicht groß meckern. Heute laden sie mich ein, weil sie gehört haben, dass man mit gutem Essen Ressourcen sparen kann. Wenn Krankenhäuser Mangelernährung frühzeitig erkennen und konsequent behandeln, senken sie ihre Kosten. Die Patienten haben weniger Komplikationen und können schneller nach Hause.
Sie sind also optimistisch, was die Qualität der Klinikverpflegung angeht?
Löser: Ich kämpfe seit 20 Jahren für diese Thematik und habe von niemandem gehört, dass Ernährung nicht wichtig sei. Wenn man fragt, was sie dafür tun, kommen allerdings viele ins Stottern. Dabei ist moderne Ernährungsmedizin im Krankenhaus gut für die Patienten, weil sie die bessere Medizin bekommen, und sie ist gut für Ärzte, weil sie moderne Medizin umsetzen können. Zudem nützt sie dem Verwaltungsdirektor, weil er Kosten spart. Davon profitieren auch das Gesundheitssystem und die Krankenkassen. Es ist irrational, dass eine solche Win-Win-Win-Situation nicht konsequent umgesetzt wird.
Eine gesunde Ernährung hängt nicht nur vom Koch und seinen Rezepten ab. Worauf kommt es noch an?
Löser: Bei der Aufnahme muss ein Screening auf Mangelernährung stattfinden. Das fordern die Fachgesellschaften schon lange, und in anderen Ländern ist es bereits Pflicht. Mit dem Screening lassen sich die 25 Prozent der Patienten herauspicken, die eine Mangelernährung oder ein Risiko für Mangelernährung haben. Dann ordnet der Arzt bei uns im DRK-Klinikum Kassel eine individuelle Ernährung an.
Wenn Krankenhäuser Mangelernährung frühzeitig erkennen und konsequent behandeln, senken sie ihre Kosten.
Patienten mit Mangelernährung wählen täglich zwischen zwei oder drei Menüs und bekommen zusätzlich Ergänzungsnahrung aus einer Speisekarte mit 47 verschiedenen Zwischenmahlzeiten: Shakes, Muffins, energiereiche Suppen oder Fingerfood. So schaffen wir es mit wenigen Ausnahmen, dass die Patienten die Kalorien- und Nährstoffmenge zu sich nehmen, die sie brauchen, um den körperlichen Abbau zu stoppen. Dafür geben wir pro Patient und Tag nur 1,50 bis zwei Euro mehr an Materialkosten aus.
Haben Sie das Konzept evaluiert?
Löser: Das hätte ich gerne gemacht, aber das ist für uns zu aufwendig. Wir haben allerdings erhoben, wie viel Essen unser Krankenhaus wegwirft. Durch eine individualisierte Ernährung landet weniger Essen im Müll. Unser Krankenhaus spart dadurch 70.000 bis 80.000 Euro im Jahr. Unser Konzept setzen wir aber um, weil die Patienten dann weniger Komplikationen haben und schneller mobil werden. Auch die Kostenersparnis für das Krankenhaus liegt eher auf dieser Ebene.