Initiative für mehr Durchblick
Eine Europäische Bürgerinitiative setzt sich für eine EU-weite einfache und verständliche Kennzeichnung von Lebensmitteln ein. Vorbild ist das von Frankreich bereits im Jahr 2017 eingeführte Nutriscore-System. Von Thomas Rottschäfer
Hinter der im Mai
durch die EU-Kommission offiziell registrierten Europäischen Bürgerinitiative „Pro Nutriscore“ stehen sieben europäische Verbraucherschutzorganisationen, darunter in Deutschland der Verbraucherzentrale Bundesverband. Gemeinsam fordern sie die generelle Einführung der einfachen Nutriscore-Kennzeichnung von Lebensmitteln. Durch eine lesbare und verständliche Darstellung des Nährwertgehalts wollen die Initiatoren nicht zuletzt die Hersteller dazu bringen, die Zusammensetzung ihrer Produkte zu verbessern und gesunde Lebensmittel zu produzieren. Eine Initiative für die „Lebensmittelampel“ war 2010 gescheitert, unter anderem am Widerstand der Christdemokraten im Europaparlament. „Damit blieb es auch einzelnen EU-Staaten untersagt, die Kennzeichnung verbindlich einzuführen“, erläutert der Vertreter der AOK in Brüssel, Evert Jan van Lente. Daraufhin führten mehrere Länder das Nutriscore-System auf freiwilliger Basis ein. Inzwischen machen viele große Nahrungsmittelhersteller mit. In Deutschland hat Ernährungsministerin Julia Klöckner eine Verbraucherbefragung zu vier Modellen eingeleitet, darunter auch der Nutriscore.
Unterschriftenaktion läuft.
Damit sich die EU-Kommission mit dem Anliegen beschäftigt, müssen bis zum 8. Mai 2020 mindestens eine Million Menschen das Anliegen über die Internet-Plattform unterstützen. Zudem muss in mindestens sieben EU-Staaten ein nationales Quorum erreicht werden. Für Deutschland liegt die Schwelle bei 72.000 Unterschriften. Anfang Juli wurden online rund 1.700 Unterschriften registriert. Besonders groß ist die Unterstützung in den Ländern, in denen es die freiwillige Kennzeichnung schon gibt. In Frankreich kamen bereits 75 Prozent der nötigen 55.500 Unterschriften zusammen.
Beim Nutriscore handelt es sich um eine fünfstufige Farb- und Buchstabenskala, die einen schnellen Überblick über die Nährwertqualität eines Produktes liefert. Der Score wird auf Basis der Nährwertangaben für 100 Gramm/Milliliter ermittelt. Ungünstige und günstige Nährwerte eines Lebensmittels werden miteinander verrechnet. Ungünstig wirken sich Zuckergehalt, gesättigte Fettsäuren, Natrium und Energiegehalt aus, Ballaststoffe, Proteine, Obst, Gemüse oder Nüsse dagegen günstig.
Der AOK-Bundesverband unterstützt das Anliegen. „Das Instrument des Nutriscore ist neben der Ampelkennzeichnung nachweislich die wissenschaftlich anerkannteste und effektivste Kennzeichnungsmöglichkeit“, sagt der Arzt und Gesundheitswissenschaftler Dr. Kai Kolpatzik. Er leitet die Abteilung Prävention beim AOK-Bundesverband. „Dank der einfachen farblichen Kennzeichnung können Verbraucher sofort sehen, was in Fertiglebensmitteln drin ist und was man dort nicht oder nicht in der Menge vermutet.“ Die bisherige Liste der Inhaltsstoffe sei teilweise nur noch von Lebensmittelchemikern nachvollziehbar, stellt Kolpatzik fest: „Allein über 70 Süßungsmittel haben wir in der AOK-App Gesund einkaufen zusammengetragen. Weder Namen noch Stoffwechsel-Wirkung sind nachvollziehbar. Hier ist eine klare und zügige Umsetzung nötig, die Verbrauchern eine erste Orientierung ermöglicht.“
Das Instrument der Europäischen Bürgerinitiative ist im Vertrag von Lissabon verankert. Seit April 2012 können Bürger ein bestimmtes Thema auf die politische Tagesordnung der Kommission setzen lassen. „Das bedeutet allerdings nicht, dass die Anliegen einer erfolgreichen Initiative in Reinform umgesetzt werden“, erläutert AOK-Europaexperte van Lente. „Aber unter dem Eindruck der Diskussion um das Verbot des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat ist die EU-Kommission deutlich sensibler geworden, was die Bürgermeinung angeht.“
Zugang zu Studien offen.
So hat die Kommission im April 2018 als Antwort auf die Europäische Bürgerinitiative „Verbot von Glyphosat und giftigen Pestiziden“ neue Regeln für mehr Transparenz bei der EU-Risikobewertung im Lebensmittelbereich vorgeschlagen. Eine entsprechende Verordnung hat der Europäische Rat der Regierungen verabschiedet. Sie tritt im Frühjahr 2021 in Kraft.