Gesundheitsunion

Kooperation bei Gesundheitsgefahren

Europaparlament und Rat haben einer engeren Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten bei grenzüberschreitenden Gefahren für Leib und Leben ihrer Bürger zugestimmt. Damit nimmt die von der Kommission forcierte Gesundheitsunion konkrete Formen an. Von Thomas Rottschäfer

Als EU-Kommissionspräsidentin

Ursula von der Leyen im ersten Pandemiejahr 2020 von der Notwendigkeit einer Gesundheitsunion sprach, reagierten die Mitglieder des Europäischen Rates misstrauisch. Die 27 Mitgliedstaaten befürchteten, die Kommission wolle die Krise auch zur Erweiterung ihrer Kompetenzen im Gesundheitsbereich nutzen. Von den ersten Vorschlägen der Kommission für eine bessere Zusammenarbeit bei schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren im zweiten Halbjahr 2020 bis zur Zustimmung von Europaparlament und Rat zu den entsprechenden Verordnungsvorschlägen dauerte es deshalb trotz des Beschleunigungsfaktors Corona knapp zwei Jahre.

Neue Behörde zur Krisenvorsorge.

Diese Spanne wirkte auf Beobachter dennoch kürzer, weil von der Leyen und EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides regelmäßig erfolgreiche Zwischenschritte verkünden konnten, darunter die Ein­richtung der neuen EU-Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (European Health Emergency Preparedness and Response Authority – HERA). Deren genauer Handlungsrahmen wird allerdings erst durch eine der drei ineinander greifenden Verordnungen abgesteckt, denen die ­Europaabgeordneten nach Ende der Detailverhandlungen am 4. Oktober und der Rat am 24. Oktober abschließend zu­gestimmt haben. Sie sind im November in Kraft getreten.

Mitspracherecht der Mitgliedstaaten.

Danach kann die EU-Kommission einen EU-weiten Gesundheitsnotstand fest­stellen und Gegenmaßnahmen einleiten, darunter das Überwachen der Produktion von wichtigen Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie das Anlegen von entsprechenden Vorräten. Bei der Krisenbewältigung haben sich die EU-Staaten jedoch ein Mitspracherecht gesichert. Dem Gesundheitskrisenstab, der im Notfall die EU-Maßnahmen koordinieren soll, gehören neben Experten der Kommission auch je ein Vertreter aus jedem Mitgliedstaat an. Zudem muss die Kommission den Krisenstab „nach Möglichkeit konsultieren“, bevor sie tätig wird.

HERA und die EU-Arzneimittelagentur EMA sollen die Kommission dabei unterstützen, die Marktsituation fort­laufend zu beobachten und im Krisenfall steuernd in die Entwicklung, Produktion und Verteilung von Arzneimitteln, Impfstoffen oder Schutzausrüstung einzu­greifen. Wie bereits im Fall der Corona-Impfstoffe darf die Kommission im Auftrag der Mitgliedstaaten zentral mit Herstellern verhandeln und Arzneimittel oder Medizinprodukte beschaffen. Über Vertragsinhalte müssen die Mitglied­staaten aber vorab informiert werden. Sie behalten sich überdies vor, sich an einzelnen Vereinbarungen nicht zu beteiligen.

Mehr Kompetenzen für Seuchenbehörde.

Rat und Parlament stimmten zudem einer Verordnung zu, mit der die Kompetenzen des Europäischen Zentrums für Seuchenbekämpfung (ECDC) zur Beobachtung und Bewertung von Gesundheitsrisiken erweitert werden. Die EU-Behörde mit Sitz in Stockholm soll die Mitgliedstaaten nicht mehr nur über mögliche Gefahren informieren, sondern selbst aktiv werden. Dazu gehört das Einberufen einer Task­force im Fall eines Krankheitsausbruchs ebenso wie der Aufbau eines „Exzellenznetzwerks von EU-Referenzlaboren“.

Außerdem soll das ECDC enger mit den Behörden der Mitgliedstaaten, an­deren EU-Einrichtungen und interna­tionalen Organisationen zusammen­arbeiten. Darüberhinaus soll die Behörde Verfahren zur Erfassung und Analyse notwendiger Gesundheitsdaten definieren und koordinieren sowie für eine schnelle Weiterleitung der Auswertungen auf EU-Ebene sorgen.

Finanziert werden die vorgesehenen Maßnahmen zur Krisenprävention und -bewältigung vor allem über das knapp zehn Milliarden Euro schwere Programm „EU4Health“ sowie aus Mitteln des Co­rona-Wiederaufbaufonds.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
Bildnachweis: iStock.com/photochecker