Visite im Seniorenhaus Poggensee: Das Internet verbindet Patientin, Pfleger und Arzt.
Ländliche Versorgung

Arztkontakt per Video

Auf dem Land ist der Weg in die Praxis oft weit – ein Problem insbesondere für ältere Menschen. Innovative Ansätze wie eine elektronische Visite können helfen, die Entfernung zu überbrücken, und so Ärzte und Patienten entlasten. Von Timo Blöß

Poggensee in Schleswig-Holstein:

Ganze 367 Einwohner nennen den beschaulichen Ort im idyllischen Kreis Herzogtum Lauenburg ihr Zuhause. Ein Arzt ist nicht dabei, dafür leben 35 von ihnen im Seniorenhaus, wie das Pflegeheim in Poggensee genannt wird. Ist einer der Heimbewohner krank, musste er bisher per Krankentransport zum Arzt gefahren oder ein Mediziner aus den umliegenden Dörfern zum Hausbesuch gebeten werden. Doch mittlerweile hat auch in Poggensee die Digitalisierung Einzug gehalten – und mit ihr die Arztvisite per Videochat.

Initiiert hat das die AOK NordWest. Zunächst wurde die „elektronische Arztvisite in Pflegeheimen in Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein“ (elVi) in verschiedenen Regionen in Westfalen-Lippe getestet. 2018 hat die AOK NordWest das Projekt auch in Schleswig-Holstein mit der dortigen Kassenärztlichen Vereinigung etabliert. In dem Projekt verbinden sich die teilnehmenden Ärzte mittels Tablet oder PC mit den Pflegekräften aus dem Seniorenhaus. Über Kamera und Mikrofon tauschen sich die Mediziner mit den Pflegekräften und Patienten aus.

Vor fremdem Zugriff sicher.

Im Zuge der digitalen Visite können Ärzte beispielsweise chronische Wunden begutachten oder mit Patienten und Pflegekräften Therapien besprechen. Die Pflegekraft kann dem Arzt Ergebnisse von Messgeräten, wie Vitalparameter (Herzrhythmus, Sauerstoffgehalt, Körpertemperatur oder Blutzuckerspiegel) direkt und sofort einsehbar übermitteln. Warte- und Wegezeiten sowie Fahrtkosten lassen sich so reduzieren. Stellt sich im Rahmen des Videochats der Bedarf für eine persönliche Visite heraus, vereinbart der Arzt mit dem Patienten einen Termin in der Praxis. Die Televisite basiert auf einer einfach zu bedienenden Software, die – wie die Testphase in Westfalen-Lippe gezeigt hat – stabil läuft und die sensiblen Daten vor fremdem Zugriff sichert. Entsprechend erhielt elVi 2017 als erster Videodienst in der Gesundheitsversorgung das Prüfsiegel der TÜViT.

Dass solche Ansätze bei den Patienten gut ankommen, zeigt eine forsa-Umfrage im Auftrag der AOK: Jeder zweite der rund 2.000 Befragten steht Angeboten wie Videosprechstunden positiv gegenüber. Der Erhebung zufolge würden die Versicherten entsprechende Lösungen akzeptieren und von ihrer Krankenkasse sogar erwarten, innovative Konzepte wie die Televisite zur Sicherstellung der Versorgung umzusetzen. „Digitale Lösungen und Delegationsansätze sorgen dafür, dass bei der Behandlung räumliche Distanz überwunden wird und Patienten einen schnelleren Zugang zur Versorgung bekommen. Die Vertragspartner sollten deshalb den Mut haben, diese Ansätze zu erweitern. Denn letztlich werden dadurch Ärzte entlastet und die ambulante Versorgung vor Ort gestärkt“, so Dr. Irmgard Stippler, Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern, bei der Vorstellung der Umfrage im Februar in Berlin.

Virtuelle Ambulanz testen.

Die AOK NordWest hat derweil gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein ein weiteres, über den Innovationsfonds gefördertes telemedizinisches Projekt, die „Virtuelle Diabetesambulanz für Kinder und Jugendliche“ (ViDiKi) auf den Weg gebracht. Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes, die einen Glukosesensor nutzen, werden im Rahmen der Studie monatlich in der Virtuellen Diabetesambulanz beraten. Sie erhalten das Angebot der Televisiten zusätzlich zu den regulären Terminen in der Kinder-Diabetesambulanz. „Auch wenn die Digitalisierung und Telematik-Infrastruktur im Gesundheitswesen bislang nur zögerlich voranschreiten, machen wir uns davon unabhängig auf den Weg, innovative Projekte wie diese in die medizinische Versorgung einzubinden“, so Thomas Haeger, Bevollmächtigter des Vorstands der AOK NordWest.
 

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Timo Blöß ist freier Journalist für Gesundheitspolitik.
Bildnachweis: Timo Blöß