Betriebsverbot für Pflegeheim
Ein anhaltender Mangel an Pflegefachkräften in einem Seniorenheim kann das Untersagen des Betriebs begründen. Dies gilt erst recht, wenn wiederholt auch zahlreiche Pflegemängel vorliegen. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Von Anja Mertens
Jeder Mensch wünscht sich,
im Alter liebevoll und bestmöglich versorgt zu werden. Doch die Realität in manchen Pflegeheimen sieht anders aus. Denn seit Jahren ächzt die Pflege unter akutem Personalmangel. Die Folgen sind hohe Belastung, Zeitdruck und Überstunden. Darunter leidet nicht nur die Gesundheit der Pflegekräfte, sondern auch die Qualität der pflegerischen Versorgung. Treten Pflegemissstände zu Tage und werden nicht behoben, kann die Heimaufsicht schließlich den Betrieb untersagen und die Einrichtung schließen. Dies geschah in einem Fall, der dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg zur Entscheidung vorlag.
Eingesetzte Kräfte nicht qualifiziert.
Nach anonymen Beschwerden stellte die Behörde bei der Vor-Ort-Prüfung erstmals im Herbst 2021 und dann wiederholt einen erheblichen Mangel an Pflegefachkräften und zahlreiche Pflegemängel fest. Mit Bescheid vom 23. März 2022 untersagte sie der Trägerin den Betrieb des Heims.
Begründung: Das eingesetzte Personal sei pflegerisch nicht qualifiziert und zum großen Teil ungelernt. Die Quote der Pflegefachkräfte betrage nur rund 25 Prozent. Außerdem sei der Personaleinsatz fast durchgehend mit Leasing-Pflegekräften geplant, die mangels hauseigener Pflegefachkräfte weder ausreichend eingearbeitet noch angeleitet würden. Ein erheblicher Anteil der Bewohnerinnen und Bewohner mit den Pflegegraden 4 und 5 brauche umfangreiche Unterstützung. Mit dem Personal könne aber keine angemessene, würdevolle und fachgerechte Pflege erbracht werden.
Gegen den Bescheid legte das Heim erfolglos Widerspruch ein. Im einstweiligen Rechtsschutz begehrte es die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, unterlag damit aber vor dem Verwaltungsgericht. Das Gericht wies darauf hin, dass der Betrieb nur zulässig sei, wenn die Beschäftigten und die Leitungspersonen für die von ihnen ausgeübte Tätigkeit persönlich und fachlich geeignet sind. Die Zahl der Beschäftigten müsse ausreichend sein (Paragraf 9 Absatz 1 des Gesetzes über das Wohnen mit Pflege und Betreuung des Landes Brandenburg, BbgPB-WoG). Die Personalausstattung erfülle aber nicht diese Anforderungen. Der Betrieb sei zu untersagen, da nicht zu erwarten sei, dass die Mängel durch Anordnungen beseitigt werden könnten (Paragrafen 23 und 24 BbgPBWoG).
Durch Fachkräfte ist sicherzustellen, dass den Pflegebedürftigen die erforderliche Hilfe zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung steht.
Gegen diese Entscheidung legte der Heimbetreiber Beschwerde beim OVG ein, hatte aber keinen Erfolg damit. Zutreffend sei die Vorinstanz davon ausgegangen, dass die Beurteilung, ob die Beschäftigtenzahl der Einrichtung ausreiche, nicht anhand starrer Zahlen, sondern nach Lage des Einzelfalls und den dafür relevanten Gesichtspunkten getroffen werden müsse. Zu berücksichtigen seien insbesondere die Anzahl und der Gesundheitszustand der Heimbewohnerinnen und -bewohner, der Grad der Pflegebedürftigkeit und damit die Intensität und Schwierigkeit der pflegerischen Leistungen sowie die bauliche Beschaffenheit oder sachliche Ausstattung des Heims. Nach Paragraf 4 der Strukturqualitätsverordnung (SQV) müsse durch Pflegefachkräfte sichergestellt sein, dass zu jeder Tages- und Nachtzeit krankheits- oder behinderungsbedingt erforderlich werdende Hilfe zur Verfügung steht.
Zeit genug zum Beheben der Missstände.
Das Heim habe zwar die in der Vergangenheit festgestellte Personalsituation nicht in Abrede gestellt. Doch zu Recht sei nicht zu erwarten gewesen, dass das Heim die Personalmissstände hätte beseitigen können. Denn seit die Missstände erstmals im Herbst 2021 festgestellt worden seien, habe die Einrichtung im Zuge der wiederholten Auskunftsverlangen und Beratungsangebote hinreichend Gelegenheit gehabt, die Personalmissstände zu beheben. Das von ihr vorgelegte Personalkonzept rechtfertige keine andere Einschätzung. Die eingereichten Unterlagen ließen nicht den Schluss zu, dass der Heimbetreiber gegenwärtig und künftig ausreichend Personal zur Verfügung stellen könne. Dafür spreche die vom Medizinischen Dienst Berlin-Brandenburg vorgelegte Stellungnahme zur Qualitätsprüfung nach Paragraf 114 SGB XI – vollstationäre Pflege vom 16. Juni 2022.
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Auch habe die Vorinstanz zutreffend angenommen, dass das Abwägen der widerstreitenden Interessen anhand einer Folgenbetrachtung vorzunehmen sei. Würde sich das Betriebsverbot im Hauptsacheverfahren als unrechtmäßig herausstellen, stelle das zwar einen Eingriff in das Recht des Heimbetreibers auf freie Berufsausübung (Artikel 12 des Grundgesetzes) sowie in das durch Artikel 14 des Grundgesetzes geschützte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Dieser Eingriff werde aber dadurch abgemildert, dass der Betreiber Teil einer Unternehmensgruppe sei, die weitere Pflegeheime habe. Somit könne eine Existenzgefährdung auch beim Aufrechterhalten des Betriebsverbots nicht ernsthaft in Rede stehen. Würde das Untersagen des Betriebs im Eilverfahren ausgesetzt und erweise sich dies als rechtswidrig, müssten die Heimbewohnerinnen und -bewohner bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens eine nicht hinzunehmende Verletzung ihres Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 des Grundgesetzes) erleiden.
Schutz der Heimbewohner im Blick.
Zudem müssten sowohl die Heimbewohnerinnen und -bewohner als auch die Allgemeinheit darauf vertrauen können, dass „Einrichtungen sorgfältig überwacht und Pflegemängel nicht hingenommen werden“, sondern ihnen effektiv begegnet wird. Hierauf seien gerade ältere und pflegebedürftige Menschen angewiesen, zumal sie sich oftmals selbst nicht mehr gegen Mängel wehren könnten.
Kommentar: Der Entscheidung ist vollumfänglich zuzustimmen. Sie zeigt, wie erforderlich es ist, dass die bestehenden Fürsorgepflichten auch konsequent umgesetzt werden.