Psychische Erkrankungen sind die zweithäufigste Ursache für Fehltage im Beruf. Nicht nur für die Betroffenen sind sie mit Leid verbunden, sondern auch für die Angehörigen. Diese Erfahrung musste Stephen P. Hinshaw, Professor für Psychologie und Psychiatrie, in seiner Kindheit in den 1950er Jahren machen, wie er in seiner bewegenden Autobiografie beschreibt. Wochenlang verschwand der Vater, ohne dass seine Kinder den Grund erfuhren. Die Sorge um den Vater, die Angst, dass er niemals wiederkommen würde, prägten Kindheit und Jugend des Autors. Erst als er erwachsen war, offenbarte ihm der Vater, dass er wegen schwerer Psychosen längere Krankenhausaufenthalte auf sich nehmen musste. Grund für das Verschweigen war, dass psychische Erkrankungen damals selbst von der Fachwelt als so beschämend angesehen wurden, dass ein Verbot des Outings als therapeutisch sinnvoll angesehen wurde. Doch die Folgen des erzwungenen Schweigens, so weiß Hinshaw heute, sind katastrophal. Denn häufig fühlen sich die Kinder für die Erkrankung der Eltern schuldig, eine Bürde, die das Risiko für Depressionen erhöht. Auch heute haftet psychischen Krankheiten immer noch ein Stigma an. Vor dem Hintergrund seiner Geschichte und der eigenen Expertise fordert Hinshaw eine offene Kommunikation, um die Scham zu überwinden und Familien vor Ausgrenzung zu schützen.
Stephen P. Hinshaw: Eine andere Art von Wahnsinn. 2019. 352 Seiten 20 Euro. Psychiatrie Verlag, Köln.