Wertschätzende Ansprache: Übungen dafür bietet eine digitale Lernplattform.
Praxisbeispiel

Pflegeheim auf Innovationskurs

Menschen mit Demenz profitieren von einem familiären Umfeld mit Pflegekräften, die ihre Wünsche verstehen. Ein Heim in der Lüneburger Heide bietet diesen Rahmen. Das Team hat sich dafür mithilfe der AOK-Pflegemediathek fortgebildet. Von Hilke Nissen

Ob es die Arbeitsorganisation,

den Einsatz digitaler Technologien oder die Fortbildung der Beschäftigten betrifft: Axel Niemeyer zeigt sich in seinem „Alten- und Pflegeheim Hösseringen“ aufgeschlossen gegenüber Innovationen. Der Gesundheits- und Krankenpfleger ist auch Kaufmann und leitet seit 2010 das Heim, das seine Eltern 1988 in der Lüneburger Heide gründeten. Niemeyer holte sich beispielsweise Inspirationen aus Skandinavien, um sein Pflegeunternehmen weiterzuentwickeln.
 
Derzeit leben in der Einrichtung 25 Bewohnerinnen und Bewohner in familiärer Umgebung. 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen für sie rund um die Uhr. Dabei setzt Axel Niemeyer auf das norwegische Konzept langer Tagesdienste von 7.00 bis 19.15 Uhr. Um die gesetzliche Höchstarbeitszeit nicht zu überschreiten, werden viele kurze Pausen eingeplant. „Wir stehen gefühlt mit unseren Bewohnern zusammen auf und gehen mit ihnen ins Bett. Mittags gibt es zum Beispiel keine Rushhour mit Übergaben und einer komplett neuen Truppe“, so der Heimleiter. Das sei vor allem für demenziell Erkrankte sehr beruhigend.

Arbeit im interdisziplinären Team.

Am Tag kümmern sich eine Pflegedienstleitung, eine Pflegefachperson, zwei Pflegeassistenten, Betreuungskräfte und jeweils eine qualifizierte Hauswirtschafts- und Küchenkraft um die Pflegebedürftigen. Die Pflegeteams arbeiten mit Ärzten, Physiotherapeuten und wenn nötig auch mit Seelsorgern und Psychologen zusammen. Sieben Nächte lang wacht eine Pflegefachperson von 19 bis 7.15 Uhr über das Wohl der Bewohner und hat danach sieben Tage frei. Über den Monat gerechnet ergibt sich so für das Pflegepersonal eine Vier-Tage-Woche.

Die Dokumentation erledigen die Pflegekräfte an Tablet-Computern.

Diese Innovationen haben sich gelohnt. „Wir haben einen sensationell niedrigen Krankenstand von 3,7 Tagen im Jahr und ein super Arbeitsklima“, sagt Niemeyer. Der Tagesdienst höre sich zwar lang an, schlauche aber nicht so wie Schichtdienste und sichere mit den geballten Anwesenheiten eine gute Versorgung. „Die Mitarbeiter sind zwar abends auch kaputt, aber sie können selbstbestimmt aufgelaufene Aufgaben auf den Nachmittag verschieben, haben einen zu 90 Prozent sicheren Dienstplan und sind einfach nicht so gestresst.“ Alle Pflegekräfte, auch die Pflegeassistenten, arbeiten in Hösseringen eigenverantwortlich und machen ihre Dokumentationen am Tablet. Dafür können sie auch einen Homeoffice-Tag pro Monat nutzen.

Rüstzeug für die Kommunikation.

Im Pflegeheim in Hösseringen haben 23 von 25 Bewohnern demenzielle Einschränkungen. Die Versorgung, Pflege und Betreuung dementer Menschen wird angesichts einer immer älter werdenden Gesellschaft und rapide steigender Erkrankungszahlen künftig überall an Bedeutung gewinnen. Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leiden 22 Prozent der 85- bis 89-Jährigen an Demenz. Bei den über 90-Jährigen liegt der Anteil sogar bei 41 Prozent. Rund ein Drittel aller Menschen mit Demenz lebt in stationären Einrichtungen; dort liegt ihr Anteil bei zirka 69 Prozent.
 
Die Pflege von dementen Bewohnern stellte auch das Hösseringer Haus vor große Herausforderungen. Vor allem die Kommunikation zwischen Pflegebedürftigen und Pflegenden ist kompliziert. Die Begegnungen sind oft für beide Seiten irritierend. Mit Menschen, die eine fortgeschrittene Demenz haben, kann man nicht mehr intuitiv kommunizieren. Denn häufig kommen Angst, Depression und Desorientierung ins Spiel. Menschen mit Demenz können ihre Wünsche und Bedürfnisse oft nicht mehr in Worte fassen. Das Pflegepersonal muss mit viel Geduld und Empathie handeln.

Pflegeexperten entwickeln Schulung.

In Hösseringen hat die Beschäftigten deshalb in hauseigenen Fortbildungen ihr Wissen aufgestockt. „Früher hatte unsere Pflegedienstleitung mit großem Zeit- und Papieraufwand Fortbildungen selbst konzipiert und geleitet – und zwar zu verschiedenen Themen. Das lässt sich im zeitlich knapp bemessenen Pflegealltag nur schwer durchhalten“, berichtet Axel Niemeyer. Deshalb nutzen er und sein Pflegeteam seit Anfang 2021 die Schulung „Grundlagen der Kommunikation bei Demenz“ aus der AOK-Pflege-Mediathek (siehe Webtipps). Die Pflege-Mediathek ist eine digitale Lernplattform für professionell Pflegende in Kliniken, ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen. Dort sind komplett vorbereitete Mitarbeiterschulungen und E-Learnings zu den Themen Pflegestandards, Bewohnerprävention und Betrieblicher Gesund­heitsförderung zu finden.

Porträt von Axel Niemeyer, Leiter des Alten- und Pflegeheims Hösseringen

„Die Pflegekräfte haben wieder richtig Lust aufs Lernen und die Umsetzung des Gelernten in ihrem Alltag.“

Axel Niemeyer, Leiter des Alten- und Pflegeheims Hösseringen

Alle Inhalte sind mit Pflegeexperten entwickelt worden. Auch gibt es auf dem Schulungsportal wichtige Dokumente zur Organisation der Inhouse-Fortbildungen zum Herunterladen, zum Beispiel Teilnahmelisten, Einladungen, Handouts und Zertifikate. Die Nutzung der AOK Pflege-Mediathek wird von der ortsansässigen AOK begleitet und ist für Einrichtungen kostenfrei.

Plattform vermittelt praxisnahes Wissen.

„Uns ist es wichtig, der Pflegebranche Schulungen anzubieten, die aktuell und praxisnah sind“, erklärt Werner Winter, Experte für Betriebliche Gesund­heits­förderung in der Pflege im AOK-Bundesverband. Das Modul „Grundlagen der Kommunikation bei Demenz“ ist eine didaktisch vorbereitete Lerneinheit, die das Pflegepersonal für die Situation der Menschen mit Demenz sensibilisiert. Sie lernen zum Beispiel, wie sie Kommunikationshürden überwinden können, bekommen verlässliches Wissen, praktische Tipps und machen Wahrnehmungsübungen. „Dabei schlüpfen sie manchmal in die Rolle eines dementen Bewohners, sodass sie die Verluste, etwa in der Orientierung, beim Sprechen oder Erkennen, die die Betroffenen erleiden, selbst spüren“, erläutert Winter.

Das Pflegeteam in Hösseringen setzt sich mit der Situation der Betroffenen aktiv auseinander, um sie im Pflegealltag besser verstehen zu können. Der Heimleiter freut sich über die hohe Motivation seines Teams: „Sie lesen sich oftmals die Schulungsunterlagen, wie das Handout oder die Tipps zur Kommunikation bei Demenz zu Hause auf dem Tablet durch. Sie haben während der Schulung deshalb schon Grundwissen, mit dem sie sich viel stärker beteiligen als vorher. Das erhöht die Lernkurve bei uns enorm.“ Die Beschäftigten fühlen sich sicherer im Umgang mit den Bewohnern und tauschen sich untereinander aus. „Wir kommunizieren aber mit den Bewohnern nicht in gekünstelten, auswendig gelernten Sätzen, sondern sprechen jeden natürlich und wertschätzend an.“ Früher hätten sie oft nicht verstanden, welcher Film im Kopf eines Bewohners gerade liefe und was er mit seinem veränderten Verhalten sagen wolle. „Heute können wir das besser deuten und können situationsgerecht reagieren“, sagt Niemeyer. Davon profitieren die Bewohner und die Pflege: Es gibt viel weniger Konflikte aufgrund von Missverständnissen. Auch ist der Einsatz von Psychopharmaka deutlich verringert.

Für den Heimleiter war es auch wichtig, dass jeder die Fortbildung ohne großen Aufwand machen kann und die Kosten überschaubar sind. Jeder Mitarbeiter der Einrichtung in Hösseringen ist in der Pflege-Mediathek angemeldet und kann an seinem Tablet freiwillig zu Hause und am Homeoffice-Tag lernen. Die Pflegedienstleitung kann die fertig aufbereiteten Schulungsmaterialien, etwa die Präsentation und die Übungen mit den Moderationskarten, das Handout zum Nachlesen und den Referentenleitfaden, nutzen und sich auf die eigentliche Vermittlung konzentrieren. „Das ist im verdichteten Pflegealltag Gold wert. Die Pflegekräfte haben wieder richtig Lust aufs Lernen und die Umsetzung des Gelernten in ihrem Alltag“, so Niemeyer.

E-Learning hat Zukunft.

Der Heimleiter will weitere Module aus der Pflege-Mediathek nutzen. Für ihn liegt die Zukunft der Fortbildung im E-Learning. Er würde in seinem Team etwa kurze Schulungsvideos mit angegliederten Wissenstests nutzen wollen. Auch Erklärvideos und Comics könnte er sich vorstellen. Rechtzeitig zum Herbst will Niemeyer die E-Learning-Module zu Corona aus der Pflege-Mediathek einsetzen.

Die Schulung zur Kommunikation mit demenziell veränderten Menschen trägt bereits Früchte: „Das Arbeits- und Wohnklima ist entspannter geworden.“

Hilke Nissen ist Redakteurin im KomPart-Verlag.
Bildnachweis: Alten- und Pflegeheim Hösseringen