„Wünschenswert wäre eine größere Transparenz“
Einen Vorstoß nach dem anderen wagt Gesundheitsminister Jens Spahn und scheut dabei auch Konflikte nicht. Der 39-jährige CDU-Politiker erinnert an den jungen Horst Seehofer, meint der Braunschweiger Politikwissenschaftler Prof. Dr. Nils Bandelow.
Herr Professor Bandelow, das Gesundheitsministerium gilt als ungeliebtes Ressort, wo es wenig zu gewinnen gibt. Ein Gesundheitsminister habe ständig Torte im Gesicht, hat Ulla Schmidt einmal gesagt. Trifft das auf Jens Spahn auch zu?
Nils Bandelow: Es trifft auch auf ihn zu, denn er hat sich ja schon viele Feinde gemacht. Innerhalb des Gesundheitssystems hat er sehr viel Kritik geerntet und eine Distanz zu fast allen Interessengruppen und Akteuren aufgebaut. Der Grund dafür, dass er etwas weniger Torte im Gesicht spürt als viele seiner Vorgänger, ist sicherlich die gute Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung. In früheren Jahren war es so, dass Gesundheitsminister für Leistungskürzungen oder die Anhebung von Zuzahlungen verantwortlich gemacht wurden. Wie schon sein Amtsvorgänger Hermann Gröhe hat auch Spahn die luxuriöse Situation, dass viel Geld ausgegeben werden kann. Das hält die Stakeholder teilweise noch im Zaume und bringt ihm sogar positive Stimmen in der Bevölkerung ein.
Herr Spahn mischt die Branche ziemlich auf, ständig kommen neue Gesetzesinitiativen auf den Markt. Warum macht er das?
Bandelow: Es ist ganz offenkundig, dass Jens Spahn im Gegensatz zu allen Gesundheitsministern vor ihm – abgesehen von Horst Seehofer in den 90er Jahren – weitaus höhere Ambitionen hat. Er hat ja schon für den CDU-Parteivorsitz kandidiert und macht keinen Hehl daraus, dass er sich im Kanzleramt sieht. Ganz offensichtlich ist er bemüht, in kurzer Zeit in den Medien sehr präsent zu sein und öffentliche Resonanz zu erzielen.
Steigen durch seine Bekanntheit die Chancen, aus dem Ressort heraus in eine Spitzenposition von Partei und Regierung zu gelangen?
Bandelow: Ein hoher Bekanntheitsgrad ist immer gut. Kaum jemand in der Öffentlichkeit wusste, wer Hermann Gröhe war. Spahn weiß, dass er es sich nicht leisten kann, wie sein Vorgänger unsichtbar einfach den Koalitionsvertrag abzuarbeiten. Allerdings: Neben dem Thema der Finanzierung und der grundlegenden Reform der Finanzstrukturen sind die meisten Bereiche im Gesundheitswesen so kompliziert, dass sie eher für Fachleute verständlich sind.
Spahn macht gerne Politik mit Themen, die er in der Öffentlichkeit verständlich präsentieren kann.
Deshalb macht Spahn auch gerne Politik mit Themen, die er in der Öffentlichkeit verständlich präsentieren kann, wie die Digitalisierung, das Fettabsaugen, die Impfung gegen Masern oder Apps auf Rezept.
Für welche künftigen Positionen empfiehlt sich Jens Spahn?
Bandelow: Ich bin davon überzeugt, dass Herr Spahn Interesse hat, fast jedes andere Ressort zu machen als das Gesundheitsressort, wo ihm jeder schon jetzt ein hohes Fachwissen zuschreiben würde. Das Wirtschaftsressort fände ich als nächsten Schritt naheliegend. Auch das Finanzressort wäre für ihn sicherlich attraktiv. Kurzum: Wenn er höher hinaus will, muss er versuchen, in den Köpfen der Menschen nicht nur der Gesundheitspolitiker zu sein. Da hilft jedes andere Ministerium.
Gibt es für seinen Politikstil Vorbilder?
Bandelow: Herr Spahn erinnert mich an den jungen Horst Seehofer, der als Gesundheitsminister auch sehr polarisiert hat und konfliktorientiert gegenüber den Stakeholdern im Gesundheitswesen vorgegangen ist. Daran scheint sich Spahn zu orientieren, wenn er sich selbst in die Nachfolge von Lahnstein setzt. Man hat den Eindruck, er sieht sich geradezu als der wiedergeborene Horst Seehofer. Wie der CSU-Politiker damals hat er erkennbar andere Ambitionen als Gesundheitsminister zu sein.
Könnten Spahns Eile und sein zügiger Stil nicht auch damit zu tun haben, dass er vor der Bestandsaufnahme des Koalitionsvertrags Ende des Jahres Fakten schaffen will?
Bandelow: Ich glaube nicht, dass er dafür verantwortlich gemacht würde, wenn Teile des Koalitionsvertrags nicht abgearbeitet wären, wenn die Koalition zu Bruch gehen sollte. Er ist dabei, den Koalitionsvertrag überzuerfüllen und hat zuletzt ein paar Provokationen eingebaut.
Spahn versucht zu zentralisieren und hat dies auch schon in manchen Bereichen getan.
Aber die Provokationen richten sich eher gegen die Selbstverwaltung oder gegen die Bundesländer. Das sind nicht die Vorhaben, die am Ende Gesetz werden. Er setzt nur die Dinge durch, die die SPD mitträgt.
Wo provoziert der Minister aus Ihrer Sicht?
Bandelow: Eine Provokation sind etwa seine Vorschläge zur AOK-Öffnung. Hier hat er die Bundesländer und die SPD gegen sich aufgebracht. Es ist aber nicht wirklich realistisch, dass dieses Vorhaben in absehbarer Zeit Gesetz wird. Das ist wieder ein schöner Weg, um sich medial in Stellung zu bringen.
Sie haben es erwähnt, Spahn macht auch vor Zuständigkeiten der Selbstverwaltung nicht Halt. Sind die Sorgen vor einer Zentralisierung und Entmachtung gerechtfertigt?
Bandelow: Es ist richtig, dass es im Augenblick starke Zentralisierungstendenzen gibt. Schon allein die Sicherung von 51 Prozent der Anteile an der gematik hat für das Gesundheitsministerium langfristig starken Einfluss bei der Digitalisierung. Spahn versucht zu zentralisieren und hat dies auch schon getan in manchen Bereichen. Er scheint eine Agenda zu haben, die sich darin auszeichnet, dass er sehr viel Skepsis gegenüber den Selbstverwaltungsstrukturen mitbringt und eine Umverteilung anstrebt hin zu mehr Kompetenzen im Ministerium. Inwieweit das alles eine ideologische Überzeugung ist und nicht Mittel zum Zweck, ist von außen schwer zu beurteilen. Ich könnte mir vorstellen, dass es ihm mehr um die Sichtbarkeit als solche geht.
Gibt es eine charakterisierende Formel für Spahns Politikstil?
Bandelow: Viel Ambitionen, viel Selbstvertrauen und viel Offensive. Das Ergebnis ist zweifellos eine starke Polarisierung und ein beachtlicher Output. Er produziert und produziert und produziert. Ein ausgesprochen fleißiger und gut sichtbarer Minister, mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt.
Was würden Sie sich an seiner Politik anders wünschen?
Bandelow: Man hat bei Herrn Spahn das Gefühl, dass er sich bei seinen Reformen extrem auf seine Leitungsabteilung im Ministerium stützt, während die Untergliederungen nicht mehr so stark in die Reformarbeiten einbezogen sind, wie das vielleicht noch unter Ulla Schmidt der Fall war. Er macht es ganz gezielt und versucht, sich zu lösen von allen anderen. Wünschenswert wäre eine größere Transparenz darüber, was im Ministerium geschieht. Es gibt darüber hinaus viele Visionen, es gibt nur keine zusammenhängenden Visionen. Denkbar wäre, wieder eine Enquetekommission einzurichten oder jedenfalls ein Gremium zu schaffen, das nicht nur kurzfristig denkt. Das erfordert aber Mut, denn ein solches Gremium stellt immer auch ein intellektuelles Gegengewicht zur Arbeit des Ministeriums dar.