Sturm der Entrüstung über Spargesetz
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat seine Pläne zum Umgang mit dem Rekorddefizit von 17 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung vorgelegt. Doch der geplante Finanzierungs-Mix erfreut niemanden. Von Thorsten Severin
Lange hatten
die Akteure im Gesundheitswesen auf das Konzept des SPD-Politikers für das nächste Jahr gewartet. Mehrfach kündigte Lauterbach an, die Präsentation stehe kurz bevor, lieferte dann aber doch nicht. Offenkundig lagen die ständig neuen Verzögerungen an schwierigen Verhandlungen mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu den Hilfen des Bundes. Was nun als Gesamtlösung herausgekommen und vom Bundeskabinett beschlossen worden ist, belastet vor allem die Beitragszahler und die Kassen selbst. Ihre Hauptkritik richtet sich gegen die geplante Erhöhung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags um 0,3 Punkte auf 1,6 Prozent, was 4,8 bis fünf Milliarden Euro bringen soll. Zusammen mit dem allgemeinen Satz von 14,6 Prozent überspringen die Beiträge somit erstmals die 16-Prozent-Marke.
Empört zeigte sich AOK-Bundesverbandschefin Dr. Carola Reimann auch darüber, dass der Bundeszuschuss zur GKV 2023 lediglich um zwei Milliarden Euro auf dann 16,5 Milliarden Euro steigen soll. Ein „Sündenfall“ sei es zudem, wieder ein Bundesdarlehen einzuführen. Konkret wird es eine Milliarde Euro betragen. Erneut soll auf die Finanzreserven der Kassen und des Gesundheitsfonds zurückgegriffen werden – diesmal im Umfang von 6,4 Milliarden Euro. „Das hat mit nachhaltiger Finanzierung nichts zu tun, sondern verschiebt die Lösung der Probleme in die nächste Legislaturperiode“, kritisierte Reimann. Geliefert worden sei eine „hektische Flickschusterei“ fürs nächste Jahr. Die Versicherten sollten allein zwölf der 17 Milliarden Euro aufbringen.
Keine höheren ALG-II-Zuschüsse.
Die Krankenkassenverbände stoßen sich gerade auch daran, dass Lauterbach keine Erhöhung der Bundesbeiträge für die Gesundheitsversorgung von Arbeitslosengeld-II-Empfängern vorgesehen hat, wie sie im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen steht. „So bleibt es dabei, dass die Krankenkassen den Bundeshaushalt Jahr für Jahr mit rund zehn Milliarden Euro subventionieren“, beklagte die GKV-Verbandsvorsitzende Dr. Doris Pfeiffer. Ihre Bewertung der Reform: „Das Aufbrauchen von Rücklagen, ein kleiner Extra-Bundeszuschuss in Verbindung mit einem Bundesdarlehen und Beitragserhöhungen sind keine solide und nachhaltige Finanzierung der gesundheitlichen Versorgung von 73 Millionen gesetzlich Versicherten.“ Einzig werten die Kassen es als positiv, dass Lauterbach auf Leistungskürzungen verzichten und die Pharmaindustrie mit einer befristeten Erhöhung des Herstellerabschlags in die Verantwortung nehmen will. Im Referentenentwurf war noch eine „Solidarabgabe“ für 2023 und 2024 von je einer Milliarde Euro vorgesehen.
„Keine nachhaltige Finanzierung.“
Auch Sozialverbände und Gewerkschaften reihten sich in die Gruppe der Kritiker ein. In einer Zeit voller Preissteigerungen seien höhere Beiträge für Rentner und Geringverdiener unzumutbar, mahnte VdK-Präsidentin Verena Bentele. Verdi-Chef Frank Werneke bezeichnete die Pläne als ungeeignet, um eine nachhaltige und solidarische Stärkung der GKV-Finanzen zu erreichen. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, sprach gar von einem „Taschenspielertrick“. Allein durch die Anhebung des Beitragssatzes werde ein Teil der durch steuerliche Hilfen, die Energiepreispauschale und den Kinderbonus vorgesehenen Entlastungen „aufgefressen“. Nötig seien Strukturreformen und „ausgabenbegrenzende Maßnahmen“.
Pharmafirmen warnen.
Wenig erfreut über die zu ihren Lasten gehende Sanierungshilfe und die diversen geplanten Preiseingriffe zeigte sich die Arzneibranche. Lauterbach setze mit seinen Kürzungen den Pharmastandort in Deutschland und Europa nachhaltig aufs Spiel und gefährde die Versorgung der Menschen hierzulande, erklärte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Ärzteverbände hielten mit ihrer Wut ebenfalls nicht hinter dem Berg. Diese entzündete sich vor allem an der Ankündigung, die 2019 im Terminservice- und Versorgungsgesetz vorgesehenen höheren Vergütungen für neue Patienten wieder zu streichen. Es könne nicht sein, dass am Ende das enorme Engagement der Mediziner für Neupatienten bestraft werde, sagte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen. Nicht zuletzt die Apotheker wollen Kürzungen nicht einfach schlucken.
Unmut in der Politik erntet das Gesetz derweil nicht nur von der Opposition, sondern auch in der Koalition: Die Grünen halten höhere Beiträge für den falschen Weg und die FDP ist mit dem gesamten Konstrukt sowie den Belastungen der Pharmaindustrie ebenfalls nicht zufrieden.