Interview

„Hygienepersonal reicht nicht“

Um den sachgemäßen Einsatz von Antibiotika zu fördern, brauchen Kliniken Spezialisten zur Behandlung von Infektionen, sagt Prof. Dr. med. Winfried Kern. Zudem sollten niedergelassene Ärzte sich zur Arzneimitteltherapie beraten lassen, um ihr Wissen aufzufrischen.

Herr Professor Kern, wie berechtigt ist die Sorge, dass bald nicht mehr genügend wirksame Antibiotika zur Verfügung stehen?

Winfried Kern: Je nach Region und nach Setting – also etwa im Krankenhausbereich oder in der Behandlung von Patienten mit kritischen Erkrankungen – gibt es diese Sorge. Selbst in Freiburg, wo wir weniger Resistenzprobleme haben, müssen wir einzelne Patienten unkonventionell behandeln, weil keines der hier käuflichen Antibiotika eine volle Wirksamkeit hat. Für Kollegen aus anderen Regionen sind es aber nicht mehr nur Einzelfälle.

Portrait Winfried Kern

Zur Person

Prof. Dr. med. Winfried V. Kern leitet die Infektiologie am Universitätsklinikum Freiburg und ist Mitglied der Arznei­mittelkommission der deutschen Ärzteschaft.

Wen gefährden die Antibiotikaresistenzen besonders?

Kern: Besonders die Patienten, bei denen aufgrund ihrer Grunderkrankung sowieso eine erhöhte Infektionsgefahr besteht, die auch bereits wiederholt mit Antibiotika behandelt werden mussten – also Patienten mit Organtransplantation oder Blutstammzelltransplantation oder komplexen operativen Eingriffen.

Welche Rolle spielt der unsachgemäße Einsatz von Antibiotika in der Human- und Tiermedizin für Resistenzentwicklung?

Kern: Nicht alle Resistenzen sind strikt vermeidbar. Unsachgemäßer Einsatz von Antibiotika ist aber mit vermeidbarer Resistenzentwicklung gleichzusetzen. Die Tiermedizin und Lebensmittelproduktion spielen dabei eine Rolle. Die Ärzte können jedoch nicht die Verantwortung für die Situation in der Humanmedizin auf andere schieben. Unsachgemäßer Antibiotika-Einsatz wird auch in der Humanmedizin beobachtet – hierzulande wie anderswo.

Wie lässt sich der vernünftige Umgang mit Antibiotika fördern?

Kern: Bei den Ärzten fehlt es oft an Kenntnissen, Erfahrung und Zeit, die Indikation zu prüfen beziehungsweise zu re-evaluieren. Im Klinikbereich fehlt es an Infektiologen: Als erfahrene Kliniker mit speziellen Kenntnissen können sie die Antibiotika-Therapie rationalisieren und erreichen oft mit weniger Therapie bessere Ergebnisse. Es ist ein Qualitätsdefizit, dass wir in der heutigen Zeit der Hochleistungsmedizin an dieser Stelle keine personellen Ressourcen zur Verfügung stellen. Dafür gibt es keine Ausrede.

Wir brauchen vor allem Spezialisten in der Behandlung von Infektionen.

Hygienepersonal reicht nicht. Wir brauchen vor allem Spezialisten in der Behandlung von Infektionen – auch für Infektionen durch nicht-resistente Erreger. Im ambulanten Setting gibt es einige Konzepte, aber auch verschiedene Praxis-Modelle, die noch bezüglich bester Wirksamkeit und gutem Wirkungsgrad beurteilt werden müssen. Dazu gehört die pharmakologische Beratung der Ärzte, beispielsweise mit PharmPro aus dem Wissenschaftlichen Institut der AOK, die Transparenz über das eigene Verordnungsverhalten schafft und einen fachlichen Austausch ermöglicht. Solche Praxismodelle sind wichtig. Sie frischen nicht nur Kenntnisse auf, sondern führen auch oft zum Umdenken und verändertem Verschreibungsverhalten.

Wer ist bei der Finanzierung der Erforschung neuer Mittel gegen bakterielle Infektionen gefragt?

Kern: Bereits jetzt gibt es Partnerschaften zwischen nicht-kommerziellen Forschungsinstituten mit öffentlichen Fördergeldern und Unternehmen. Das sollte weiter ausgebaut werden. Es muss aber zugleich in die Versorgungsforschung investiert werden. Die besten neuen Mittel nützen nichts, wenn sie wieder falsch eingesetzt werden.

Änne Töpfer stellte die Fragen. Sie ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
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